31.10.2025, 10:00 Uhr, St. Nikolai-Kirche in Elmshorn

Predigt zum Reformationsgottesdienst mit Verleihung der Bugenhagenmedaille an Beate Raudies

05. November 2025 von Nora Steen

Mt. 5,1-10

Liebe Gemeinde! 

Heute, an diesem besonderen Tag feiern wir hier in Ihrer schönen St. Nikolai-Kirche zwei außergewöhnliche Anlässe. 

Heute ist Reformationstag. Der Feiertag, der gerade in diesen Zeiten kostbar ist und jedes Jahr aufs Neue besonders. Um die Erneuerung der Kirche ging es Martin Luther im Jahr 1517. Hin zurück zum Eigentlichen. Zu den Quellen unseres Glaubens. Wie heilsam, sich daran heute zu erinnern! 

Und: Wir ehren eine Frau, die sich in besonderer Weise seit langer Zeit in unserer Landeskirche engagiert. Hier in Elmshorn, als Präses der Synode hier im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf und auch in der Landessynode der Nordkirche. In bestem protestantischen Sinn lebt sie, was sie glaubt. Dafür sagen wir Beate Raudies heute von Herzen Danke.

Heute, an diesem besonderen Tag, steht auch ein besonderer Text als Evangeliumslesung im Mittelpunkt. Für mich sind die so genannten Seligpreisungen aus der Bergpredigt einer der schönste Liebestexte der Bibel. Eine Liebeserklärung Jesu an uns Menschen. Selig – das sind die, die zu Gott gehören. Die teilhaben an seiner Gegenwart, an der Wirklichkeit des Reiches Gottes.

Die Seligpreisungen. Das sind Worte, die vielen von uns bekannt sind. Schon oft gehört sprechen sie uns in bestimmter Weise an, erzeugen sie bestimmte Bilder im Kopf.

Ich möchte Sie heute am Reformationstag einladen, sich diesen Worten nochmal ganz neu auszusetzen. Sie in sich willkommen zu heißen, als würden Sie die Worte zum ersten Mal hören. Ohne Gegenwehr, ohne Aber, ohne alles, was wir darüber wissen. Als hörten wir sie zum ersten Mal. In dem Wissen: Diese Worte hat Jesus an Menschen gerichtet. An Menschen aus Fleisch und Blut und mit einem Herzen, das sich nach Liebe sehnt. Mit einer Sehnsucht danach, Gott irgendwie zu spüren. Er richtet sie - an uns.

1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen[1]. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften[2]; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Mt 5,1-10

Zu Gott gehören wir. Wir alle. Wir sind also die, die selig sind. Die wir zerbrochen und verwundet, sehnsüchtig und gewalttätig, liebesbedürftig und friedenshungrig sind. Die wir uns nach Frieden sehnen und so gern Frieden schaffen würden in unfriedlicher Zeit. Die wir hungrig sind nach Gerechtigkeit, weil die Ungerechtigkeiten im Kleinen und Großen zum Himmel schreien und wir wissen, dass da die Wurzel des Übels für so vieles ist, was momentan in unserer Gesellschaft schlecht läuft.

Viele haben schon vor langer Zeit gesagt und sagen es immer wieder: Mit der Bergpredigt, mit solchen Worten also, sei keine Politik zu machen. 

Dazu heute Morgen von mir zwei Gedanken beziehungsweise Fragen:

1. Heißt die Aussage hinter dieser Behauptung nicht eigentlich: mit so weltfernen Träumereien kommen wir im realen Leben nicht weiter? 

2. Was verstehen wir darunter – Politik machen? Welches Verständnis von Politik liegt dem zugrunde?

Zu meiner ersten Frage: Sind die Seligpreisungen so weltfern, dass mit ihnen im realen Leben nichts anzufangen ist? 

Ich sage hierzu ganz klar: Wenn wir aufhören, an die Realität von Frieden und Gerechtigkeit, von Versöhnung und Heilung zu glauben, dann ist so ziemlich alles verloren. An diese Verheißungen der Bibel, an die Worte Jesu zu glauben, ist keine Verdrängung der realen Probleme. Ist nicht die rosarote Brille, die uns den klaren Blick auf die Verhältnisse verunmöglicht. 

Im Gegenteil. Wir brauchen sie. Wir brauchen diese großen Lebensvisionen, ohne die jedes Leben verkümmert und stirbt. Wir brauchen sie heute nötiger denn je, wenn Drohnen über unserer sensiblen Infrastruktur kreisen und sich das eigene Vokabular um Worte erweitern muss, die mit Kriegsführung und Verteidigungsfähigkeit zu tun haben. Wir brauchen sie nötiger denn je, wenn mittlerweile auch Familien, die früher zum so genannten Mittelstand gehört haben, Existenzängste haben müssen oder keinen geeigneten Wohnraum mehr finden. Wir brauchen sie, wenn immer mehr Menschen tatsächlich meinen, dass durch Abschiebungen im großen Stil die großen sozialen Probleme in unserem Land gelöst werden können.

