Predigt zur Kantate 1 aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Pommersche Evangelische Kirche) im Greifswalder Dom St. Nikolai
24. Dezember 2009
Liebe Gemeinde!
Wir feiern heute ein Fest, nein, nicht nur Weihnachten, sondern sozusagen ein Weihnachten plus. Am 25. Dezember 1734, also bis auf wenige Stunden genau vor 275 Jahren, erklang die erste Kantate des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach, die wir gerade erlebt haben, zum 1. Mal in einem Weihnachtsgottesdienst in der Leipziger Hauptkirche St. Nikolai.
Natürlich geht es darin um die Weihnachtsgeschichte, um den Bericht über das Kommen Gottes in diese Welt. Unsere gesamte abendländisch-christliche Kultur lebt aus diesem Geschehen, in dem sich Himmel und Erde miteinander verbinden. Wir brauchen solche lebendigen Erinnerungen an unsere christliche Tradition, damit uns der Grund des Weihnachtsfestes nicht verloren geht. Es ist doch aberwitzig, wenn ein evangelischer Verlag mir als seinem Autor zu diesem Weihnachtsfest „Season`s Greetings“ sendet, also religionsneutrale „Festliche Grüße“. Amerikanische Supermarktketten, wie zum Beispiel WalMart, wünschen ihren Kunden schon nicht mehr „Merry Christmas“- also: „fröhliche Weihnachten“ -, sondern neuerdings ein „schönes, nicht denominationelles Fest“. Wer so redet, betreibt kulturelle Umweltzerstörung. Wir feiern nicht ein nicht konfessionelles Fest, sondern ein höchst bekenntnismäßig gebundenes Fest, das Fest der Geburt des Retters der Welt. „Christ, der Retter ist da!“. Wer anders redet, schneidet uns ab von den Wurzeln, aus denen unsere Kultur lebt. Es fehlen uns dann die vitalen Kräfte, aus denen heraus sich unsere geistige Welt regenerieren kann. Wohin das führt, haben wir in diesem Teil Deutschlands sehr anschaulich erlebt. Zeitzeugen wissen genau: Wenn vor 20 Jahren nicht aus diesen christlichen Wurzeln unserer Kultur heraus die friedliche Revolution in Ostdeutschland einen Wechsel der Verhältnisse gebracht hätte, dann wäre die Altstadt Greifswalds schlicht zusammengebrochen. Wer seine christlichen Wurzeln nicht pflegt, betreibt kulturelle Umweltzerstörung. Darum ist umgekehrt Bach, das Weihnachtsoratorium, ja ein inhaltsvoll gefeiertes Weihnachtsfest ein Beitrag zum kulturellen Umweltschutz. Es macht doch keinen Sinn und widerspricht auch der Religionsfreiheit, Minarette und Moscheen zu verbieten. Vielmehr sollten wir unsere Tradition und unsere Kultur leben und sie nicht verstecken.
Dabei ist eine rechte Weihnachtsstimmung wunderschön. Wer mag den Weihnachtsbaum, die Kerzen, die geschmückten Stuben und das festliche Essen missen? Wer wollte schon auf den guten Brauch verzichten, anderen zum Weihnachtsfest eine Freude zu machen durch liebe Weihnachtsgrüße oder schöne Geschenke? Und was wäre ein Weihnachtsfest ohne Musik? Schon die Musik als solche erhebt die Seele. Um wieviel mehr tun wir uns etwas Gutes, wenn wir gemeinsam singen. Weihnachten bietet – nicht nur durch die Mitwirkung bei einer solchen festlichen Kantate und das Singen von Weihnachtsliedern im Gottesdienst, sondern auch durch das gemeinsame Singen in unseren Häusern eine grandiose Möglichkeit, gemeinsam unsere Kultur zu pflegen. So findet die Weihnachtsbotschaft nicht nur einen Eingang in unsere Köpfe, sondern auch in unsere Herzen.
