Predigt über Jes. 58, 7 12 zum Landeserntedankfest
02. Oktober 2005
Liebe Gemeinde,
schauen wir auf unser Bundesland Mecklenburg-Vorpommern insgesamt, dann können wir dieses Jahr für eine durchschnittliche Ernte danken. Einzelnen Regionen geht es schlechter. Dazu gehören auch bestimmte Gebiete im Uecker-Randow-Kreis. Hier war am Ende die Ernte unterdurchschnittlich, weil Frühjahrstrockenheit oder Spätfrost ihre Folgen gezeigt haben. Aber insgesamt können wir dankbar sein. Wir wissen, der Bauer müht sich, aber allein durch seine Arbeit kann er keine gute Ernte einbringen.
Natürlich freuen wir uns, wenn wir etwas geschafft haben. Wir alle kennen das Gefühl nach getaner Arbeit. Was wir tun können, ist erledigt. Dann stellt sich Zufriedenheit ein. Wir haben das Zutrauen, dass am Ende unsere Mühen auch ihre Früchte tragen. So wurde im Herbst 2004 oder im Frühjahr 2005 gesät, die Äcker bestellt, die Obstbäume gepflegt, die Gemüsepflanzen gesetzt. Und im Vergleich zu vielen anderen Ländern dieser Welt haben wir eine reiche Ernte eingefahren. Aber dass wir ernten können, ist nicht selbstverständlich. Schon Matthias Claudius hat deswegen gedichtet: Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!
Als Bischof bin ich viel unterwegs. Wenn ich so über das Land fahre, dann empfinde ich diese Dankbarkeit über das Wachstum und die Schönheit der Natur. Im Frühjahr ist es wunderschön, das Farbenspiel zu beobachten, wie ein gelbes Rapsfeld an kräftig grüne Wiesen und Felder grenzt und sich darüber ein blauer Himmel wölbt. Es ist phantastisch, im Sommer durch unsere grünen Alleen zu fahren wie durch einen grünen Tunnel. Jetzt im Herbst macht es Freude, die sich dunkelgrün, rot, braun färbende Natur zu beobachten.
Aber auch Wehmut empfinde ich manches Mal. Es ist wahr: Die Landwirtschaft boomt in unserem Bundesland, aber wie wenig Menschen finden dort nur noch Arbeit? Wenn ich durch die Dörfer fahre und die zunehmende Zahl von nicht mehr bewohnten Häusern sehe, dann überfällt mich diese Traurigkeit. Wir sehen die Folgen der hohen Arbeitslosigkeit und des Rückgangs der Bevölkerung. Dabei sind wir noch nicht am Ende des Tunnels angekommen. Eine Hochrechnung des Innenministeriums sagt, dass bis zum Jahre 2020 hier im Uecker-Randow-Kreis die Bevölkerung noch einmal um 1/3 zurückgegangen sein wird.
So gewinnt der Bibeltext, der dieser Predigt zugrunde gelegt ist, vom Ende her seine Aktualität für uns. Im letzten Vers heißt es: Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vor Zeiten gegründet ward; und du sollst heißen, Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne.(V.12)
Ja, auch Israel, das alte Gottesvolk, kannte Zeiten, wo es ihm nicht gut ging und die Häuser und Siedlungen einen verwahrlosten Eindruck machten. Das weckt unser Interesse. Wäre das nicht auch für uns eine ermutigende Perspektive, wenn durch uns das wieder aufgebaut würde, was lange wüst gelegen hat? Offensichtlich steckt in diesen Prophetenworten eine Verheißung. Natürlich ist sie für den Orient und für ein ganz anderes Klima gesprochen und deswegen lautet sie: Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. (V. 11) Könnten wir nicht auch in unserer gegenwärtigen allgemeinen Orientierungslosigkeit die Stärkung und Führung durch Gott gut gebrauchen?
