19. November 2020 | Dom zu Schwerin

Predigt zur Eröffnung der digitalen 8. Landessynode der Nordkirche

19. November 2020 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt zu Offenbarung 21, 1-8

I

Ein neuer Himmel, eine neue Erde. Sehen, was kommen wird. Aussprechen, wohin die Reise geht. Die Verhältnisse beim Namen nennen. Offen und ohne Furcht vor den Reaktionen der anderen. In dem Wissen, dafür verspottet zu werden. Ausgeschlossen aus den fest geschlossenen Reihen derer, die nüchterne Fakten und deren absehbare Folgen für nicht zumutbar halten. Oder bekämpft bis aufs Blut. Mit allen Mitteln. Das ist das Schicksal von Sehenden schon immer gewesen.

Von Sehenden wie Kassandra. Kassandra, die Prophetin des Untergangs, auf die man nicht hören wollte, damals vor Zeiten im griechischen Troja. Eine Seherin, die gar nicht anders kann: Sie muss aussprechen, welche Katastrophe sie auf ihre Stadt, ihr Land zukommen sieht. Sie will warnen und schützen und wird dann doch das Sterben so vieler erleben und beweinen. Weil niemand ihr Glauben schenkt. Weil alle die drohende Gefahr verleugnen, sich sicher fühlen oder besser: sich sicher fühlen wollen.

II

Mehr und anders schauen die Sehenden. Ihr Blick hat Tiefenschärfe. Sie schrecken vorm Hinsehen nicht zurück. Sehen hindurch durch blank polierte Fassaden und glitzernde Oberflächen des täuschend schönen Scheins. Unbequem ist das. Denn sie sollen die Kreise, in denen sich andere über die Jahre gut eingerichtet haben, nicht stören. Sie sollen die Dinge nicht beim Namen nennen und auf Veränderung drängen, nicht bei der ungerechten Verteilung von Hab und Gut, nicht bei den heillosen Grabenkämpfen um Einfluss und Macht. Zermürben will man sie und mundtot machen. Übersehen und überhört, verunglimpft als überdrehte Weltuntergangsprophet:innen.

Doch die Zukunft heraufbeschwören, den Weltuntergang prophezeien, das ist nicht das Anliegen der Sehenden. Mehr als allem anderen gilt ihr klarer Blick der Gegenwart. Sehende sagen an, was jetzt ist, was gegenwärtig geschieht. Sie sind Apokalyptiker im eigentlichen Sinn des Wortes - sie offenbaren, legen offen, was ist. Spekulieren nicht über die Zukunft, sondern sehen nüchtern die Gegenwart. Nennen die Verhältnisse beim Namen, um eine drohende Katastrophe zu verhindern. Aber selten nur gelten die Sehenden etwas im eigenen Land, nicht wahr?

So spricht der Seher Johannes im Buch der Offenbarung:

III

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!

Der offenbarende, offen legende Blick des biblischen Sehers Johannes mündet nach geheimnisvollen, den kommenden Untergang ausmalenden Visionen dennoch nicht in der Katastrophe. Aber Johannes prophezeit auch kein Happy End. Er sagt nicht: Am Ende wird alles gut. Sondern er sagt: Am Ende wird alles neu. Weil Gott alles neu macht. Und deshalb unbeschreiblich gut und heil. Wunderbar und schön. Am Ende kein Leid, kein Geschrei. Eine liebevolle Hand wischt ab die Tränen, trocknet aus ihren unendlichen Strom, der von Generation zu Generation reicht. Und Gott stillt den Hunger nach wahrem Leben und den Durst nach guten Worten, wohnt mitten unter den Menschen, umhüllt sie mit Liebe und Geborgenheit.

Die rätselhaften Visionen und offen legenden Worte des Johannes kann man nur von diesem Ende her verstehen. Aus dem Vertrauen heraus, dass Gott andere Verhältnisse will, Frieden, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, eine Welt ohne Leid und Schmerz, ja, einen neuen Himmel und eine neue Erde wo alles, was Menschen leiden und schweigen und verzweifeln macht, überwunden ist.

Ein neuer Himmel, eine neue Erde, von ihnen kann man sprechen, auf sie kann man hoffen, wenn man zu sehen vermag, wie Gott schon jetzt immer wieder Böses mit Gutem überwindet. Und Menschen dafür in Anspruch nimmt, inspiriert, begeistert, animiert - beseelt - daran mitzuwirken. Ein neuer Himmel, eine neue Erde - und ein freundlicher Blick für alle, die suchen. Ein liebendes Herz, eine gebende Hand.

