Predigt zum Ende der Visitationswoche im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf
13. September 2010
Liebe Festgemeinde in Elmshorn, liebe Schwestern und Brüder im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf, eine Woche habe ich Ihren Kirchenkreis besuchen dürfen im Rahmen einer Visitation. Manchmal musste ich erklären, was denn eine Visitation sei und vor allem eine bischöfliche Visitation. Mancher dachte vielleicht zuerst an die Visite im Krankenhaus: Wenn eher fremde Menschen in weißen Kitteln um das Bett herumstehen und manchmal unverständliche Dinge mit vielen Fachbegriffen sagen, die von anderen auf ihren Klemmbrettern mitgeschrieben werden. Ich aber bin kein Arzt, der die Diagnose stellt und eine Therapie zu verordnen hat (und hoffentlich auch mit Fremdworten einigermaßen sparsam umgeht), sondern im Rahmen meiner bischöflichen Aufgaben bin ich auch beauftragt, die Kirchenkreise mit ihren Gremien, Einrichtungen und Gemeinden einmal ausführlicher zu besuchen und zu beraten und auch zu hören, wo der Schuh drückt. Heute bin ich dankbar für viele sehr lebendige Begegnungen und für Gespräche, die auch mich gestärkt und inspiriert haben und mich weiter begleiten werden. Die Visitation, die ich in dieser Woche dank Ihrer zuvorkommenden Gastfreundschaft absolvieren durfte, dient dem gegenseitigen Austausch von Erfahrungen, Erlebnissen und der gemeinsamem Suche nach dem, was das Leben gut und heilsam macht.
Und nun geht es mir wie kurz nach einer Reise, wenn es darum geht viele hundert Bilder zu ordnen. Heute kann ich deshalb nur erste Eindrücke formulieren: Ich habe sehr viele engagierte Menschen getroffen in den verschiedenen Regionen des Kirchenkreises, hier in Elmshorn und in Itzehoe, aber auch in Elbmarschen in Barmstedt oder Kellinghusen. Auch viele bauliche Schätze habe ich gesehen, viele wunderschöne Kirchengebäude, die zu Gebet und Gottesdienst einladen. An vielen Orten stehen Bausanierungen an und manche Gemeinde leidet darunter wie die in Stellau, weil es zu langsam vorangeht. Was mich aber besonders freut: An vielen Stellen, auch bei Ihnen in der fusionierten Friedenskirchengemeinde spüre ich den Wunsch, enger zusammenzuarbeiten, neue Formen zu entwickeln, Kräfte zu bündeln und für die Menschen im Stadtteil oder im Dorf da zu sein. Einzelne Themen gehen mir nach: Die Begegnung mit den Landwirten auf dem Hof von Familie Becker in Ottenbüll, mit Vertretern des regionalen Bildungszentrums in Itzehoe, der diakonischen und ökumenischen Arbeit (Gästegruppe aus Kenia) und der Frauenarbeit. Dann gab es Gespräche mit den Kirchenmusikern, den Jugendmitarbeitern und im Konvent der Pastorinnen und Pastoren. Und schließlich denke ich an diejenigen, die engagiert im Kirchenkreisvorstand, in der Synode und in der Verwaltung Verantwortung übernehmen.
Sich gegenseitig auf solche Weise zu besuchen, hat kirchlich eine lange Tradition. Martin Luther sagte einmal: „Wir sollten die Kirche lieber durch Visitationen regieren als durch Satzungen“ Auch in der frühen Christenheit gab es intensive Besuche. Paulus, von dem die Briefzeilen der Epistellesung stammen, war einer der ersten und eifrigsten Visitatoren. Er hat Gemeinden nicht nur gegründet, sondern auch immer wieder besucht und ist mit ihnen persönlich und eben auch brieflich in Kontakt geblieben: Um seine Eindrücke vom letzten Besuch widerzuspiegeln oder um im Gegenteil einen Besuch anzukündigen (wie hier im Römerbrief), um konkrete Fragen zu beantworten oder um seine Überzeugungen darzulegen.
