ST. PETRI-DOM ZU SCHLESWIG

Predigt zu Matthäus 28, 1-8 und dem Bild „Ostermorgen“ von Uwe Appold

05. April 2010 von Gerhard Ulrich

„Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des Herrn behält den Sieg! Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen…Dies ist der Tag, den der Herr macht…“ Denn: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

So klingt der Osterjubel. Und wir stimmen ein mit unseren Liedern, voller Hoffnung auf neuen Anfang. 

Nicht immer können wir das das. Manchmal ist das andere stärker: der Schrecken, der Schmerz. Ostern beginnt mit dem Entsetzen, hören wir im Evangelium. Wir sollten nicht zu schnell unser Halleluja singen. Vieles und viele liegen am Boden in unserem Land und in unserer Welt – Menschen, Länder, Völker, ganze Kontinente - an die Wand gefahren, missbraucht, zerrissen, mit Gewalt, Terror und Schmerz überzogen. Gerade nach der vergangenen Woche ersehne ich Ostern, das aufgehende Licht: Terroranschlag in Moskau; Gewalt im Gaza-Streifen; Soldaten, die in unserem Auftrag in Afghanistan in den Krieg geraten sind, sterben, als sie Tod bringende Minen entschärfen wollen – und mit ihnen Afghanische Soldaten – keine Friede breitet sich da aus, die Unsicherheit, das Misstrauen, die Angst wächst, sagen Soldaten, die da waren. Und ihre Familien: wie gehen sie zu auf Ostern, nach diesem Karfreitag, an dem so brutal sichtbar wird, dass das Sterben am Kreuz von Golgatha nicht die Geschichte eines Mannes vor langer Zeit nur ist, sondern dass dieses Kreuz sich aufrichtet in unsere Zeit hinein. Wir brauchen die Verheißung unseres Glaubens gerade jetzt, dass nicht alles dem Tod überlassen bleibt, dass das Leben sich Bahn bricht durch alles Sterben hindurch: dass nicht alles bleiben muss, wie es war und ist. Wir sind denen die Osterbotschaft schuldig, die nicht wissen wohin mit ihrer Trauer, ihrer Angst, den Opfern von Missbrauch und Hass: den Aufstand des Lebens gegen alle Gewalt sind wir ihnen schuldig. 

Keine der Ostergeschichten in den Evangelien beginnt mit Freude und Siegesjubel. Beides steht erst am Ende des Weges, den die Frauen am Ostermorgen gehen. Sie kommen vom Kreuz, Maria Magdala und die andere Maria, noch ganz und gar besetzt von Trauer und Entsetzen. Jesus, Träger ihrer Hoffnungen: gescheitert an der Macht des Todes. Aber die Frauen lassen sich nicht lähmen wie die Jünger. Auseinander gelaufen sind die, haben sich verkrochen. Das ist ein vertrauter Reflex angesichts des Leids und der Gewalt: wegsehen oder besser. Die Frauen haben sich nicht mit Grauen abgewandt, sondern sie wagen sich zum Grab. Sie stellen sich dem Schmerz. Blumen nehmen sie keine mit, dafür ihr ganze Liebe und wohlriechende Öle, wie es sich gehört. Die sollen das gelebte Leben, das Glück, die vergangene Seligkeit bewahren, festhalten, konservieren. Unvergessen soll er sein und bleiben, er, der jetzt im Grab liegt, und die eigene Hoffnung und Liebe, die in seiner Nähe lebendig war und das Leben hell und leicht macht. 