Der Staat Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem hatte einen Krieg hinter sich und lag Jahrzehnte am Boden. Dann, am Ende des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, trat ein Prophet auf und sprach diese Verheißung. Gott würde wieder in ihrer Mitte sein und dadurch würde dem Volk eine unglaubliche Kraft für einen Neuanfang zuströmen. Nur wer einmal im Orient gewesen ist und die große Trockenheit kennen gelernt hat, weiß, als wie etwas Besonderes ein bewässerter Garten empfunden wird und welch ein unglaublicher Schatz eine Wasserquelle ist, der es nie an Wasser fehlt. Hier in Mittel- und Nordeuropa, wo es Wasser in Hülle und Fülle gibt, nehmen wir dies als selbstverständlich wahr. Gemeint ist: Gott kann euch unerschöpfliche Energien schenken, die ihr zum Aufbau eures Landes braucht. Unwillkürlich möchten wir von dem Propheten wissen: Wann geschieht denn das? Hat Gott eine Bedingung dafür, dass er so zur Kraft zum Aufbau unseres Landes wird?
Mit einer wunderschönen Formulierung ruft der Prophet uns in die Verantwortung für alle, die Menschenantlitz tragen auf diesem Erdball: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! (V. 7) Wenn Mitmenschlichkeit unter uns einzieht, wenn sozialer Ausgleich geschieht, dann werden einem Volk Kräfte geschenkt, auch kaum lösbare Aufgaben zu meistern. Egoismus richtet ein Land zugrunde. Die Bereitschaft zum Teilen führt ein Volk, führt die ganze Menschheit zusammen und schenkt neue Kräfte.
Liebe Gemeinde, dies gilt zuerst für die nationale Ebene. Es ist ganz schlecht, dass die Reformen des Sozialbereiches, die wahrhaftig in Deutschland notwendig gewesen sind und die sogar noch weitergeführt werden müssen, mit dem Namen eines Mannes verbunden worden sind, der nun mit Luxusreisen und Sexgeschichten in Verbindung gebracht wird. Es lässt eben doch den Verdacht aufkommen, dass es den einen gut und immer besser geht, während es den anderen schlecht und immer schlechter geht. Das ist eine soziale Schieflage. Alle müssen ihren Beitrag zur Reform unserer Gesellschaft leisten. Bei denen im oberen Einkommenssegment sehen wir den Beitrag noch nicht. Es geht nicht um den gleichen Lebensstandard für alle. Der Bundespräsident hat Recht: Gleiche Lebensverhältnisse werden wir so bald in Deutschland nicht haben. Aber der, der am Existenzminimum lebt, soll Hilfe erfahren. Kein Mensch darf ohne Chance sein und sich als hoffnungsloser Fall fühlen. Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wir brauchen die Bereitschaft zum Teilen auch im weltweiten Maßstab. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Armut weltweit noch viel schlimmer ist, als wir sie hier in Deutschland wahrnehmen. Als ein Bild dafür steht mir die Szene vor Augen, wie ich vor einem Jahr in Zentraltansania, hunderte von Kilometern abseits jeder asphaltierten und befestigten Straße, eine junge Frau gesehen habe, wie sie mit einem Kind auf dem Rücken ihren Acker bestellt und anschließend vom nahe gelegenen Fluss mit einem alten Kanister Wasser zu jeder Pflanze auf diesem Acker bringt. Wie mühsam musste diese Frau ihre Kinder und ihre Familie ernähren, damit sie überhaupt etwas zum Essen hatte. Vor wenigen Wochen in China, in einer abgelegenen Provinz im Südosten des Landes bei den Angehörigen einer ethnischen Minderheit musste ich erleben, wie diese Menschen mit noch nicht einmal 70 Jahresverdienst ihr Leben fristen müssen. Andererseits ist China wohl das Land, das sich gegenwärtig am stärksten entwickelt und dessen Wirtschaft in einem unglaublichen Aufschwung begriffen ist.