Ich lese den Abschnitt aus Römer 8 in einer etwas freieren Übersetzung:
„Alle, die sich im Geist Gottes regieren lassen, sind Kinder Gottes. Denn der Geist Gottes, den ihr empfangen habt, führt euch nicht in eine neue Sklaverei, in der ihr wieder Angst haben müsstet. Er macht euch vielmehr zu Gottes Kindern. Jetzt können wir zu Gott kommen und zu ihm sagen ‚Vater, lieber Vater.’ Gottes Geist selbst gibt uns innere Gewissheit, dass wir Gottes Kinder sind. Als seine Kinder aber sind wir - gemeinsam mit Christus – auch seine Erben. Und leiden wir jetzt mit Christus, werden wir einmal auch seine Herrlichkeit mit ihm teilen.“
Dazu drei Gedanken:
1. Wessen Geistes Kind wir sind, das ist eine Frage, die sich uns oft stellt: in Alltagsfragen, im Umgang mit anderen Menschen, aber auch im kirchlichen Leben. Und das scheint mir angesichts der öffentlichen Diskussion besonders wichtig:
Paulus zufolge sind es ganz offenbar keine genetischen Bedingungen oder obskure Vererbungstheorien, die darüber entscheiden, wessen Geistes Kind wir sind. Sondern Kinder Gottes sind solche, die, vom Geist Gottes inspiriert und angetrieben, die ein Leben im Vertrauen auf den Weg Jesu zu führen wagen. Die auf Gottes Wort hören, ihn loben und preisen. Die sich in der Gemeinde nicht nur selbst im Spiegel sehen, sondern aufmerksam werden für die anderen Kinder Gottes. Die sich von Menschen am Rande unserer Gesellschaft nicht abwenden, sondern sich ihnen zuwenden. Wie Jesus es selbst immer wieder vorgemacht hat. Und das habe ich hier verschiedentlich erlebt: z.B. bei vielen engagierten Kirchenvorstehern, natürlich auch in der diakonischen Arbeit, z.B. der Bahnhofsmission, dem Haus der Begegnung, und im Mehrgenerationenhaus in Itzehoe. Nicht aussortieren, sondern integrieren; nicht ausgrenzen, sondern einladen – das treibt Kinder Gottes an und um. Und so wächst Gemeinde zusammen.
2. Kinder Gottes sind solche, die wissen, dass weder ihre eigene Kindschaft, noch die der anderen Glaubensgeschwister jemals infrage steht. Kindschaft ist unverlierbar, unverhandelbar und unverdienbar. „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, welche ist in Christus Jesus, unserm Herrn“, führt Paulus im selben Kapitel wenige Zeilen später aus (8,38). Martin Luther nannte das Rechtfertigung aus Glauben. Und das ist das genaue Gegenteil von der Selbstrechtfertigung aus einem verschrobenen Leistungsdenken heraus.
Wohl wahr: Es mag Zeiten gegen, in denen unser Verhältnis zu Gott angespannt ist, uns zweifelhaft oder verdunkelt vorkommt. Aber von Gottes Seite aus ändert sich nichts. Seine Einstellung uns gegenüber ist immer dieselbe: sie ist von Liebe bestimmt.
Eine Pastorin erzählte mir dazu folgende Geschichte: Sie war in Rumänien mit einer Reisegruppe und besuchte ein Projekt für Straßenkinder. Sie nahmen an einem Gottesdienst teil, in dem der Geistliche, der das Projekt begonnen hatte, aber selbst auf Grund eines Anschlags gezeichnet war, die Kinder segnete. Es wurde viel gesungen in diesem Gottesdienst. Später entdeckte die Pastorin in der Malerei auf der Straße eine Gruppe von Strichmännchen mit der Besonderheit, dass sie alle eine kleine Krone trugen. Die Kinder und Jugendlichen hatten sich so als Kinder Gottes gemalt.
3. Gelegenheiten schaffen, um sich angstfrei begegnen zu können: daran denke ich, wenn ich Paulus sagen höre, dass wir keinen „knechtischen Geist“ empfangen hätten, sondern einen kindlichen. Das unendliche Vertrauen, das Kinder haben, ist ja das Rührende für viele Eltern und auch für solche, die für Kinder beruflich Verantwortung tragen. Kinder gehen davon aus, dass ihre Eltern alles können, alles wissen, alles durchschauen. Die Erwartungen in die Möglichkeiten der Erwachsenen sind schier unendlich. Wenn wir als Kinder Gottes nur halb so hohe Erwartungen an unseren himmlischen Vater hätten, wie würde sich wohl unsere Lebenshaltung, unser Leben ändern? Ich glaube, wir würden uns weniger unter Druck setzen und ihm, dem Vater, mehr anvertrauen.
Liebe Gemeinde, ich habe Ihnen zu danken: für Ihre Arbeit, die Sie an den verschiedenen Orten hier im Kirchenkreis wahrnehmen: als solche, die der Geist Gottes treibt. Ob als Kinder, Jugendliche, Erwachsene oder Senioren: Ich wünsche Ihnen, dass Sie an Ihren Orten, in Ihren Diensten und Werken, in den Kirchengemeinden, ob als Ehren- oder Hauptamtliche einander im Vertrauen und guten Mutes begegnen. Dass Sie sich gegenseitig als Kinder Gottes erkennen und anerkennen mögen.
Ich wünsche Ihnen, mit einem Wort: den guten Geist Gottes. Ich kenne keinen besseren Motor. Denn die eigentliche Visitation ist die, wenn Gott bei uns zu Besuch kommt.
Amen.