27. November 2022 | Lübeck

Predigt zum 1. Advent 2022 im Dom zu Lübeck

27. November 2022 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigttext: Offenbarung 3,14-22

Tatatataaa - dreimal kurz, einmal lang - so soll es sich anhören, wenn das Schicksal an die Türe klopft. Unüberhörbar, drängend, unnachgiebig. Tatatataaa - die ersten Takte von Beethovens 5. Sinfonie wurden und werden oft in dieser Weise interpretiert: So klopft das Schicksal an die Pforte. Tatatataa - drei kurz, eines lang. Im Morsealphabet ist das die Tonfolge für den Buchstaben V. Die BBC, der britische Rundfunk, verwendete im Zweiten Weltkrieg genau diese Tonfolge  - den Buchstaben „V“ für Victory - als Erkennungs-zeichen.

Ob ursprünglich so beabsichtigt oder nicht - die BBC nahm die Tonfolge der Sinfonie, die die Nationalsozialisten in Deutschland missbräuchlich als „Sinfonie der nationalen Erhebung“ für sich in Anspruch nahmen und deutete sie um. So pocht das Schicksal an die Pforte - hieß die Botschaft der BBC. Das Gute wird sich nicht geschlagen geben. Es wird gewinnen. Tyrannei und Terror überwinden. Für meinen Großvater, so hat es mir mein Vater erzählt, waren die BBC-Töne ein Hoffnungszeichen. Heimlich hat er auf sie gehört. Auf die Nachrichten, die dort der Durchhaltepropaganda des Nazi-Regimes die Wahrheit entgegenhielten. Für ihn war es wichtig zu wissen, dass es in finsteren Zeiten der Lüge Anwälte der Wahrheit gibt.

Und auch heutzutage ist das wichtig, überlebenswichtig: wenn den Propagandanachrichten von einer angeblichen Spezialoperation Russlands in der Ukraine die Wahrheit eines grausam geführten Krieges entgegengehalten wird. Wenn im Iran Menschen auf die Straße gehen, wenn sie unter dem Motto „Frauen. Leben. Freiheit“ öffentlich zeigen, was es in ihrem Land nicht gibt: Rechte für Frauen, Lebens-perspektiven, Freiheit. Wie wichtig es ist, dass es Anwältinnen der Wahrheit gibt und wie schmerzhaft es ist, wenn sie fehlen, zeigt uns auch die Debatte um eine Armbinde bei der WM in Katar. Eine Armbinde, die nichts sein sollte als ein kleines Zeichen gegen Diskriminierung, für die Menschenrechte aller Menschen. Die Androhung einer gelben Karte ließ vor dem Zeigen dieses Zeichens zurückschrecken, noch bevor es überhaupt getragen wurde. Ein Vorgang, der Anlass gibt, uns auch selbst zu fragen: Was sind wir, was ist jede und jeder Einzelne von uns bereit, für unsere Werte ernsthaft zu riskieren?

Anwältinnen der Wahrheit sein, Anwälte einer großen Verheißung, einer ungeheuren Hoffnung, darum geht es auch heute und hier, am 1. Advent. Denn:

Siehe, Dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.

Er ist schon ganz nah, er selbst will und mit ihm sollen seine Liebe, seine Barmherzigkeit, seine Gerechtigkeit, unter uns, bei uns wohnen. Ein erstes Licht in der Dunkelheit ist schon angezündet. Denn hell soll es werden, Liebe soll alle umfluten, Gerechtigkeit alle umfangen, Trost alle Tränen trocknen. Ganz nah ist das alles, ganz nah. Machen wir die Tore hoch, die Türen weit, damit all das, damit der Gerechte, Helfer und König bei uns einziehen kann?

Ihr werdet das nur können, so die Botschaft des Sehers Johannes, ihr werdet das nur können, wenn ihr zuvor reinen Tisch macht. Wenn ihr wahrhaftig seid. Wenn ihr euch befreit von falschen Selbstbildern. Von einschläfernden Selbsttäuschungen. Wenn ihr also barmherzig seid, auch mit euch selbst. Barmherzig, weil ehrlich. Seine Worte sind gerichtet an die damals junge christliche Gemeinde in der Stadt Laodizea.