Die Zumutung der Bergpredigt, der Seligpreisungen Jesu, ist: Die Worte sprechen in unsere Zeit hinein und nicht an ihr vorbei. Sie sind kein romantischer Kitsch, der den Blick rosarot verschönt. Sie erlauben uns im Gegenteil, sehr realistisch hinzuschauen. Und zwar deshalb, WEIL wir NICHT aufhören, an eine gute und bessere Zukunft zu glauben. Weil wir stark genug sind, genau hinzusehen. Menschen zu sehen in ihrem Leid, in ihren Süchten und Sehnsüchten. Weil wir alles das mittragen können, so wie Jesus alles mitträgt, was uns selbst beschwert und niederdrückt.

Wir sind also alles, aber nicht weltfern, wenn wir die Worte Jesu in unserem Herzen tragen. Jeden Tag und jeden Tag neu. 

Zu meiner zweiten Frage. Was wird eigentlich darunter verstanden – Mit den Seligpreisungen sei „keine Politik zu machen“? 

Wir haben ja in den vergangenen Monaten immer wieder Debatten erlebt und Äußerungen gehört, die ganz ähnlich klangen. Die evangelische Kirche solle sich nicht in die Tagespolitik einmischen, sondern sich auf ihre Kernaufgaben besinnen. 

Eins ist daran ja sehr richtig und es muss uns auch immer wieder gesagt werden: Es ist als christliche Kirche NICHT der Auftrag, Parteipolitik zu machen. Wir sitzen nicht im Landtag oder Kreistag. Wir sollten nicht versuchen, Predigten zu halten die eher schlechtgemachte Reden auf Parteitagen klingen. 

Aber. Und das ist mir wichtig und das sage ich heute, am Reformationstag 2025, sehr deutlich: Wir geben alles anheim, was uns wertvoll und heilig ist, wenn wir uns NICHT der Zumutung stellen, mit diesen Worten Jesu auch Politik zu machen! 

Und zwar nicht um der Politik willen, sondern um die Botschaft des Evangeliums willen! Und die ist notwendigerweise immer auch politisch. Politisch in dem Sinn, dass es mit der Gestaltung und mit dem Zusammenhalt unserer Gemeinschaft zu tun hat. 

Denn was Jesus gesagt hat, war schon damals in diesem Sinn politisch. Natürlich war es das! Den Fokus so sehr auf die Armen und Entrechteten zu legen, auf die, die sonst nicht im Blick waren, das hat viele geärgert. Es hat angeeckt. Es war anstößig. Es hat die Etablierten und Mächtigen maßlos erzürnt. Jesus war gut darin, die Triggerpunkte an die Ungerechtigkeiten des damaligen Gesellschaftssystems zu setzen. 

Und genau in diesem Sinn geht es gar nicht anders, als auch heute als Kirche, als Christinnen und Christen, politisch zu sein. Weil es um nicht weniger als unsere Würde als Menschen geht. 

Und noch vielmehr um die Würde derjenigen, die nicht für sich selber sprechen und einstehen können. 

Deshalb KÖNNEN wir nicht still sein, wenn wir miterleben, dass Ungerechtigkeiten zur Normalität gehören. Dass Menschen nicht gesehen werden in ihrem Leid. Dass die Angst vieler Menschen vor Krieg zunimmt und sie sich allein damit fühlen. Und es wäre furchtbar, wenn wir zunehmend verstummen, nur um nirgendwo mehr anzuecken. Das kann und darf niemals der Weg sein. 

Und wenn es Menschen wie Beate Raudies gibt, die beide Formen politischen Handelns miteinander vereinen, dann können wir nur dankbar sein. Und es ist gut, dass es viele Politikerinnen und Politiker in den verschiedenen demokratischen Parteien gibt, die ihr festes ethisches Fundament im christlichen Glauben haben. Das ist ein Segen. 

Heute am Reformationstag also ist uns diese wunderbare Liebeserklärung Gottes ans Herz gelegt und in unser Leben gesprochen. Selig seid ihr. Sind wir. Wir gehören zu Gott, weil wir Menschen sind. Aus Fleisch und Blut und mit einer Sehnsucht im Herzen, geliebt zu werden. 

Lasst uns weiter mit dieser Liebeserklärung in die Welt gehen. Mutig und unverzagt, mal laut und mal ganz leise. Immer aber mit dem klaren Bewusstsein: Gott lässt uns nicht fallen. Uns alle nicht. Ja, das ist eine Zumutung. Aber darunter geht es nicht.

Deshalb geht es heute um nicht weniger als um unsere Würde als Menschen. Es geht um unsere Kraft, zu lieben, weil wir schon längst geliebt sind. 

Gerade dort und gerade die, die aus dem Blick geraten. Jesus nannte das: Selig, die reinen Herzens sind. Denn sie werden Gott schauen. 

Mit der Bergpredigt ist keine Politik zu machen? Ich hoffe, ich konnte Sie davon überzeugen, dass das nicht stimmt. Zumindest dann nicht, wenn wir das Fundament unseres Lebens, das aus dieser unverbrüchlichen Liebeszusage Gottes besteht, nicht verlassen wollen. 

Amen

Zum Anfang der Seite