Jetzt!

Predigt zu 2. Kor. 6, 1 – 10 anlässlich des Generalkonvents aller Pfarrerinnen und Pfarrer der Pommerschen Evangelischen Kirche

08. März 2006 von Hans-Jürgen Abromeit

Liebe Schwestern und Brüder!

Was macht es denn so dringend, dass „jetzt die Zeit der Gnade“ ist und nicht auch in Zukunft und eigentlich immer? Woran liegt es denn, dass „heute der Tag des Heils“ ist und nicht auch morgen und übermorgen? Gott hat uns doch immer lieb und nicht nur in diesem Augenblick, hier und heute. Heißt es nicht wenige Verse vor unserem Predigttext: „Gott versöhnte in Christus die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Kor. 5, 19)? Gottes Versöhnung geschah doch ein für alle Mal als Christus für die Sünden der Menschheit am Kreuz auf Golgatha starb. Diese Versöhnung hat doch kein Haltbarkeitsdatum. Sie gilt doch immer.

Warum also „jetzt“ und „heute“? – Natürlich gibt es bestimmte Situationen, die einmalig sind. Da muss man sofort reagieren und darf nicht warten. Die wöchentliche Aldi- Anzeige mit den Sonderangeboten z. B. ist so etwas. Wenn du nicht am frühen Morgen in den Laden gehst, hast du kaum eine Chance, das begehrte Sonderangebot zu erwerben.

Oder denken Sie sich folgende Situation. Das Telefon klingelt: „Guten Tag, hier ist das Bundeskanzleramt! Im Rahmen der Aktion ‚Politik für die Bürgerinnen und Bürger’ haben Sie Gelegenheit, Frau Bundeskanzlerin Merkel Ihren Wunsch an die Politik vorzutragen.“ Bei einem solchen Anruf gilt: Entweder jetzt oder nie!

Da hat sich der junge Mann durchgerungen und gesteht seiner Angebeteten seine Liebe. Jetzt muss sie antworten. Eine Liebeserklärung erwartet eine Antwort. Nicht zu reagieren, macht die Liebe kaputt. Auf eine Liebeserklärung kann man nicht mit einer Wiedervorlage antworten.

Wenn schon unsere Erfahrungen uns Situation ins Gedächtnis rufen, in denen es auf eine umgehende Reaktion ankommt, so gilt dies mehr noch für das Wort der Bibel, dass manchmal ein „jetzt“ benennt, dem wir uns stellen müssen. Im Grunde wissen wir das, aber wir Routiniers im Umgang mit der Bibel stehen in der Gefahr, alles schon zu wissen und deswegen den heißen Atem echter Kommunikation mit Gott zu vergessen.

Ich möchte Ihnen den vorgelesenen Bibeltext mit seinem „Jetzt!“ unter drei Aspekten auslegen:
1. Jetzt: Willkommen sein
2. Jetzt: Druck aushalten
3. Jetzt: Im Zwielicht stehen.

1. Jetzt: Willkommen sein

Versöhnen kann man sich nicht immer. Zur Versöhnung gehört nicht nur die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Ein Prinzip, eine allgemeine Überzeugung genügt nicht. Versöhnung beginnt mit einem konkreten Schritt aufeinander zu.

Gott ist diesen Schritt gegangen. Er will seine Menschen, die ihm weggelaufen sind, wieder haben. Er hat diesen Schritt auf uns zu getan. Gott ist Mensch geworden, damit wir ihn verstehen. Der große, unfassbare und unbegreifbare Gott hat sich menschenförmig gemacht, damit er mit uns kommunizieren kann.

