Predigt zum Bild: Uwe Appold, „Weihnacht“ (2009), St. Petri-Dom
25. Dezember 2009
Liebe Gemeinde! „Fröhlich soll mein Herze springen/dieser Zeit, da vor Freud/alle Engel singen./Hört, hört, wie mit vollen Chören/alle Luft laute ruft:/Christus ist geboren!“ So singen wir an diesem ersten Weihnachtstag, am Morgen nach der Heiligen Nacht, umfangen noch von dem Zauber der Fülle und des Festes! „…Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und in der Macht des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen.“ – So hatte der Prophet Micha den Heiland angekündigt. Und so erleben es die Menschen seit Jesu Geburt, die Lukas unvergleichlich erzählt: wie das Licht die Dunkelheit aufbricht; wie die ganze dunkle Welt in ein neues, anderes, überraschendes Licht getaucht wird.
Uwe Appold aus Flensburg hat zu diesem Weihnachtsfest ein Bild geschaffen. Ein Bild, auf dem die eigentliche Weihnachtsszene scheinbar fehlt: Der Sternenhimmel der Weihnacht legt sich wie ein faltiges Tuch über die Erde, aus der die Silhouette einer Menschen-Siedlung schemenhaft heraus ragt. Aus dem Himmelszelt herunter treffen zwei kräftige Lichtbänder auf die Häuser – klares Licht.
Aber: nichts zu sehen von den vertrauten Figuren der Weihnacht, kein Engel, kein Krippenkind, keine Hirten, keine Heilige Familie. Und doch: je länger ich das Bild betrachte, desto mehr ergreift mich das Geheimnis der Heiligen Nacht. Was aus Bethlehem Efrata, „…die du klein bist unter den Städten in Juda…“ ausgeht, gilt der ganzen Erde!
Das ist es, was den Blick sofort einfängt: das Licht. Es nimmt seinen Ausgang irgendwo in der Höhe. Es trifft seltsam direkt auf die Erde: keine Brechung in dem Lichtstrahl, keine Streuung. Es nimmt an Energie nicht ab, das Licht, je näher es kommt. Es wird heller, es strahlt, blendet fast, als es auf die Erde trifft. Die Schöpfer-Energie sucht die Nähe der Menschen, verzehrt sich nicht bei ihnen, sondern strahlt auf, erfasst das Dunkel, spiegelt sich in der Erde, bzw. in dem Himmel, der wie ein Wasser – das andere Element des Lebens – die Erde durchspielt. „…solange die Erde steht…“ Erinnerung an den Segen nach der großen Flut, als schon einmal ein Bogen sich über die Erde spannte, Zeichen des Friedens und des Bundes Gottes mit seiner Schöpfung. So scheint uns das Licht aus der Höhe, das davon kündet, dass Gott sich herab begibt, damit sein Bund in Jesus sich erneuere: Wahrer Gott und wahrer Mensch.
„O Heiland reiß die Himmel auf!“ – So haben wir im Advent sehnsüchtig gesungen. Jetzt ist es so weit. Himmelslicht strömt warm und hell hernieder. Schlägt eine Lichtung um das Dorf in der Mitte. Es will uns heraus leuchten aus der Nacht, aus allem, was uns dunkel und unheimlich, ungewiss ist und was uns ängstigt – hinein ziehen in das Licht, damit wir auf seinem Strahl sicher gehen und in seinem Schein sicher wohnen können. „Ich bin das Licht des Lebens“, wird das Kind aus der Krippe später den Seinen sagen, „wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben“.
Uwe Appold verwendet Erde für die untere Hälfte seines Bildes. Erde, von der alles Leben genommen ist und zu der es wieder wird. Erde, auf die wir bauen, damit wir sicher wohnen. Seltsam kalt aber ist diese Landschaft hier: kein Baum, kein Strauch. Keine Spur von Leben in diesem Ausschnitt, nur kalte Nacht und ausgemergelter Boden. Fast ist es, als wäre das Leben in den Häusern da am Rand bedroht: so nahe kommt das Leblose. Das Gefährdete greift nach dem letzten Schutz: kein sicheres Wohnen überall!
Die Erde, aus der alles Leben kommt, ist eben auch die Erde, die unter unserer Lebensweise, unter unserer Bemächtigung sich aufbäumt und abzusterben droht. Sie ist auch der Ort der Schlachtfelder, hat aufnehmen müssen Blut, Schweiß und Tränen und die Angst. Die Briefe und Meldungen der Soldaten aus Afghanistan z.B. machen deutlich: Krieg ist mitten im Frieden nicht fern von uns, sondern bittere Realität. Unsere Erde ist gezeichnet von Hass und Leid und Unfrieden, von Armut dort und Reichtum hier: Gräben der Ungerechtigkeit durchziehen sie. Die Erde, der die Luft ausgeht, auf der Jahr um Jahr Lebensarten absterben. Das kommt ans Licht aus der Höhe, wird sichtbar unerbittlich.
