Predigt zu Johannes 15, 1-8
25. April 2010
Liebe Gemeinde! Jubilate – das ist der Name dieses Sonntags: Jauchzt Gott alle Lande.
Und so jubelt die Schöpfungsmesse: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens – Erinnerung an die heilige Nacht, an die Geburt Jesu, Erinnerung an den neuen Anfang Gottes mit den Menschen. „…das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ – so heißt es im Wort dieser Woche.
Auf Dank und Lob bin ich gestimmt, dass ich heute hier mit Ihnen Gottesdienst feiern darf. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution hier zu stehen, zu sehen, was hat entstehen dürfen aus den Ruinen dieser im Krieg zerstörten Stadt und was hat werden dürfen aus den Trümmern dieser Frauenkirche, die ja weit mehr ist als ein wieder gewonnenes Zeugnis der Baukunst des Barocks! Sie ist Zeugnis der Überwindung von Unterdrückung. Und sie ist Zeugnis des Glaubens der Menschen, die festhalten an dem, was sie erfahren und gesehen und geglaubt haben: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden! Jauchzet Gott, alle Lande! Die Lesung aus der Hebräischen Bibel und die Musik der Schöpfungsmesse führen auf den Grund allen Jubels: es ist der Schöpfer allen Lebens selbst, dem sich alles verdankt, was lebt.
Das Wunder der Schöpfung Gottes aber ist gezeichnet auch von dem Riss der Zerstörung. An manchen Tagen, zu mancher Stunde mag uns der Jubelgesang im Halse stecken bleiben. Terroranschläge; Erdbeben; Soldaten, die in unserem Auftrag in Afghanistan in den Krieg geraten sind, fallen – und mit ihnen Afghanische Soldaten und Zivilisten: kein Friede breitet sich da aus, die Unsicherheit, das Misstrauen, die Angst wächst, sagen Soldaten, die da waren. Nur zwei Tage nach Ostern stürzt die Maschine ab, mit der der polnische Präsident und seine Frau und führende Menschen des Landes in den Tod fallen: Das Kreuz bringt sich und hält sich in Erinnerung: Nur wer den Schmerz mit trägt des Kreuzes, des Todes, des Leidens; nur wer entsetzlich findet den Schmerz der Gefolterten, Gefallenen, der Missbrauchten, der Familien, die die Ihren in Kriegseinsätzen verlieren; wer sich nicht abtötet gegen das Entsetzen des Todes – nur der wird finden die Spur der Überwindung. Wir brauchen die Verheißung unseres Glaubens, dass das Leben sich Bahn bricht durch alles Sterben hindurch: dass nicht alles bleiben muss, wie es war und ist.
Wir, die wir in Christus sind, die wir glauben den Gekreuzigten und Auferstandenen: wir sind die Osterbotschaft, den Schöpfungsjubel schuldig denen, die nicht wissen, wohin mit ihrer Angst und ihrer Trauer. Den Gefallenen, Verfolgten, geschundenen, missbrauchten und zertrümmerten Seelen sind wir den Aufstand des Lebens schuldig und die Erinnerung an den, der tatsächlich die Macht und die Herrlichkeit hat und ist!
III Ein Bild dafür zeichnet das Evangelium, das wir gehört haben: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner“ – so sagt Jesus. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Gott selbst ist der Weingärtner. Er erschafft und erhält den ganzen Weinberg mit seinem Segen. Er schenkt die Fülle, nicht wir machen sie. Er weiß, was Not tut und sorgt für die Bewirtschaftung. Er schaut auf den rechten Wuchs und er reißt aus oder pflegt die Triebe am Weinstock – allein nach seinem Urteil und nach seiner göttlichen Weisheit.
Jesus ist der Weinstock. Bei gutem Wuchs geradezu überwuchert von der Fülle der Blätter und Trauben. Unsichtbar – hinter Blättern und Trauben verborgen – trägt Christus, der Weinstock, alles und hält alles. Zurückgenommen hat er sich, gleichsam versteckt. Und wenn er sichtbar wird, nach der Lese, im Winter, dann liegt er da – nackt und bloß, entkleidet von Blättern und Früchten – unansehnlich und knorrig. Wie jetzt, nach dem Ende des Winters, auch an den Weinbergen hier am Elbufer zu sehen: man traut ihm nicht viel zu, dem Weinstock, ist verleitet, ihn heraus zu reißen aus dem Boden. Aber genau so – knorrig und unansehnlich ist Christus das Leben selbst. Und doch voller Lebenskraft. Das Holz auf Jesu Schulter wird zum Baum des Lebens. So ist für mich auch dieses Gotteshaus ein Zeichen für die Kraft des Weinstocks: aus dem Schutt entsteht neues Leben; die Wurzel hatte Kraft, neu auszutreiben, Leben in ihr ist nicht gewichen dem Hass oder der Gleichgültigkeit, nicht auch dem Unglauben, dass dies unmöglich sei.