Laodizea war eine Metropole, eine wohlhabende Handelsstadt. Zahlungskräftige Einwohner und betuchte Gäste gingen dort ein und aus. Sie bekamen dort alles, was das Herz begehrt: Gutes Leben, schöne Kleidung, kulturelle Angebote, hervorragende medizinische Versorgung. Wer die Stadt besuchte, kam in den Genuss der nahegelegenen heißen Quellen. Ihr Wasser wurde über Äquadukte direkt in die Stadt geleitet. Es kam dort jedoch nicht mehr heiß,  sondern nur noch lauwarm an. Aber wen kümmerte das schon, wenn man sagen konnte, in Laodizea zu sein. Auch in der christlichen Gemeinde dort schien alles in bester Ordnung. Sie war stolz auf ihre Tradition, stolz auf ihre Frömmigkeit.

Der Seher Johannes aber sieht von außen auf die Stadt Laodizea und ihre Gemeinde. Mit Abstand. Er sieht, wohin die Reise gehen könnte, wenn alles so bleibt, wie es ist. Er ist ein Apokalyptiker im eigentlichen Sinn des Wortes - er offenbart, legt offen, was ist. Nennt die Verhältnisse beim Namen, um Zukunft und Hoffnung zu eröffnen. Johannes sagt:

Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest! 

Spitze Worte sind das: Ihr seid wie das Wasser, das angeblich heiß in eure Stadt geleitet wird. Aber wenn es hier ankommt, ist es in Wirklichkeit lau. Weder warm noch kalt. Heißes Wasser tut gut. Eiskaltes Wasser erfrischt. Aber lauwarmes Wasser? Wofür soll das gut sein? Die Worte an die Gemeinde in Laodizea sind schonungslos. Sie verkünden keine einschläfernden Komplimente. Sondern sie rütteln wach, indem sie die Perspektive, die Sichtweise Jesu Christi einnehmen.

Der Seher Johannes spricht Menschen an, die meinen, sich selbst genug zu sein. Niemanden zu brauchen. Was ja eigentlich heißt: beziehungslos zu sein. Und damit auch ohne Verantwortung für andere. Diese Haltung, so sagt es Johannes, braucht eine neue Ausrichtung. Diese Menschen müssen neu in Beziehung kommen. Mit anderen Menschen. Mit Gott. Mit dem Evangelium.

Neu in Beziehung kommen - sich der Veränderung öffnen, die Gottes Zukunft in unsere Gegenwart trägt, genau das meint Advent, Ankunft. Neu in Beziehung kommen. Mit dem Evangelium, mit Gott, mit anderen Menschen. Sich nicht abschotten von dem, was in dieser Welt geschieht. Nüchtern die Wahrheit ansehen: Die dramatischen Folgen des Klimawandels, die ohne Veränderung so mancher lieb gewonnener Gewohnheiten wohl nicht zu stoppen sein werden. Die so unterschiedlichen Lebensverhältnisse in unserem Land, die die Folgen der Energiekrise für die einen belastend, für andere aber unerträglich macht. Die herzzerreißenden Bilder der Menschen, die leiden: unter dem Krieg in der Ukraine, unter der schon Jahre andauernden Dürre am Horn von Afrika, unter den verheerenden Überflutungen in Bangladesh und Pakistan.

Die diesjährige Spendenaktion von Brot für die Welt, die heute eröffnet wird, gilt insbesondere ihnen, den Menschen, die bereits jetzt unter die Folgen des Klimawandels hautnah und lebensbedrohend erfahren. In all dem Anwältinnen der Wahrheit sein, des beginnenden Advents. Wie mag das gehen?

Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.

Nein, hier klopft kein unausweichliches Schicksal an die Tür. Hier klopft einer an, der um Beziehung bittet. Christus selbst bittet: Lass mich in dein Leben. Lass mich darin so zu Hause sein, wie einen sehnsüchtig erwarteten Besuch. Einen, mit dem man sich an den Tisch setzt. Isst, trinkt, redet. Im Gespräch darüber ist, was es heute und hier heißt, aus der Liebe Gottes zu leben.

Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.

Ach, lasst uns doch hören auf dieses Klopfen. Damit wir ihm, Christus, unsere Herzenstür öffnen. Er wird uns reich beschenken. Mit erfüllender Liebe. Mit Frieden. Mit dem glänzenden Licht seiner Gnade. Ach, lasst uns doch hören auf dieses Klopfen. Auf den bittenden Christus vor unserer Tür.

Amen.

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