8. November 2020 |

Predigt zur Friedensdekade

08. November 2020 von Tilman Jeremias

„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Mt. 5,9

Liebe Gemeinde,

„Nun ging es weiter. Und als der Zug hielt, waren wir in Sülstorf. Im Zug waren inzwischen elf Tote. Durchnässt, vor Hunger und Kälte konnten wir nicht mehr stehen. Jegliche Notdurft mussten wir im offenen Waggon verrichten. Nun hieß es, wer runter kann, runter. Ich hatte noch die Kraft, aber viele sackten zusammen. Wir wurden inzwischen auf einem freien Feld von SS mit Maschinengewehren umstellt und es wurden Pellkartoffeln verteilt. Ich selbst bekam zwei.“

So erinnert sich Erna Dohse. Für mich als Nachgeborenen ist es kaum erträglich, diese Worte zu lesen, kaum vorstellbar, was Frau Dohse durchzustehen hatte. Vom 13. bis 15. April 1945 stand der Güterzug hier am Bahnhof Sülstorf auf dem Nebengleis. Er brachte diejenigen, die diese Marterreise überlebten, aus dem KZ Beendorf bei Helmstedt Richtung Westen, die Männer nach Wöbbelin, die Frauen nach Hamburg. Von KZ zu KZ. Unfassbares Elend drei Wochen vor Ende des Kriegs. Die Waggons waren völlig überladen; niemand konnte sich rühren. Schon unterwegs wurden immer wieder Leichen aus dem Zug geworfen. Es gab kaum etwas zu Essen oder Trinken. Zudem wussten die über 4000 KZ-Häftlinge im Zug, dass die SS-Leute überlegten, alle zu erschießen.

Allein hier in Sülstorf starben in diesen drei Tagen etwa 350 Menschen, an Erschöpfung, Erfrierung, Unterernährung, oder weil sie von der SS getötet wurden. Wir stehen hier auf einem Massengrab. Unter uns die sterblichen Reste vor allem von ungarischen Jüdinnen.

Solches unermessliches Leid, solche schreckliche Unmenschlichkeit machen sprachlos. Darum bitte ich Sie um einen Moment der Stille im Gedenken an die Opfer vom April 1945.

  • Stille

Wenn heute die Friedensdekade beginnt, sind wir für unseren Gottesdienst hier genau an der richtigen Stelle. Im Erschrecken vor dem Grauen damals liegt die Chance zur Umkehr heute.

Und „Umkehr zum Frieden“ schreibt uns das Motto der diesjährigen Friedensdekade ins Stammbuch. Bloß nicht noch einmal so viel Hass, solche Barbarei, so eine Todesmaschine. Nie wieder Krieg, nie wieder Rassismus und Antisemitismus! Das sind unsere Gebete in diesen Tagen, wo wir weltweit immer noch von so viel Gewalt, Terror und Krieg hören müssen.

Für die Umkehr zum Frieden ruft uns der Wochenspruch die Seligpreisung Jesu ins Gedächtnis. In Mt. 5,9 heißt es:

„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“

Dieser schlichte warme Satz Jesu trägt wie alle anderen Seligpreisungen große verändernde Kraft in sich. Ja, er kehrt Maßstäbe in ihr Gegenteil um, die so einleuchtend unsere Gesellschaften prägen und sich im Wahlkrimi in den USA ungeschminkt Bahn gebrochen haben. Sie lauten:

„Setz dich durch, damit du was wirst. Schaue immer auf deinen Vorteil. Fahre die Ellbogen aus, um Konkurrenten auszuschalten. Gehe unbeirrt den Weg deiner Selbstverwirklichung.“

Diese Maßstäbe sortieren nach Sieg und Niederlage, Ruhm und Schmach, Stärke und Schwäche. So funktionieren nicht nur Kriege. So funktioniert die Leistungsgesellschaft.

Jesus stellt uns Verdrehten das Kind in die Mitte. Es geht nicht um Durchsetzung, sondern um Urvertrauen. Es geht nicht um Selbstdarstellung, sondern um Vernetzung. Es geht nicht um Starksein, sondern um Solidarität. Das ist Fundamentalumkehr, neuer Anfang. Wenn wir Frieden stiften, bekommen wir einen Ehrennamen, der nichts mit präsidialem Ruhm zu tun hat: Wir heißen Gottes Kinder.

Friede beginnt, wo wir unser Herz aufmachen, um das Elend der anderen reinzulassen. Wo wir Aggression durchbrechen durch Verständnis und Zuhören. Wo wir Unversöhnliche an einen Tisch holen und ihnen Zeit geben. Wo wir uns treffen, um für gewaltfreie Konfliktlösungen zu beten und zu handeln.  

Wir wollen Erna Dohse nicht vergessen und all die anderen Opfer. Wir wollen uns an diesem Ort selbst verpflichten zum Frieden, uns verwandeln lassen durch den Geist Gottes. Wir schmieden die Schwerter von Macht und Gewalt um in Pflugscharen der Versöhnung und der Achtung voreinander. Wir kehren um, damit wir selig werden. Wir wollen Gottes Kinder heißen, die in seinem Frieden leben.       

Amen.

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