„Oh, you don’t believe: we’re on the eve of distruction…“ – Du willst es nicht wahr haben: wir befinden uns am Abend des Weltuntergangs – so textete ein Song Ende der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts angesichts von Krieg und Zerstörung. Und dass diese Vision Wirklichkeit werden kann, wird am Ende dieses Jahres vielen Menschen deutlich – nach Kopenhagen, wo verzweifelt um Klimagerechtigkeit gerungen worden ist, wo die Folgen rücksichtsloser Ausbeutung der Ressourcen dieser Erde vor Augen gestanden haben und wo die Angst vor den Fluten, die alles verzehren und der Hitze, die alles verbrennt, jetzt schon Zeugen haben!
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids!“ – Das ist der Kontrast, den Weihnachten schafft. Nicht Verdrängung, sondern mitten hinein in die Realität der Welt will Gott, neu zu machen, was zu vergehen droht. Er kommt in die Unordnung der Welt, in das Bedrohte hinein. Weihnachten: nichts muss bleiben, wie es ist, niemand muss sich einrichten im Dunkel! Nicht also eve of destruction, Abend des Weltuntergangs. Neuer Aufgang aus der Höhe ist angesagt! Gott lässt seine Schöpfung nicht und überlässt seine Geschöpfe nicht sich selbst. Er leuchtet das Dunkle aus. Gott kommt, wird ein Kind, geht seinen Weg mit den Menschen. Die Hirten auf dem Felde sind es, die zuerst die Engel singen und frohlocken hören, die zuerst das Licht sehen, wie es aus der Höhe die Dunkelheit durchbricht und alles in neues, warmes, nie gekanntes Licht taucht. Die Hirten, die Ärmsten der Armen, die, die im Finstern sitzen; die alle Hoffnungen aufgegeben haben - ihnen ist gesagt: Fürchtet euch nicht! Und sie machen sich auf die Beine, gehen dem Licht nach und sehen, was verheißen ist. Sie sehen, wie Gott nicht mit Macht, sondern mit Liebe; nicht gewaltig, sondern zart kommt. Und sie verstehen: „Heute geht aus seiner Kammer/Gottes Held, der die Welt/reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute,/Gottes Kind, das verbindt’/sich mit unserm Blute.“
Der Schöpfergott zeigt sich wieder. Der, der an allem Anfang gesprochen hatte: „Es werde Licht!“
Mehr Himmel braucht die Erde! So sehen es die Hirten in der finsteren, kalten Nacht auf dem Felde – wie der Himmel auf die Erde kommt. Und wie der zerkarstete Boden plötzlich durchflutet ist von Licht und Wärme und wie Verheißung Angst vertreibt: Fürchtet euch nicht!
So ist es zu sehen auf diesem Bild: wie das Blau des Himmels, zugleich Farbe des Glaubens, das Dunkle der Erde durchlöchert, aufbricht: damit wir aufbrechen können! Ja, diese Erde ist nicht tot und öde. Es lebt in ihr. Und es lebt in ihr die Sehnsucht nach Licht und Erleuchtung, nach Orientierung und Umkehr. Darum malt Uwe Appold mit kräftigem, lebendigen Material, wie die Erde begierig aufnimmt das Licht: sie ignoriert nicht das Licht aus der Höhe, stößt nicht ab die göttliche Kraft. Sie zieht sie an, sucht sie, braucht sie, damit Leben wieder wächst, neues Leben eingehaucht wird, Geist die Geistlosigkeit vertreibt.
„Die Rettung der Welt muss warten“ – so lautete die Überschrift über einer Bilanz des gescheiterten Klimagipfels in Kopenhagen in der Zeitung am Montag dieser Woche. Die Rettung der Welt kann lange warten, wenn wir sie allein denen überlassen, die mächtig sind in der Welt!
Aber die Rettung der Welt kann nicht warten! Und sie muss nicht warten! Sie beginnt neu mit der Weihnacht, mit dem Kind in der Krippe, mit dem Jesus von Nazareth, der seinen Weg geht mit den Menschen!