Die eigentliche Weihnachtsgeschichte ist schnell erzählt. Der römische Kaiser Augustus wollte eine Volkszählung durchführen. Jeder musste dorthin, wo seine Familie Grundbesitz hatte. So zogen auch Maria und Josef aus der Stadt Nazareth in Galiläa nach Bethlehem bei Jerusalem. Für Maria war diese 140 km weite Wanderung beschwerlich, denn sie war hochschwanger. Gerade noch schaffte sie es, Bethlehem zu erreichen. Dort gebar sie ihren ersten Sohn, versorgte ihn so gut wie sie konnte und weil sie sonst keinen Platz in der Herberge fanden, legte sie ihn in eine Futterkrippe. Bach und sein leider unbekannter Textdichter wollen uns mit diesem Beginn der Weihnachtsgeschichte dreierlei sagen:
1. Die Weihnachtsgeschichte ist eine Liebesgeschichte
Die Geburt Jesu vergleicht Bach mit dem Kommen eines Bräutigams. Mit diesem Bild transportiert er eine Botschaft. Mögen viele das Leben auch als leer empfinden. Das Leben ist mit Liebe gefüllt. Wer nicht aus einer positiven Grundhaltung heraus leben kann, muss aufpassen, dass er oder sie nicht verhärten und egoistisch werden. Man versucht dann das Beste aus seinem Leben zu machen und sucht das kleine Glück, dass wir uns selbst bereiten können.
Das Weihnachtsoratorium singt uns dagegen das große Glück ins Ohr, das Gott uns bereitet hat. Schon der Anfang des gesamten Weihnachtsoratoriums reißt – bildlich gesprochen - den Himmel auf: „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage, rühmet …“. Pauken, Trompeten und rasende Streicher zeigen an, wie sich in dieser unscheinbaren Geburt in einem Bethlehemer Stall der Himmel öffnete. Gott kommt zu uns. Ein Liebesstrom beginnt zu fließen und kommt an sein Ziel, wenn das Kind aus der Krippe, Jesus, in unser Herz einzieht. Bei wem diese Weihnachtsbotschaft ankommt, bei dem ist es so, als wenn seine Liebste ihm sein Herz abgewinnt.
2. Die Weihnachtsgeschichte ist eine Erfüllungsgeschichte
Sie geschieht in einer scheinbar von den Politikern regierten Welt. In unserem kleinen Abschnitt wird der römische Kaiser Augustus genannt. Andere Herrscher und Potentaten, der römische Prokurator Quirinius oder der jüdische König Herodes, treten in anderen Passagen an seine Seite. Es scheint so, als ob diese Machthaber die Geschichte bestimmen. Aber in diese säkulare Geschichte eingebettet erfüllt sich Gottes Heilsgeschichte. In und unter allem Ringen und Sorgen der Menschen wirkt Gott sein Heil. Bethlehem, das ist die Stadt Davids, des prototypischen Herrschers aus Israels Anfangstagen. An ihm soll der zukünftige gerechte Herrscher gemessen werden. Durch Gottes Heilsgeschichte bekommt die unbarmherzige Geschichte der Menschen Züge der Hoffnung. Wir dürfen das Vertrauen haben, dass Gott in der von Menschen verhunzten Unheilsgeschichte doch sein heilvolles Ziel erreicht.