Schließlich hat er sich noch weiter erniedrigt und hat sich von den Menschen ans Kreuz schlagen lassen. So wird Schuld vergeben. Gott erniedrigt sich bis zu diesem Akt der gewaltlosen Liebe, um uns zu zeigen, dass es ohne Opfer keine Sündenvergebung geben kann. Schließlich aber ist die tiefste Form der Erniedrigung Gottes die Bitte, mit der er seine Menschen zur Versöhnung einlädt und sich nicht aufzwingt: „So bitten wir an der Stelle Christi: lasst euch versöhnen mit Gott!“

Wenn wir dieses Wort von der Versöhnung, diese Bitte vernehmen, dann können wir Gott nicht warten lassen. Glauben heißt eben nicht, bestimmte Informationen für wahr zu halten. Sonst könnte ich sagen: „Das läuft mir nicht davon!“ „Dafür habe ich später noch einmal Zeit.“ „Damit kann ich mich später beschäftigen!“ Nein, Glaube ist eine lebendige Beziehung und ein persönliches Verhältnis zu Gott. Nein, wenn wir uns über Gott einreden, es sei seine Pflicht, jederzeit für Jeden erreichbar zu sein, dann täuschen wir uns. Dann stellen wir das Verhältnis von Gott und Mensch auf den Kopf. Wenn wir meinen, Gott habe immer Zeit, nur wir meistens nicht, haben wir unsere „schlechthinnige Abhängigkeit von Gott“ verdrängt. Wer ist denn dann die ausschlaggebende Instanz, die tonangebende Größe?

Der Glaube, der sich im Für-wahr-halten belangloser Wichtigkeiten erschöpft, ist unwichtig. Wenn der Glaube als schlechthinnige Abhängigkeit von Gott nicht immer wieder auch unsere Existenz als Pfarrerinnen und Pfarrer verändert, können wir ihn uns schenken. Ein Glaube, der unser Leben nicht verändert, ist nicht der Glaube der Bibel. In diesem Sinne hat Dietrich Bonhoeffer in einer seiner Frühschriften geschrieben: „Den Gott, den es gibt, gibt es nicht!“ Der Gottesglaube verändert mein Leben oder es ist kein Glaube an den Gott der Bibel. Der Gott der Bibel ist mir gegenüber und ruft mich täglich zu einer Existenz vor seinem Angesicht. Wieder Bonhoeffer: „Gott ist mir immer gerade heute Gott.“ Deswegen gilt natürlich: Wir sind Gott jederzeit willkommen. Aber wir haben von uns auch nicht täglich und immer zu Gott den gleichen Zugang. Wir haben kein Anrecht auf Gottes Gnade, denn Gnade ist immer das Geschenkte, gerade das, was ich nicht verdient habe, dann gilt Ihnen in diesem Augenblick das „Jetzt!“ und das „Heute!“ Wenn Sie gerade in einem Augenblick etwas von Gottes Gnade ahnen, beim Lesen der Schrift, im Hören einer Predigt, bei einem Gespräch dann sagt Gott: „Jetzt, bist du mir willkommen!“ „Heute ist der Tag des Heils!“

Aber die Verwechselbarkeit bleibt. Friedrich Nietzsches Ausspruch, die Erlösten müssen ihm erlöster aussehen, damit er an ihren Gott glauben könnte, geht an dem Charakter der Erlösung vorüber.

2. Jetzt: Druck aushalten

In unserer Mediengesellschaft hätte die Kirche gewiss mehr Erfolg, wenn sie der Forderung Nietzsches nachkäme. Immer lächelnde Kirchenvertreter vor den Kameras, ihr persönliches Glück verwirklichende Christinnen und Christen und lauter fröhliche Gottesdienste in den Gemeinden, das würde die Zahlen der Kirchenmitglieder erhöhen. (Ein bisschen mehr Fröhlichkeit würde uns wirklich gut tun!) Aber die Euphorie der Erlösten wird weder Gott noch dieser Welt gerecht. Gott drängt sich nicht auf, er lädt ein. Gott übt keinen Druck aus, er erleidet Druck (Gottfried Voigt). Der Apostel Paulus, über dessen Worte wir ja gerade miteinander nachdenken, hat in seinem Leben oft erfahren, dass dieser Grundzug Gottes auch seine Existenz geprägt hat. Er hat sich getröstet – und auch wir können uns damit trösten, - dass der Diener nicht mehr ist als der Herr. Und Paulus war in Bedrängnis, in Angst und Not. Im gleichen Brief schreibt er: „Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen, ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefem Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern… in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden.“ ( 2. Kor. 11, 23 b – 26 a. 27 f.)

