Predigt zu Lk 6, 20-27 anlässlich der Diakonischen Konferenz des Diakonischen Werkes (EKD)
13. Oktober 2009
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Nun hängen sie nicht mehr – die Plakate, die um unsere Stimmen warben: „Mehr netto vom Brutto“, „Reichtum für alle“. Das verstellt nicht mehr den Blick. Da lobe ich mir die Bibel – wo es heißt in den Sprüchen Salomos (30,8b.10): „Armut und Reichtum gib mir nicht … Ich könnte sonst, wenn ich zu satt würde, verleugnen und sagen: Wer ist der Herr? Oder wenn ich zu arm würde, könnte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen.“
Es ist der einzige Bibelvers, in dem Armut und Reichtum gemeinsam Erwähnung finden. Die Schrift spricht lieber personal von Armen und Reichen als abstrakt von Armut und Reichtum. Und sie kann nicht genug reden von Gerechtigkeit für die Bedrängten – im Namen Gottes, als seiner Herzensangelegenheit. Sie legt Wert darauf: „Der Gerechte weiß um die Sache der Armen.“ (Spr 29,7a)
Was heißt es, „um die Sache der Armen wissen“?
• Statistisch kann man zum Beispiel wissen, dass mehr als 40% aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren in Schwerin an und unter der Armutsgrenze leben. Aber oft genug leiden wir nicht an einem Mangel an Informationen, sondern es fehlt uns an Hinsehen, an Begegnung und Beziehung.
• Aus der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“ gewinnen wir die Einsicht, dass es – auch global gesehen – eines grundlegenden Kurswechsels bedarf: Weil der bloße Markt blind ist für Ökologie und Gerechtigkeit müssen „menschenrechtliche Leitplanken und ökologische Begrenzungen … den Rahmen für ökonomische Ziele definieren und, wenn notwendig, beschränken“. ¹
• „Euch Reichen wird es schlecht ergehen“, warnt Jesus, „ihr verliert euren Trost“. Wir kennen unsere Rolle in der globalisierten Welt: Europäische Trawler schnappen senegalesischen Fischern den Fang weg. Arbeitslos geworden, machen sich diese Menschen dann als Bootsflüchtlinge auf den Weg nach Europa. Daher werden sich „die Lebensrechte vieler Armer in der Welt … nur sichern lassen, wenn die globale Klasse der Vielverbraucher ihre Nachfrage nach Naturressourcen verringert.“ ²
• Wir können insgesamt wissen: „Arme sind verhinderte Akteure … Armutsbekämpfung verlangt nach mehr Rechten und Selbstbestimmung. Armut kann dauerhaft nicht durch Experten, Geldgeber oder Unternehmen, die von außen gerufen werden, bekämpft werden, sondern nur durch die Armen selbst. Notwendig ist ein Ermächtigungsprogramm, das ihren Gestaltungsspielraum erweitert und Machtverschiebungen anstrebt.“ ³
¹ Wegmarken für einen Kurswechsel. Zusammenfassung der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“ des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie, S. 5
² A. a. O., S. 12
³ A. a. O., S. 19
Wie in Otjivero etwa, einer 1000-Einwohner-Siedlung in Namibia. Bis vor einem Jahr gab es über 70% Arbeitslose. Die Unterernährungsrate lag bei 42%. Schulbildung hatten wenige. Alkoholismus, Kriminalität, Aids – dafür war der Ort bekannt. Nun hilft ein Grundeinkommen gegen Hunger und Armut: 100 Namibia-Dollar im Monat, umgerechnet 9 €, für jeden und jede ohne Auflagen oder Gegenleistung. Noch stammt das Geld aus Spenden, z.B. aus den evangelischen Kirchen in Rheinland und Westfalen. Zukünftig soll es aus Steuern kommen. Die Wirkungen sind verblüffend: Frieda Nembwaya zum Beispiel kaufte vom ersten Geld einen Sack Mehl, etwas Hefe, Feuerholz und ein Aluplatte. Sie grub ein Loch in den Sand vor ihrer Hütte, legte das Holz hinein und zündete es an. Darüber stellte sie eine Öltonne, die sich erhitzte. Aus dem Mehl hatte sie einen Teig angerührt, den sie in leere Sardinenbüchsen füllte. Sie stellte alles in die Tonne und legte die Platte obenauf. Nach 20 Minuten hatte sie ihre ersten Minibrote. Sie fing an sie zu verkaufen. 1$ für ein kleines Brot. Später kamen Brötchen und Kuchen dazu. Heute hat sie einen eigenen Herd. Damit bäckt sie täglich 250 Minibrote. Sie ist unabhängig geworden. Ihre Kinder gehen zur Schule.