Das gilt auch für unsere Gegenwart. Waren auch die versammelten Regierungschefs in Kopenhagen nicht in der Lage, das Ansteigen der Weltdurchschnittstemperatur zu begrenzen, so bleibt doch die christliche Botschaft der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung uns allen aufgetragen. Auch wenn der Hunger in der Welt derzeit wieder zunimmt und die Zahl der Armen – auch in unserem Land steigt, dann liegt doch in der Weihnachtsbotschaft die unüberhörbare Aufforderung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu wirken. Noch nie haben Kriege – ob in Afghanistan, im Irak oder sonstwo Probleme lösen können. Nur wenn wir uns auf die Botschaft des in der Krippe Geborenen besinnen, werden wir die Orientierung gewinnen, die wir brauchen. Wir Menschen machen es Gott schwer, seine Ziele zu erreichen. Gott kommt zu den Menschen und findet keinen Raum unter ihnen. Gott ist heimatlos in einer Welt, die er doch geschaffen hat. Hier schon deutet sich ein Gedanke an, der später im Leiden Jesu Christi am Kreuz gipfeln wird. Wir Menschen machen es Gott nicht leicht, seine Ziele zu erreichen, sondern drängen ihn aus dieser Welt heraus. Das ist nicht nur schlimm, sondern zugleich ein großer Trost für alle, die in dieser Welt heimatlos sind, oder für die, die für die Erreichung der großen Ziele kämpfen, für die sich das Kind in der Krippe in seinem Leben später eingesetzt hat. Es macht uns nicht hoffnungslos, auch angesichts von Niederlagen weiter in der Nachfolge des Kindes in der Krippe und des Mannes am Kreuz zu leben. Wir wissen, am Ende wird es gut und deshalb setzen wir uns schon jetzt für Gott und seine Maßstäbe ein.
Jeder Mensch auf dieser Erde soll das bekommen, was er zum Leben braucht. Es ist genug für alle da. Das ist Gerechtigkeit. Friede wird sich ausbreiten, wenn wir zurückkehren zu Gott und unsere Mitmenschen achten. Wer Gott als letzte Instanz über sich anerkennt, weiß auch, dass wir nicht Herren der Schöpfung sind, sondern Gott sie uns lediglich für eine begrenzte Lebenszeit als Leihgabe in unsere Verantwortung gegeben hat, damit wir sie „bebauen und bewahren“. Wer sich von dem Kind in der Krippe zu einer Gottesbeziehung zurückführen lässt, der lebt aus einer Geborgenheit, die selbst der Tod nicht zerstö-ren kann.
3. Die Weihnachtsgeschichte öffnet uns den Himmel
Ja, Gott reißt den Himmel auf. Er kommt aus seiner umfassenden Wirklichkeit zu uns und konkretisiert sich in diesem Kind in der Krippe in Bethlehem, um uns in seine umfassende Wirklichkeit aufzunehmen. Gott eröffnet uns in der Zeit Ewigkeit. Darum ist kein Jammern und kein Klagen angebracht: „Auf, Zion, … verlasse nun das Weinen“, fordert uns die AltStimme auf. Gott bereitet uns die größte Freude, die in Ewigkeit nicht aufhört. Es tut gut, nicht festgelegt zu sein auf ein leeres Leben ohne Sinn, sondern erfüllt leben zu dürfen und eine Zukunft bei Gott zu haben.
Bach weist uns den Weg dorthin. Durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus beginnt eine Liebesbeziehung, die auf Ewigkeit angelegt ist. Mit seinem Kommen zu uns wirbt Gott um unsere Liebe. Das heimatlose Jesuskind soll nicht nur in einem harten Futtertrog in Bethlehem schlafen. Seine Sendung zu uns kommt erst zu ihrem Ziel, wenn wir Jesus einen Platz in unseren Herzen einräumen. So endet die Kantate mit dem eindrucksvollen Choral:
„Ach mein herzliebes Jesulein,
mach dir ein rein sanft Bettelein,
zu ruhn in meines Herzens Schrein,
dass ich nimmer vergesse dein!
“Das ist nicht mehr unsere Sprache, gewiss. Aber die Einladung bleibt ausgesprochen, einsmit Jesus zu werden, damit der Himmel auf die Erde und die Ewigkeit in die Zeit kommt.Auf dieser Grunderkenntnis ruht unsere Kultur. Wir wollen sie Weihnachten 2009 neu entdecken und aus den Kräften des geöffneten Himmels leben.
Amen.