Ein neuer Himmel, eine neue Erde, von ihnen kann man sprechen, wenn man zugleich sieht und ausspricht, was jetzt ist. Wie Johannes es tut. Er sieht: Himmelschreiende Ungerechtigkeit. Lebensbedrohende Verhältnisse. Unterdrückende Machtstrukturen. Sein apokalyptisches Buch ist ein Enthüllungsbuch, eine echte Offenbarung, ein Buch, das die Wunden und Verwundungen seiner Zeit offen legt. Der Seher Johannes kann dieses Enthüllungsbuch schreiben, weil er auf die Gesellschaft seiner Zeit, auf die ihn umgebende Welt nicht von innen, aus der Zentrale der Macht heraus blickt. Sondern weil er vom Rand der Gesellschaft aus auf sie sieht, aus der Perspektive eines Außenstehenden, eines Verbannten.

Johannes lässt sich nicht blenden von dem Glanz und der kalten Pracht, die das Zentrum der damaligen imperialen Macht entfaltet - Rom, die pulsierende Metropole. So kann er ausleuchten, was die Herrschenden lieber im Dunkeln lassen wollen. Und seine Augen sehen klar, was ist: Die Katastrophe kommt nicht erst irgendwann, sie steht auch nicht unmittelbar bevor - sie ist längst schon da. Gerade weil und gerade wenn alles so weitergeht wie bisher.

IV

Dass alles so weitergeht wie bisher, genau das ist die Katastrophe. Eine ungeheuerlich anmutende Analyse ist das. Aber eine, die uns Menschen des 21. Jahrhunderts keineswegs fremd sein muss. Denn dass alles immer so weiter geht, wird in immer größer werdenden Teilen der Erde von immer mehr Menschen als beängstigend erfahren, als bedrohlich für ihr Überleben, sogar als tödlich. Und die Corona-Pandemie verstärkt das noch. Auch bei uns. Weil sie zu Tage treten lässt, was nicht erst jetzt, sondern schon lange zum Himmel schreit: Die sozialen Ungerechtigkeiten, durch die gerade diejenigen besonders die leiden, die ohnehin schon wenig zum Leben haben: Obdachlose, finanziell schwache Familien, Geflüchtete, Menschen am Anfang der globalen Lieferketten. Und auch ein blindes Vertrauen darauf, ein sich selbst regulierender Markt würde am Ende schon alles richten, wird in der Pandemie als bittere Täuschung entlarvt. Ganz zu schweigen von den dramatischen Auswirkungen der vor allem von uns, den westlichen Industrienationen, verursachten Folgen des Klimawandels.

V

Wenn die Katastrophe schon da ist, kann und darf es nicht weitergehen wie bisher. Und es wird auch nicht so weitergehen. Der neue Himmel und die neue Erde sind schon zu sehen. Die Stimme Gottes ist schon zu hören. Und Tränen werden auch jetzt schon getrocknet.

Der biblische Seher Johannes sieht mit uns hindurch auf die Zukunft, die Gott verheißt und verantwortet - auf einen neuen Himmel und eine Erde. Und sieht mit uns von dort aus zurück auf unsere Gegenwart. Lässt uns das, was jetzt ist, sehen im Lichte von Gottes Zukunft, im Vorschein des neuen Himmels und der neuen Erde, für die Gott selbst einsteht - in der Heiligen Schrift mit seinem Wort, in Christus mit seinem Leben. Das Licht der Zukunft Gottes fällt schon auf unsere Gegenwart. An uns ist es, den Schein dieses Lichtes nicht zu hindern. Und durchscheinend zu werden für dieses Licht. Durchscheinend für Christus, durchscheinend für Gottes Zukunft. Damit seine Zukunft durch uns, unser Leben, unseren Glauben, unser Handeln hindurch scheint. Damit seine Zukunft schon jetzt und hier, als lebendige Hoffnung das Dunkel hell werden lässt: Hoffnungsleuchten für unsere Welt.

VI

Sehen, was kommen wird. Aussprechen, wohin die Reise geht. Die Verhältnisse beim Namen nennen. Leben und glauben, hoffen und lieben als Sehende. Schaut nur den neuen Himmel und die neue Erde! Und seht:

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron sitzt, spricht: Siehe, ich mache alles neu!

Amen.

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