Ja, das alles hatte Paulus zu ertragen. Aber die Korinther hat das nicht beeindruckt. Vielmehr fanden sie, dass das Leiden und die Not des Apostels gegen ihn spräche. Erfolg hätte ihnen imponiert. Eine boomende Statistik des Wachstums von Gemeinden hätte Eindruck hinterlassen. Aber so gaben sie dem Apostel zu verstehen: „Du bist nicht faszinierend und nicht attraktiv.“ In der Existenz des Apostels spiegelt sich die Signatur Jesu Christi wider. Seine Botschaft war „das Wort vom Kreuz“. Dieser Botschaft entspricht keine von Erfolg zu Erfolg schreitende Kirche. Es wird innerkirchlich und außerkirchlich Druck gegen uns ausgeübt werden. Aber „jetzt“ müssen wir diesen Druck aushalten und „heute“ stehen wir in einem gewissen Zwielicht.

3. Jetzt: Im Zwielicht stehen

Die Leute wollen die heile Welt. Wenn ich es schon nicht packe, nach Gottes Geboten zu leben, dann sollte es wenigstens der Pastor schaffen und seine Ehe darf deswegen nicht zerbrechen und schlimme, kontingente Ereignisse, dürfen ihn nicht ereilen. Die Sehnsucht nach der heilen Welt und dem ungebrochenen Leben will ich mir von der Realität nicht nehmen lassen.

Aber diese Sehnsucht, liebe Geschwister, wird erst im Himmel erfüllt. Natürlich sehen wir diese heile Welt auch schon jetzt. So ging es auch damals schon den Korinthern. Wer war in ihren Augen schon der Paulus von Tarsus? Ein Unbekannter, ein hinfälliger, sterblicher Mensch, eine traurige Gestalt und eine arme Figur. Ja, sagt Paulus, in diesem Zwielicht stehe ich. Aber es ist auch das Licht dieser und der kommenden Welt, das auf mich fällt. Ja, sagt Paulus, es stimmt. Ich habe keinen großen Namen, wie die Philosophen und Rhetoriker, aber trotzdem bin ich kein No-Name-Produkt. Mein Name ist nicht unbekannt. Gott kennt ihn!

Ihr Korinther mögt mich für eine wenig imponierende Person halten. Ich habe auch keinen Besitz. Aber ich kann euch reich machen, denn ich habe das Wort von der Versöhnung und lade euch zu Gott ein: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“

Die Christen, die 1989 in Leipzig und anderswo für den Frieden gebetet haben, waren auch keinen besonderen Menschen und trotzdem haben sie die Geschichte Deutschlands mitgeschrieben. Die Pfarrerinnen und Pfarrer und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei uns hier in Vorpommern Gemeinde aufbauen und Hoffnung stiften samt Bischof und Superintendenten, wir alle sind auch keine besonderen Größen, aber wir leben aus der Kraft Gottes. Wir gehören zu denen, die nichts haben und doch im Lichte der Ewigkeit alles haben. Auch, wenn wir jetzt im Zwielicht von Zeit und Ewigkeit stehen und wenn wir jetzt Druck aushalten müssen, sind wir doch Gott hoch willkommen.

Liebe Geschwister, auch uns als Routiniers des Umgangs mit dem lebendigen Wort Gottes gilt: Wenn Sie Gottes Einladung aufs Neue vernehmen, seinen Anspruch hören oder seinen Trost erfahren, dann zögern Sie nicht, ihm zu antworten, denn: „Jetzt! ist der Tag des Heils.“ Gottes Einladung ist besser als das Angebot des Supermarktes, das sich so viele nicht entgehen lassen wollen. Es ist wichtiger als der der Anruf der Bundeskanzlerin, weil es der Weltenherr persönlich ist, der uns einlädt.

Gott hat uns eine Liebeserklärung gemacht. Er erwartet unsere Antwort. „Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils. Amen.

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