Und schließlich wir, liebe Schwestern und Brüder, die Reben sind wir: In Christus bleiben sollen wir, fest verbunden sollen wir sein und bleiben mit dem, der das Leben ist, an ihm hängen, um ihn herum ranken. An ihm dürfen sich aufrichten die Mutlosen, die Geknickten, die Starken wie die Schwachen. Entfalten, wachsen, groß werden sollen wir Reben. Und –ausrichten sollen wir uns zum Licht. Dann wird es etwas mit unserem Wuchs und unserem Frucht-Bringen. „Denn ohne mich könnt ihr nichts tun“, sagt Jesus. Ohne mich verdorrt die Rebe, vertrocknet die Frucht. Das ist die Wurzel allen Übels: wenn wir Menschen die klare Rollenverteilung Gottes nicht akzeptieren, wenn wir selber Weinstock und Winzer sein wollen und heil machen wollen, Heil bringen wollen über die ganze Welt – das ist der Anfang vom Ende des Paradieses! Wenn wir selbst uns zu Schöpfern des Lebens erklären – wir sind so frei – dann verliert sich der Respekt vor dem Leben, dann bestimmt unser Lebenswandel das Klima dieser Erde!
Reben wissen um den Grund, in dem es sich sicher wurzeln lässt, wissen um die Quelle, aus der das Wasser des Lebens quillt, und sie wissen um das Licht, das die Dunkelheit erhellt.
IV Immer mehr Menschen wissen immer weniger von Gott und seinem Wort in Gebot und Verheißung; wissen immer weniger von den bergenden Traditionen und Riten; wissen immer weniger, wem sie sich verdanken, woher sie kommen. Und darum wissen sie immer weniger auch, wohin es gehen kann mit ihnen. Bleiben in Christus: Das heißt auch, immer neu zeigen und erklären und selbst erinnern, wo das Nahrhafte wächst, erzählen von Christus, dem Licht der Welt. „Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.“ Das ist das Zentrum unseres Auftrags, daran hängt alles, dass wir das Evangelium predigen und laut werden lassen Gottes Wort. Aber wir haben uns immer neu zu fragen, wie wir Kirche sein wollen in dieser Welt, sichtbar als Leib Christi, unterscheidbar in der Vielfalt der Früchte. Dabei bin ich sicher: Viele Menschen sind unverändert voller Sehnsucht nach Sinn – sie sind unverändert „unheilbar religiös“ – wie ein Spötter einmal gesagt hat. Menschen suchen und erfahren die christliche Kirche bei Gelegenheit von Taufe, Trauung und Beerdigung; Sie erleben Kirche an ihren Kindern, die unsere Kindertagesstätten aufsuchen oder unsere Diakonie in Anspruch nehmen. Oder sie kommen voller offener Neugier hinein in offene Kirchen, wie etwa die Frauenkirche eine ist. Hier wird hörbar und erfahrbar das Wort, das uns heil machen und Richtung geben kann unserem Leben, wird sichtbar der Weinstock und die Fülle, die er hervorbringt. Also: Nicht den Mangel müssen wir verwalten, sondern den Reichtum, der uns geschenkt ist, wollen wir teilen. Weitergeben die Früchte, die wir tragen. Reben sind Menschen, die laut werden lassen Gottes Leidenschaft für das Leben. Die tragen die Früchte – die süßen wie die sauren! Und bleiben an ihm!
„Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt…“ – diese harte Seite des Evangeliums blenden wir gern aus. Aber sie offenbart nicht einen erbarmungslosen Gott, sondern einen, der entschieden ist: es ist dem Weingärtner nicht gleichgültig, was geschieht oder nicht geschieht in seinem Weinberg. Auf Krieg und Terror, Verfolgung und Ungerechtigkeit liegt der Segen nicht und nicht auf Hass und Missbrauch – das gehört entfernt. Es ist Gott, dem Winzer, nicht gleichgültig, was seine Reben tun und wie sie es tun. Alle Menschenverachtung, aller Missbrauch,Lüge wachsen nicht aus der Wurzel des Weinstocks. Die Krise um die Missbrauchsfälle wirft einen Schatten auf den ganzen Weinberg Gottes – gerade, wenn da, wo Vertrauen gesucht wird, in Familien, Schulen und Kirchen, Vertrauen missbraucht wird. Dann drohen die guten Früchte zu vertrocknen und die Reben verdorren. Wir brauchen Reinigung der Reben. Umkehr nennt das die Bibel, Buße. Umkehr brauchen wir zur Demut vor allem Leben: die Würde des Menschen muss unantastbar bleiben – und sie ist es auch bei Gott!
Ihr seid die Reben, sagt Jesus: an euch sollen wachsen diese Früchte, und jeder, der sich daran nährt, soll wissen, woher sie kommt, diese Frucht, wem sie sich verdankt.
V Die Früchte-Trägerinnen und –träger geben sich nicht zufrieden mit dem, was immer schon so war. Sie rücken ins rechte Licht alle Schuld und geben den Opfern Raum und hindern Täter daran, sich aus dem Staub zu machen. Sie stehen auf gegen alles, was dem Leben im Wege steht: Hass, Missbrauch, Ungerechtigkeit. Sie treten ein für das Leben und für das Zusammenleben der Kulturen. Die, die tragen die Früchte, bleiben in Gott, bleiben in der Spur dessen, der die Sünder besucht, der die Fremden aufnimmt; der anfängt, aufzuhören mit dem Wegsehen und Vertuschen von Gewalttaten an Menschen. Der uns hinsehen heißt auf die Opfer schlimmen Missbrauchs an Leib und Seele. Der Lüge und Vertuschung aufdeckt und Mut gibt zu neuem Anfang. Der die Friedenstifter selig preist – hier im Lande und überall sonst. Bleibt in mir – das heißt auch: fangt an, aufzuhören mit der Gewalt, die auch unschuldige Zivilisten bedroht. Lasst uns nicht nachlassen, den Frieden vorzubereiten mit den Kindern in Schulen und Kindertagesstätten hier und überall in der Welt, damit sie den Krieg nicht mehr lernen und sehen die Fußstapfen Jesu. Seht auf uns, haben mir Soldaten vor Ostern gesagt, die in Afghanistan und an anderen Orten im Einsatz waren und wieder sein werden: lasst uns nicht allein mit den Waffen, mit denen ihr uns da hinschickt! Denn allein unsere Waffen schaffen den Frieden nicht. Wenn der Satz stimmt, dass unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird, dann muss der Satz auch umgekehrt gelten: die Freiheit der Menschen am Hindukusch wird auch hier gewonnen und verteidigt: an der Weise, wie wir hier über Krieg und Frieden denken; an der Weise, wie wir hier die Fremden behandeln und aufnehmen; wie wir hier Gerechtigkeit üben und teilen, was wir zum Leben haben; wie wir abgeben denen, die nichts haben. Und an der Weise, wie wir den Mut entwickeln, gegen die kommerzielle Bewaffnung verfeindeter Gruppen in Krisengebieten uns einzusetzen! Wir müssen, über alle Betroffenheit hinaus und durch alles Entsetzen hindurch immer wieder neu fragen, was dem Frieden und was dem Leben dient und alles Handeln und Reden messen am Weinstock des Herrn. Die am Weinstock hängen und von ihm Lebenskraft beziehen, geben sich nicht zufrieden mit Krieg und Terror wo auch immer und in welcher Gestalt auch immer. Sie ruhen nicht, bis überwunden ist die immer neue Gewalt. Sie sehen die Realität der Welt. Und sie glauben die Realität Gottes in ihr, der Neues schaffen will, der dem Tod nicht die Macht überlässt.
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, ich mache alles neu! – der, der angefangen hat aufzuhören mit der Gewalt; der die Friedenstifter selig preist; der die Geknickten aufrichtet und die die Schwachen besucht und die Kranken heilt; der die Traurigen tröstet mit Worten des Lebens; der Schuld vergibt: der bleibt in uns, die wir bleiben in ihm:
Jubilate! Amen.