1. August 2021 | Wismar Kirchengemeinde Heiligen Geist

Predigt „Talk auf dem Hof“

01. August 2021 von Tilman Jeremias

Liebe Gemeinde,

ich freue mich, heute bei Ihnen sein zu können bei diesem Gottesdienst, in dem Sie ein neues Format ausprobieren: „Talk auf dem Hof“. Pastor Cremer hat mir erzählt, dass Sie schon gute Erfahrungen gesammelt haben mit den Dialogpredigten zu Literatur und Film. Nun also eine Predigt, nach der wir ins Gespräch kommen.

Erst einmal: Glückwunsch zu dieser Idee. Ich wünschte mir viel stärker eine Kultur der Predigtnachgespräche. Da steht eine Pastorin oder ein Pastor auf der Kanzel, versucht, die Gemeinde zu erreichen, zu berühren, zu trösten, vielleicht herauszufordern. Ist es nicht folgerichtig, anschließend noch beieinander zu bleiben und sich auszutauschen? Die ersten Christinnen und Christen kannten Gottesdienst nicht anders als mit gemeinsamem Essen. Die Gemeinschaft des Gottesdienstes ruft nach der Gemeinschaft des Lebens und zu ihr gehört das Gespräch.

Ihr Format fordert nun aber eine neue Haltung, von Ihnen als Gemeinde und von mir als Prediger. Ich soll so reden und Sie sollen so hören, dass wir gleich nach der Predigt Lust haben, miteinander zu sprechen. Vielleicht hilft es ja dazu, wenn ich ein paar Sätze ein wenig überspitze und Sie dadurch auch zu Widerspruch animiere, der ausdrücklich erwünscht ist! „Kirche: Salz oder Haar in der Suppe?“ ist dafür jedenfalls ein gutes Motto.

Drei Thesen werden Sie in meiner Predigt hören, die jeweils auch als ein Impuls für das Gespräch gedacht sind. Die erste These nimmt Bezug auf die gehörte Bibellesung aus Epheser 4 und lautet:

„Unsere Kirche hat nur dann Zukunft, wenn wir als Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen und Einstellungen gemeinsam unseren Glauben bezeugen.“

Der Epheserbrief ist ein einziger Ruf zur Einheit. Das bedeutet: Schon zur Zeit seiner Abfassung, im ersten Jahrhundert, gab es massiven Streit in den Gemeinden. Die wichtigste Frage dieser Zeit war: Wie jüdisch muss ein Heide werden, damit er ein guter Christ ist? Welche Reinheitsvorschriften gelten für ihn, muss er beschnitten werden? Die Diskussionen gingen hoch her, das ganze Neue Testament ist voll von ihnen, die Apostel riefen zu einem Konzil.

Heute streiten wir über andere Dinge. Global gesehen spielt momentan ein Thema in der Weltchristenheit eine große Rolle, das die Bibel so gar nicht kennt: Dürfen Homosexuelle kirchlich heiraten oder öffentlich gesegnet werden? Der Streit spaltet ganze Weltbünde, Nord und Süd, Gemeinden und Kirchen.

Der Epheserbrief sagt: Ihr seid als Kirche ein Leib, der Leib Christi. Es gibt nur einen Gott und einen Glauben. Das heißt nun ganz und gar nicht, dass ihr immer einer Meinung sein sollt, auch nicht in Glaubensdingen. Aber es heißt: Bleibt beieinander, hört einander zu, spaltet euch nicht, betet und feiert zusammen! Als die Verschiedenen gehört ihr zusammen, Jung und Alt, Konventionell und Modern, Überzeugt und Zweifelnd, Weiß und Schwarz. Ihr seid individuell und lebt euren eigenen Glauben, aber ihr braucht einander. Darum also These 1:

„Unsere Kirche hat nur dann Zukunft, wenn wir als Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen und Einstellungen gemeinsam unseren Glauben bezeugen.“

These 2 geht auf den kurzen Text aus der Feder von Hans-Martin Barth ein, den wir ebenfalls vorhin gehört haben, und lautet:

„Christin und Christ ist, wer glaubt und getauft ist.“

Ich durfte Hans-Martin Barth kennenlernen und schätze ihn als einen Theologen, dem die Ökumene und das interreligiöse Gespräch Herzensanliegen sind. Er befragt alle christlichen Glaubensinhalte danach, was sie für den Glauben des und der Einzelnen austragen und wie sie anschlussfähig sind an die anderen Religionen. In seinem Buch „Konfessionslos glücklich“ beschäftigt er sich mit einer Frage, die wir bis heute heftig diskutieren: Hängt Christsein an der Kirchenmitgliedschaft? Die Beobachtung ist: Es gibt viele Kirchenmitglieder, die zwar Kirchensteuern zahlen, dem Glauben aber sehr fern stehen. Und umgekehrt gibt es aktive Christinnen und Christen außerhalb der Kirche. Nicht getaufte Menschen engagieren sich in Gemeinden, Fördervereinen, arbeiten engagiert in diakonischen Einrichtungen. Wäre es nicht gut, neue Formen der Kirchenmitgliedschaft auszuprobieren?