Und dann bebt die Erde. Auf dem Friedhof: der furchtbare Schock. Angst und Schrecken. Der Stein ist weg gewälzt, das Grab steht offen. Wunderbar hat Uwe Appold das dargestellt, mit diesem Loch mitten in seinem Bild. Und so stehen sie da: ratlos, verwirrt, zutiefst bestürzt. Der totale Umsturz: Kein Toter da, kein Tod mehr - worauf soll man sich da noch verlassen können? Selbst die Schergen mit ihren Panzern und Waffen - sie sind wie tot. Es ist, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles Feste, Gewohnte, Vertraute beginnt zu wanken. Das ist der Gipfel des Schreckens, der Trauer: Jesus tot, und nun auch noch die letzte Gewissheit, das Letzte, worauf Verlass war, der Tod, nicht mehr zu fassen: da, wo das Liebste begraben war, wo das Zentrum ihres Lebens, ihre Hoffnung, ihre Liebe hingelegt, abgelegt, zur Ruhe gelegt war, gähnt ein Loch, eine gewaltige Leere! Und mehr noch: die Leere taucht Uwe Appold ganz ins Licht Gottes, zieht das tot Geglaubte ins Lebenslicht, leuchtet es ins Licht unter dem Bogen Gottes! Furcht und Freude, Schrecken und Aufstand; Irrtum unserer Weisheit, die das Leben nur sucht in dem, was fassbar, sichtbar und berechenbar ist: es ist nicht hier. Da bebt die Erde: weil nichts von dem, was wir tot sagen, verborgen bleibt – nicht alle Schuld, nicht der schlimme Missbrauch an Leib und Seele so vieler Menschen gerade da, wo Vertrauen gesucht wird, in Familien, Schulen und Kirchen; keine Ungerechtigkeit wird sich verstecken lassen vor dem, der den Bogen seines Bundes über uns spannt; keine Opfer von Gewalt, Terror, Krieg und Missbrauch werden sich aus diesem Leben fernhalten lassen und die Täter und ihre Taten auch nicht. Alles, was wir für tot erklären und begraben ein für allemal, erscheint im Licht, als Teil des Lebens immer noch. Die noch so saubere Kante, die noch so akkurat gepflanzten Blumen um das Grab herum können nicht bergen und halten das Totgesagte und den Tot Geglaubten auch nicht. Die geschmückte Leere des Grabes, der eilig fallen gelassene Stoff verweisen auf eine andere Kraft und Macht: er ist nicht hier! 

So wenig wie Jesus werden unsere Hoffnungen tot bleiben. Der Ostermorgen, der mit dem Beben der Erde beginnt, mit Furcht und Zittern, lehrt uns, mit den Frauen loszugehen, hinzusehen, auszuhalten: nur wer den Schmerz mit trägt des Kreuzes, des Todes, des Leidens; nur wer entsetzlich findet den Schmerz der Gefolterten, Gefallenen, der Missbrauchten, der Familien, die die Ihren in Kriegseinsätzen verlieren; wer sich nicht abtötet gegen das Entsetzen des Todes – nur der wird finden die Spur der Überwindung. 

Hier beginnt die Befreiungsgeschichte des Glaubens, hier ist seine Kraftquelle: nichts ist zu Ende, alles fängt neu an. Leben steht auf gegen den vielfältigen Tod! Am Tiefpunkt der Katastrophe beginnt die neue Geschichte: der geschunden und begraben worden war, ist auferstanden! Man sollte meinen, das sei befreiend. Aber zuerst ist es zum Fürchten. Das andere, was die gedrückten Seelen wieder auf die Beine bringt - das muss mit Menschen- und mit Engelszungen gesagt werden, damit wir es hören. Muss getrommelt und gesungen werden – und ist echt vielleicht nur mit der Stimme eines Kontinents, der heute auch zerrissen und missbraucht am Boden liegt, ausgebeutet, erschüttert von Bürgerkriegen, Krankheit und den Folgen des Klimawandels: oft vergessen in all den Konflikten der Weltgeschichte. 

TEME! Steh auf, Fürchte dich nicht! 

Musik 

"Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben", sagt das Evangelium, "denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf." Das ist der Morgen des neuen Tages: Menschen mit zerrissenem Herzen und zerbrochenem Glauben finden den Engel ihres Lebens wieder. So kommen sie wieder auf die Füße, werden neu geboren, stehen auf - zu ihrer eigenen Auferstehung. TEME - stand up. Don't be afraid. Fürchtet euch nicht! Seht die Stätte, wo er gelegen hat! 

Ich sehe den Osterengel. Von oben kommt er, vom Himmel, wo alles Gute wohnt. Licht, Sonne, Wärme, Klarheit. Ein Bote ist er, Bote des Himmels. Ohne das Tödliche, voller Leichtigkeit, frei von Angst, nur Licht und Klarheit. "Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee". 

Und ich sehe, was sein Kommen bewirkt. Alles Tödliche, Tote, Erstarrte, – die Soldaten, der Stein, dieses kleine Karo des Grabes, das Uwe Appold uns zeigt – sie werden noch einmal wie mit einem Scheinwerfer beleuchtetet - und sinken dann kraftlos in sich zusammen. 