Christ, der Retter ist da – so singen wir. Gott wird Mensch –nicht nur, damit wir uns ein paar schöne Tage machen, in denen wir vergessen, was uns bedrängt und das Fürchten lehrt – das muss und darf natürlich auch sein, ohne das geht es ja gar nicht. Aber die Fülle des Festes, die Gemeinschaft, die wir erleben, die Liebe, die wir zeigen und erfahren, die große Freude, die uns widerfährt, weil wir Beschenkte des Himmels sind: sie wollen doch in diesen Tagen ein Abbild sein für die Welt, wie sie sein soll und sein kann, wie sie sein muss, damit Leben bestehen kann und sich entfalten kann! Voller Liebe kann sie sein, diese Welt, voller Gerechtigkeit und Recht, voller Frieden! Es ist ja nicht irgendein Licht, das da aus der Höhe auf uns Menschen trifft. Es ist das Licht dessen, der aufrichtet die Geknickten und der entzündet das verglimmende Licht; das ist das Licht dessen, der sich den Armen und Elenden zuwendet ohne Bedingungen, ohne Vorleistungen, ohne Wenn und Aber und ohne zu fragen, ob denn der Nachbar es auch so tut! Es ist der Frieden dessen, der anfängt aufzuhören mit Gewalt und neuer Gewalt. Es ist das Licht dessen, der selig preist die Friedfertigen und der vergibt den Sünderinnen und Sündern. Es ist das Licht dessen, der sagt: folge mir nach!
Darauf hoffen und warten die Völker, dass Frieden werde. Das hoffen die vielen Soldatinnen und Soldaten in den Krisenherden dieser Welt, dass sie in ihrem Auftrag, dem Frieden eine Bahn zu schaffen, unterstützt werden und dass es den Mut zum Frieden ohne Waffen geben kann! Micha, von dem wir vorhin gehört haben, prophezeit: „sie werden Schwerter zu Pflugscharen schmieden…“ – Und wir haben gesehen, wie das gehen kann, zwanzig Jahre ist es her, dass die Mauer fallen und zusammenkommen konnte, was zusammen sich sehnte und was getrennt war mit Gewalt: weil da Menschen dem Licht folgen mochten und vertrauten auf das „Fürchtet euch nicht!“ Wie sie Freiheit spürten und darum Verantwortung zu tragen fähig waren! Wir haben das erlebt, wie verkarsteter Boden in diesem Land neu Grund für Leben in Freiheit werden konnte – nicht blühende Landschaft sofort, aber Boden, auf dem Mut wachsen konnte und neuer Anfang.
Nein, die Rettung muss nicht warten! Sie fängt an. Fängt an mit dem Licht, fängt an in der Krippe von Bethlehem und geht weiter in uns, mit uns, durch uns hindurch.
Die Hirten sehen ja nicht nur auf das Licht und lassen es sich ja nicht nur gefallen. Sie kommen auf die Beine, sie gehen los, zu sehen, was da geschehen ist. Sie sehen das Kind. Und sie erkennen das Wunder und begreifen. Und sie behalten nicht für sich die frohe Botschaft, sie geben weiter, was sie empfangen haben. Sie, auf die niemand hören will, werden zu Botschaftern Gottes, tragen das Licht weiter in die Dunkelheiten der Nächte.
Darum, sehen wir noch einmal genau hin: das Licht, das auf die Häuser fällt, es macht nicht nur sichtbar die Häuser. Sondern es belebt die, die da wohnen. Es beginnt, aus den Häusern selbst zu leuchten. In unser Leben hinein reißt der Himmel auf zur Weihnacht. Damit wir uns auf die Beine bringen lassen, Verantwortung übernehmen, den Mund auftun, hinsehen, entdecken die Spuren Gottes in dieser Welt, umkehren wie die Hirten es tun, nicht warten, dass andere sich trauen. Gottes Licht leuchtet in unser Haus, in unser Herz, damit nicht Kälte von uns ausgeht, nicht Angst, sondern Wärme und Hoffnung, Mut und Gewissheit.
Ja, er kommt, er reißt den Himmel auf. Für Dich und mich. Damit wir werden, was wir sind. Menschen, irdisch und himmlisch zugleich. Menschen mit ihren Schwächen und wunderbaren Eigenschaften.
Der Allerhöchste wird ein zartes Neugeborenes, damit wir zarter werden, demütiger, behutsamer mit uns und mit den anderen Menschenkindern.
Das Krippenkind ist jetzt A und O aller Dinge. Seine Zartheit, seine Menschenliebe - sie ist das Licht, das uns leuchtet. Damit hell werde die Erde und was darinnen ist, lebt: Frohe Weihnacht! Amen.