Und da werde ich mal provokant. Ich sage: Nein. Natürlich können wir über die Kirchensteuer debattieren. Aber die Mitgliedschaft in der Kirche wird nur durch einen einzigen Akt begründet: durch die Taufe. Das war so und soll so bleiben. Durch die Taufe wird ein Mensch aufgenommen in die Gemeinschaft der Glaubenden.

Und hier wird es natürlich schwierig: Glaube lässt sich von außen nicht messen. Ich sage ein Beispiel, das mich viel beschäftigt: Menschen aus dem Iran oder Afghanistan lassen sich bei uns taufen. Nun unterstellt der Staat: Manche von ihnen tun das nur pro forma, um ein Bleiberecht zu erwirken. Überforderte Verwaltungsrichterinnen und -richter sollen nun prüfen, ob es jemand ernst meint mit dem Glauben. Das geht nicht. Es ist sogar gefährlich, weil es in die Gesinnungsjustiz schlimmer Zeiten führt. Ich kann als Pastor einem Gericht bestätigen, dass jemand den Taufkurs besucht hat, dass jemand regelmäßig den Gottesdienst besucht; ob er oder sie glaubt, entzieht sich meiner Beurteilung.

Es gehört beides zum Christsein, das äußere Merkmal der Taufe und das innere des Glaubens. Von außen feststellen kann ich aber nur Merkmal 1.

Es bleibt bei meiner These 2: „Christin und Christ ist, wer glaubt und getauft ist.“  

Nun die dritte These, die sich vor allem auf das Motto bezieht: „Die Kirche ist dann Salz und Licht der Welt, wenn ihre Leute überzeugend ihren Glauben leben.“

Salz oder Haar in der Suppe, spannende Frage. Die Suppe kann ja eigentlich nur unsere Gesellschaft sein. Und da ist es sicherlich gut, wenn die Kirche manchmal Würze liefert in den vielen Debatten. Aber sie bleibt nicht Kirche, wenn sie nicht auch die Rolle des Haares in der Suppe immer wieder spielt, nämlich dann, wenn sie aus dem Evangelium gewonnene Werte in Gefahr sieht. Auch hier nehme ich ein aktuelles Beispiel, die breite Diskussion um den assistierten Suizid. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür gesorgt, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung aufgehoben werden muss. Die Kirchen haben schon damals protestiert, waren eher Haar als Salz in der Suppe, haben den Lebensschutz und die Unverfügbarkeit des Lebens hoch gehalten.

Nun gibt es auch innerhalb der Kirche mehr und mehr Stimmen, die die Selbstbestimmung des Menschen als Gabe Gottes stark machen, auch im Blick auf den Wunsch, sterben zu wollen. Die Diskussion brandet auch innerhalb der Kirche. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Kirche Botschafterin für das Leben sind, es als Geschenk Gottes bezeugen, Menschen in der Seelsorge zum Leben stärken sollen, uns einsetzen für Hospize und gute palliative Versorgung. Und wünsche mir für jeden einzelnen Menschen, dass in den Grenzsituationen am Ende des Lebens bessere Lösungen gefunden werden als der assistierte Suizid.

Wir können als Kirche in solchen tiefgreifenden Debatten eine würzende Stimme sein, wenn wir aus unserem Glauben heraus reden, erkennbar auf der Seite der Schwachen stehen und in der inhaltlichen und formalen Art und Weise unserer Beiträge Gottes Liebe zu allen Menschen durchscheinen lassen. Daher also These 3: „Die  Kirche ist dann Salz und Licht der Welt, wenn ihre Leute überzeugend ihren Glauben leben.“

Drei Thesen also für das Gespräch. Ich nenne sie noch einmal.

These 1 im Anschluss an Epheser 4:

 „Unsere Kirche hat nur dann Zukunft, wenn wir als Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen und Einstellungen gemeinsam unseren Glauben bezeugen.“

These 2 im Anschluss an den Text von Hans-Martin Barth:

„Christin und Christ ist, wer glaubt und getauft ist.“

Und These 3 zu unserem Motto:

„Die  Kirche ist dann Salz und Licht der Welt, wenn ihre Leute überzeugend ihren Glauben leben.“

Fehlt zum Abschluss nur noch die Ermutigung. Wir sind es gewohnt, im Gottesdienst zu hören, das Vaterunser zu beten und zu singen. Bitte trauen Sie sich jetzt zu reden. Widersprechen Sie, streiten Sie gern, aber immer im Sinne der Einheit, die der Epheserbrief uns ins Stammbuch schreibt. Ich bin gespannt auf den Austausch.

Und der Friede Gottes…..

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