Landesbischof Dr. Andreas vom Maltzahn, Schwerin

Predigt zum Landesgemeinschaftstag am 8.5.2011 in Rostock unter dem Thema „Wie Beziehungen gelingen – Widerstehen“ (Röm 12,9-21)

08. Mai 2011 von Andreas von Maltzahn

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,

Anspiele in Gottesdiensten sind doch manchmal außerordentlich lehrreich:  Heute haben wir zum Beispiel erfahren, dass Schwiegermütter nicht zum „Reich  des Bösen“ gehören. Sie sind besser als ihr Ruf. Man kann sich auf ihren Besuch  freuen  – und das nicht nur, wenn sie Marmelade oder einen Geldschein  mitbringen. Vielleicht muss man ihnen in bestimmten Situationen trotzdem  widerstehen, aber dann nicht, weil sie Schwiegermütter wären.

Ich freue mich sehr, heute diesen Gottesdienst mit Ihnen zu feiern. Für mich ist  es ein lebendiger Ausdruck für die tiefe Verbundenheit unserer Kirche und ihren  landeskirchlichen Gemeinschaften. Lebendige Gemeinschaften stärken unsere  Kirche. 

Ein Thema haben die Vorbereitenden über diesen Tag gesetzt: „Wie Beziehungen gelingen“. Heute Vormittag bedenken wir dieses Thema  miteinander unter dem Blickwinkel notwendigen Widerstands.  Wo gilt es zu  widerstehen, damit Beziehungen gelingen? Das Anspiel hat gezeigt. Im Kleinen  kann die Entstehung von Zwietracht beginnen oder vermieden werden. Die  Stimmen von „Teufelchen“ und „Engelchen“ im Anspiel mögen banal wirken,  aber sie machen deutlich: Manch Übel fängt mit einer unscheinbaren  Unachtsamkeit an. Wehret den Anfängen! Und die Äußerungen der beiden  machen deutlich: Das Böse ist eine Möglichkeit in mir. Auch an  meinem  Verhalten liegt es, ob es Kraft und Wirklichkeit gewinnt. 

Wo gilt es zu widerstehen, damit Beziehungen gelingen?

Bleiben wir zunächst einmal bei Beziehungen zwischen Eheleuten: Ehrlich  gesagt, wenn ich über das Gelingen von Zweierbeziehungen nachdenke, fällt mir  nicht als erstes „Widerstand“ ein. Eher kommen mir Gedichte in den Sinn, die  die Erfahrung tiefer Liebe zur Sprache bringen. In Rilkes „Liebes-Lied“ heißt es  zum Beispiel:

„Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie 
hinheben über dich zu andern Dingen?
. . . 
 . . . alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.“

Im Anfang ist alles voller Hoffnung. Der Himmel auf Erden scheint möglich.  Die königliche Hochzeit in London hat Menschen auf der ganzen Welt wieder  von der großen Liebe träumen lassen. Und die Liebe ist ja auch wunderbar! Sie  ist stark wie der Tod (Das Hohelied Salomos 8, 6), eine Gabe Gottes. Ja, mehr  noch: Im Lieben spüren wir etwas vom Wesen Gottes, denn er ist die Liebe (1.  Joh 4, 16) 

Jedoch, wenn ich Paare zu trauen hatte, habe ich im Traugespräch mit den  Brautleuten oft auch über ein Wort aus dem Epheserbrief nachgedacht:  Ertragt  einer den andern in Liebe. (Eph 4, 2) Denn auch das gehört zur Liebe, dass sie  zu tragen weiß, manches, was sich nicht ändern lässt, auch zu  ertragen.  Lebenswege verlaufen anders als geplant. Krankheiten schränken  Handlungssmöglichkeiten ein. Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Da  bleibt manchmal nichts anderes, als –  in Liebe – zu ertragen.  

Aber nun frage ich doch: Wo in der Beziehung gilt es, gerade nicht zu ertragen?  Wo in der Ehe kommt es darauf an, zu widerstehen?

Zwei Dinge will ich ansprechen. Widerstand ist geboten gegen die Bilder.  Du  sollst dir kein Bildnis machen, heißt es in den zehn Geboten der Bibel. Luther  hat uns dieses Gebot ein wenig unterschlagen, weil er den Bilderstürmern seiner  Zeit nicht Wasser auf ihre Mühlen leiten wollte.   Du sollst dir kein Bildnis  machen – damit ist zuallererst gemeint, sich kein Bild von Gott zu machen. Aber  das Bilderverbot gilt auch für die Liebe: Wenn man sich ein festes Bild macht  von dem Menschen, den man liebt, so läuft man Gefahr, ihn in dieses Bild  einzusperren. Wenn dieser geliebte Mensch sich im Laufe der Zeit entwickelt – und das bedeutet ja auch: wenn er sich verändert  – entspricht er nicht mehr  meinem angebeten Bild. Dann heißt es: Wir haben uns auseinandergelebt, und  man ist erschüttert und überrascht, wie das geschehen konnte. Darum  widerstehen wir dem Bildermachen auch in Beziehungen! Seien wir offen dafür,  dass sich der Mensch, den wir lieben, entfaltet und entwickelt! Wir können es  als Bereicherung nehmen. Gelingende Beziehungen gewähren einander zu  wachsen und sich zu verändern.