"Fürchtet euch nicht!...Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Geht hin und sagt es seinen Jüngern! Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen." Und dann geschieht das österliche Wunder an ihnen: sie lassen sich in Bewegung setzen, gehen los auf das göttliche Wort hin. Keine kritische oder skeptische Nachfrage: sie haben genug gesehen, haben verstanden. Es ist die Geburtsstunde des Glaubens. Durch den Schmerz der Trauer hindurch kommt er zu Tage. „…mit Furcht und großer Freude“ wenden sie sich weg vom Grab. Nicht, weil sie ihn gesehen haben, glauben sie, sondern weil sie glauben, sehen sie ihn, begreifen ihn und sagen weiter, was sie im Glauben begriffen haben: Leben hat Kraft und Macht über den Tod hinaus. 

Das ist die Kehre. Kein Ende, ein Anfang. Nicht die Nacht des Grabes, nein, der Morgen eines neuen Lebens. Im Angesicht des Sterbens schon. 

Und dann spricht der Osterengel mich ganz direkt an." TEME! Steh auf! Du brauchst keine Angst zu haben. Dein Meister, der Engel deines Lebens, wahrer Mensch und wahrer Gott, er ist nicht verworfen. Du selbst bist es auch nicht. Bleibe bei ihm. TEME! Wage den aufrechten Gang. Du musst dich vor nichts und niemand verstecken. Das Tödliche hat nicht das letzte Wort. Schau nach vorn! Hab Vertrauen! Gott will dich, will und braucht dein Dasein, dein Leben. Du bist nicht allein. Du gehst an der Seite des Unzerstörbaren und Ewigen."

 „…er wird vor euch hergehen…“ – der, der angefangen hat aufzuhören mit der Gewalt; der die Friedenstifter selig preist; der die Geknickten aufrichtet und die glimmenden Dochte neu entflammt; der die Schwachen besucht und die Kranken heilt; der Schuld vergibt. Du hast ihn nicht hinter dir, er ist nicht Vergangenheit – du hast ihn vor dir, er ist dir Zukunft. Damit du wissen kannst, wohin es geht mit dem Leben: damit du auf die Beine kommst gegen alle Gewalt und gegen den Hass in der Welt; damit du dich nicht zufrieden gibst mit dem, was war; damit du hinsiehst und den Mund auftust für die Schwachen und Elenden; damit du siehst die Ungerechtigkeit, den Graben zwischen Arm und Reich in diesem Land, in dieser Welt: TEME, steh auf für dich, für dein Land, für den Nächsten. Pflanz nicht Blumen um deine Schuld, sondern schütte sie aus unter den Bogen Gottes. Die Menschen in Afrika machen uns das vor: sie sehen das Elend und die Zerrissenheit; sie müssen erleben die Folgen des Klimawandels, die Wüstenflächen und die Fluten und die Fluchtbewegungen allüberall. Und sie machen den Mund auf, streiten: TEME, steh auf, bleib nicht sitzen, als ginge dich das nichts an. Steh auf gegen Missbrauch und Sklaverei, gegen Menschenhandel und Aids. Mach deinen Mund auf, lass dich entsetzen – wie Jesus das tut, vor uns her. Seht auf uns, haben mir Soldaten in der vergangenen Woche gesagt, die in Afghanistan und an anderen Orten im Einsatz waren und wieder sein werden: lasst uns nicht allein mit den Waffen, mit denen ihr uns da hinschickt! Definiert den Auftrag und redet nicht drum herum: wir sind hier im Krieg und der geht uns alle an. Und allein mit unseren Waffen schaffen wir den Frieden nicht. Seht auf unsere Angst und seht auf unsere Familien. Schafft Frieden, fangt an aufzuhören! TEME – steht auf, für uns, für unser Land, für die Fremden. 

Und dann schaue ich noch einmal auf Uwe Appolds Bild, und sehe, wie ein Tor sich vor mir öffnet, ein Weg aus Licht, in ein weites und freies Land unter dem leuchtenden Bogen am Himmel. Was Ostern geschieht, ist Ermächtigung des Lebens zum Leben. Es will uns auf die Beine bringen: wegrufen vom Starren auf die leeren Gräber unserer enttäuschten Hoffnungen und gescheiterten Pläne: „Fürchtet euch nicht…er ist auferstanden, wie er gesagt hat!“ 

"Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen." TEME! Hab keine Angst. Steh auf, komm auf die Füße. Der Tot ist getötet, der Engel deines Lebens lebt. Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Amen.

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