Andere Frauen besorgten sich Stoffreste und begannen Kleider zu nähen. Einer kaufte Zement und formt nun Ziegelsteine. Ein anderer begann, Schuhe zu reparieren. Andere halten Hühner oder bauen Mais an.
Ein Mann kam einmal zu den Initiatoren des Projekts gelaufen und sagte strahlend: „Seht ihr nicht?“ Sie fragten ihn, was er meine. „Seht ihr nicht, ich habe jetzt eine Hose und ein T-Shirt. Ich bin jetzt ein Mensch.“
„Glücklich seid ihr Armen“, sagt Jesus, „denn die Herrschaft Gottes ist auf eurer Seite.“
Schwestern und Brüder, die Seligpreisungen und Weherufe der Feldrede Jesu benennen, was ist, mit einer Klarheit und Schärfe, die uns beschämt, vielleicht erschrecken mag. Ob dieser Text deshalb keinen Eingang in die Predigtreihen unserer Gemeindegottesdienste gefunden hat?
Anders als in den Seligpreisungen des Matthäus-Evangeliums werden Arme und Reiche hier direkt angesprochen. Es wird nicht ‚ihrer gedacht’, sie werden nicht statistisch ‚erfasst’. Jesus wendet sich ihnen zu, unmittelbar, von Person zu Person. Die Armen in der Perspektive Jesu sind keine Objekte von Hilfe – und sei es Hilfe zur Selbsthilfe.
„Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer“ – das verheißt den Armen ohne Wenn und Aber:
Ihr seid dem Herzen Gottes nahe. Die Verhältnisse sollen – um Gottes willen – nicht so bleiben, wie sie sind. Das Leben
wird sich verwandeln.
Dieser Zuspruch für die Armen – er ist eine Art ‚Grundeinkommen für die Seele’, ein Ermutigungspotential, sich die Würde, das Recht nicht streitig machen zu lassen. Jesu Verheißung ermächtigt die Armen, das Leben selbstbestimmt zu bestehen. Seine Worte orientieren den Hunger nach Leben auf das Wesentliche – auf Gerechtigkeitsliebe und die Verheißungen Gottes.
Auf der anderen Seite, genauso klar: „Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt.“
Es tut Gott im Herzen weh.
Wie können diese Menschen sich nur zufrieden geben mit Lebensersatz!
Sie verfehlen das Leben, wie Gott es gemeint hat.
3
Und was sage ich ‚sie’? Wir können das Leben verfehlen! Und das nicht irgendwie, sondern als Gefangene unseres Reichtums!
„Ändert euren Sinn, so werdet ihr leben“, sagt Jesus. Um unsere Art zu leben geht es. Um Strukturen des Wirtschaftens und der Verteilung. Um unsere Ängste und Ansprüche. Das Evangelium macht uns empfindsam – für die Not der Leidenden und für die Verkehrtheiten unseres eigenen Lebens. Das Evangelium setzt uns den Kopf zurecht. Es nimmt uns die blödsinnige Angst, wir könnten zu kurz kommen. Und es gibt uns die Kraft, uns einzumischen in den Gang der Dinge. Alle, die sich nicht abspeisen lassen wollen, dürfen sich freuen: „Glücklich seid ihr Hungrigen, denn ihr werdet satt werden. Und: Glücklich seid ihr Weinenden, denn ihr werdet lachen.“
Amen.
Und der Friede . . .