Ein Zweites hängt damit zusammen: Widerstehen sollen wir auch der  Konsumentenhaltung in der Beziehung. Menschen wünschen sich, geliebt zu  werden. Das ist nur natürlich. Problematisch wird es jedoch, wenn man vor  allem darauf bedacht ist, auf seine Kosten zu kommen. Dies verdirbt die  Beziehung. Die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Erfüllung findet unser  Leben, wo wir uns hingeben, wo wir selber lieben, wo wir uns in Liebe  verströmen. Das Haben-wollen tötet das Glück, das sich uns schenken will.      

Es kann also geboten sein, in der Ehe zu widerstehen. Aber nicht der Frau, dem  Mann als Person. Fixierenden Bildern, der Konsumentenhaltung  – also  Versuchungen in uns – sollen wir widerstehen.

Schwestern und Brüder, wir konnten so ausführlich bei Ehefragen verweilen,  weil manches  – in abgewandelter Form  – auch für Beziehungen in der  Gemeinde gilt. Der Rat, ertragt einer den andern in Liebe, ist ursprünglich keine  Ermahnung für die Ehe gewesen, sondern gilt für das Zusammenleben von  Christen allgemein. Ja, auch unter uns in der Gemeinde ist manches nicht zu  ändern und will in Liebe getragen sein. Aber auch hier lasst uns wieder fragen:  Wo im Leben der Gemeinschaft, im Leben der Gemeinde ist es geboten zu  widerstehen?

Zum Beispiel in Konflikten, aber inwiefern?

Der erste Blick sollte auch hier zuerst sich selbst gelten. Denn in uns selbst gibt  es eine Menge Versuchungen:
- die Versuchung etwa, dem Konkurrenzdenken zu erliegen, das ja die  Wurzel manchen Streits ist. Es wichtig für Menschen, beachtet zu werden,  Anerkennung zu finden. Aber soll ich darum anfangen zu vergleichen  – mich einlassen auf das unfruchtbare Unterfangen, messen zu wollen, ob  die Aufmerksamkeit, die man sich untereinander in der Gemeinde  gewährt, gerecht verteilt ist? Schon bei Kain und Abel hat dies zu nichts  Gutem geführt.   
- Oder denken wir an die Versuchung, Antipathien auszuleben,
- oder die Versuchung, jemandem bei günstiger Gelegenheit heimzuzahlen,  wenn ich mich durch ihn verletzt gefühlt habe. Dieses Bedürfnis nach  Genugtuung ist tief in uns verankert. 

Was uns hilft, solchen Versuchungen zu widerstehen? Oft genug schlicht und  einfach die Beachtung der Weisungen Gottes: 
- Du sollst nicht begehren – auch nicht die Beachtung, das Ansehen, das  dein Nächster genießen darf.
- Du sollst nicht falsch Zeugnis reden – und das heißt mit Luther ja: Alles  zum Besten kehren.  Nicht unter den Teppich, wohlgemerkt,  Wahrhaftigkeit ist eine Tugend! Aber mein Bemühen, die Wahrheit in dieser konkreten Situation zu verstehen, sollte nicht mit der Sammlung  von Verdachtsmomenten beginnen, sondern mit der Frage nach  Entlastendem. Zunächst einmal sollte ich annehmen, es könnte gute  Beweggründe für das Verhalten eines Menschen geben, die ich noch nicht  verstanden habe und erst noch entdecken muss. Oft kommt man damit der  Wahrheit näher als mit der Herangehensweise des Verdachts.
- Ist tatsächlich eine ernste Auseinandersetzung unvermeidlich, rät die  Schrift, sie zunächst unter vier Augen zu führen: Hilft das nicht, kann ein  Gespräch zu dritt Abhilfe schaffen. Erst, wenn alle Stränge reißen, darf  der Konflikt in der Öffentlichkeit der Gemeinde ausgetragen werden. Das  schont nicht nur meinen Konfliktpartner und baut ihm Brücken, ein  mögliches Fehlverhalten zu korrigieren. Es schützt auch mich selbst stehe  ich doch immer in Gefahr, den Balken im eigenen Auge übersehen zu  haben. Es wäre doppelt beschämend, würde ich dies erst vor der ganzen  Gemeinde erkennen. 
- Vor allem aber: Das Richten ist unsere Sache nicht. Gott wird  Gerechtigkeit üben. Er wird die Verhältnisse zurecht bringen. Und  täuschen wir uns nicht: Auch wir leben von Barmherzigkeit. Darum lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit  Gutem (Röm 12, 21). Unsere Jahreslosung ist die Quintessenz des Ganzen. Sie  macht deutlich: Auch wenn das Ziel, das du erreichen möchtest, noch so  erstrebenswert und gut sein mag  – es verdirbt alles, wenn du es auf unlautere  Weise zu erreichen suchst. Man wird keine Rose wachsen sehen, wo Unkraut  gesät wurde.

Schwestern und Brüder, unsere Beziehungen werden gelingen, unsere  Widerstandskraft gegen Versuchungen wird ausreichen, wenn wir gut  verwurzelt sind in Gott. Moralische Anstrengung allein genügt nicht.  Entscheidend ist, die Verbindung zu Gott zu halten in der Beziehung zu Jesus,  dem Christus. Die Liebe zu Gott die Hauptsache sein lassen – darauf kommt es  an! Allen Einflüsterungen zu widerstehen, es gäbe Wichtigeres als die Liebe zu  Christus, wie sich auch in der Liebe zum Nächsten zeigt. 

. . . alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?

Christen können frohen Mutes antworten: Gott ist es – Gott, der die Liebe ist. 

Amen.  Und der Friede . . .

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