Die Not in dieser Welt ist so groß, dass nur eine radikale Bereitschaft zum Teilen wirklich helfen kann. Jedes Jahr sterben durch Hunger und mangelnde Versorgung von Kranken etwa 10 Millionen Menschen, die ansonsten nicht sterben müssten. Bedenken Sie bitte: In den sechs Kriegsjahren von 1939 bis 1945 haben 52 Millionen Menschen den Tod gefunden. Und wir stehen fassungslos vor dem Grauen dieser Kriegstoten. Genauso fassungslos werden die nach uns kommenden Generationen sein, wenn sie sehen, dass das Sterben auch ohne Krieg im 20. und 21. Jahrhundert weitergegangen ist. Europa und Nordamerika werden gegenwärtig zu einer Burg, wohin die Menschen aus dem Süden vor Hunger und nicht ausreichendem Lebensstandard fliehen. Beinahe täglich können wir in den Fernsehnachrichten verfolgen, wie Menschen versuchen, in die Burg Europa einzudringen. Viele, aus Afrika kommend, bezahlen diesen Versuch mit dem Leben.
Ja, die Frage nach sich annähernden Lebensverhältnissen in Deutschland ist wichtig, das Problem der sich entvölkernden Landschaften im Osten Deutschlands, gerade auch hier in der Umgebung Pasewalks ist groß, aber die größte Herausforderung liegt für die Menschen des Nordens in der Frage, wie wir auf die Hilferufe der Menschen des Südens antworten. Werden wir ihre Rufe unbeantwortet lassen?
Dann, sagt Gott, antworte ich euch auch nicht! Darum erfahrt ihr mich nicht als Helfer in euren Nöten.
Liebe Gemeinde, die Probleme des Aufbaus Ost können nicht losgelöst von den Problemen des Aufbaus Süd gesehen werden. Wenn die Kräfte der Liebe und Fürsorge, der Solidarität und der Hilfsbereitschaft um sich greifen, dann wird auch die Verheißung, die damals schon der Prophet gegeben hat, erfüllt werden: Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. (V. 8 u. 9).
Gott ist schon einmal unter uns getreten. In seinem Sohn Jesus Christus ist er auf dem Plan. Er verkündet uns die gute Botschaft: Gott ist da! Ihr seid nicht unter euch. Gott teilt euer Leben. Darum macht er uns auch fähig, unser Leben zu teilen zwischen denen in West und denen in Ost, Nord und Süd. Solange in unserem Leben auseinander fällt, was zusammengehört, werden wir die Nähe Gottes nicht spüren. Die Verheißung der Nähe Gottes liegt über dem Leben, in dem die Zuwendung zu Gott und die Zuwendung zu dem Bedürftigen aus der gleichen Bewegung kommt. Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut. Hier, sagt Gott, bin ich wirklich da.
Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit dem Finger zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. (V. 9b und 10)
Vielleicht werden wir als deutsches Volk erst dann wieder Erfahrungen mit Gott machen, wenn wir mit den Hungrigen unser Brot brechen und die im Elend ohne Obdach sind, ins Haus führen.
Als ein kleines Zeichen dafür, dass wir die Menschen in der Dritten Welt nicht aus dem Auge verloren haben, soll in diesem Gottesdienst ein aus heimischem Mehl gebackenes Brot der Bäckerinnung Pasewalk gesegnet werden. Es ist ein Anfang, dass damit die Aktion Brot für die Welt gefördert werden soll. Aber wir werden noch viel radikaler unsere Probleme gemeinsam mit denen der Menschen aus der so genannten Dritten oder auch Zweiten Welt sehen müssen. Überall, wo in ein menschliches Antlitz schauen, ist Gerechtigkeit gefordert. Wer anfängt, Gott für den Segen zu danken, den er in sein Leben gelegt hat, beginnt auch die anderen Menschen um uns herum in den Blick zu nehmen, die unsere Fürsorge brauchen. Dankbarkeit führt zu Gott und zur Nächstenliebe. Die Fülle Gottes lässt auch unsere Mitmenschen nicht leer ausgehen. Amen.