16. Februar 2020 | Hauptkirche St. Trinitatis, Hamburg-Altona

Predigt zur Ordination am Sonntag Sexagesimae

16. Februar 2020 von Kirsten Fehrs

Predigt zu Lukas 8, 4-8

Liebe Festgemeinde, liebe Ordinandinnen,

mit so einem Evangelium lässt sich‘s ja nun wahrlich gut anfangen. Passt genau: Das Wort Gottes aussäen, dass es wirklich fruchtet, darum nämlich geht‘s in diesem Gleichnis. Oder um es gleich einmal mit Ihrer Frage, Frau Gutjahr, zu verbinden: Wie gelingt es, dass die Idee von Lebensfreude, vom Evangelium eine Sprache findet, so dass sie die Herzen der Menschen wirklich erreicht? Also kein hohles und formelhaftes Gerede, das leer bleibt. Leeres Geplapper und Belanglosigkeiten, derer gibt es wahrlich genug. In der Kirche und anderswo. Also: Wie ist es, das Wort, das berührt? Das Wort, das Menschen trägt, Kinder tröstet, Gemeinschaften zusammenhält? Nachhaltig eben?

Das Erste, so lehrt uns das Gleichnis, ist: nicht sparsam austeilen, sondern reichlich. Raus mit allem, was zur Verfügung steht an Saat. Raus mit Sprachwitz und Kritik, klarer Rede und Irritation. Raus mit Gitarrenspiel, Lyriklust und Flötentönen; er möge sich entfalten, der große Fächer der Begabungen, der sich ja allein schon in den wenigen Stunden auf der Ordinationsrüstzeit durch Sie drei aufgespannt hat. Genau das braucht unsere Kirche! Dass Menschen, dass Pastorinnen wie Sie mit Lust auswerfen und säen, verschwenderisch und vielleicht mit manchem Wagnis, aber allemal doch lebensnah und nahe bei sich selbst, in aller Ehrlichkeit so talentiert. Sie haben so viel zu geben.

Und er macht es ja vor, Gott selbst. Üppig gibt er. Großzügig wirft er die Saat aus, wenn nicht sogar planlos. Oha, würde Frau Gansel jetzt vielleicht sagen, aus wirtschaftlicher Sicht ein Desaster. Wird doch in der freien, ebenso wie in der Landwirtschaft akkurat bemessen, wie viel Saat auf welchem Boden ausgebracht wird, welcher Dünger nottut, damit möglichst viel Gewinn fruchtet.

Und hier nun: nichts mit Kosten-Nutzen-Rechnung. Mit vollen Händen wird verteilt, was sich vermehren soll: Liebe, die den Hass in der Welt überwindet. Und da braucht‘s im Moment viel. Viel Wagnis, Liebeswort, reichlich Zukunftsmut, ja, Gegenwind. Gegen all die, die die Saat des Guten ganz bewusst töten, zertreten, verdorren lassen. Gegen all die Wutschnaubenden und Angstschürer, gegen Hasstiraden und Demokratie-Verstörer, gute Güte, was hat allein in der vergangenen Woche dieses bizarre Rücktritts-Desaster und dieser ungehemmt auftretende Rechtsextremismus unser Land erschüttert. Nein: Gegenwind durch Zukunftsmut! Die Saat voller Liebesworte- und taten braucht Menschen, die sie säen. Und zwar verschwenderisch! Wie Gott selbst. Maßlos liebtGott diese Welt.

Diese eine Welt – nur durch das Wort hat Gott sie geschaffen. Er rief alles ins Leben – mit dem Wort. Er sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. Also, wer Ohren hat zu hören: Sein Wort ruft zum Leben.

Auch Sie hat er gerufen, um nicht zu sagen berufen. Wir haben bei der Ordinationsrüstzeit über das Berufen-Sein gesprochen, auch weil es sich so groß anhört und mit der eigenen Angst, womöglich in vielem nicht bestehen zu können, in Spannung steht. Und? Hat es uns berührt, das Wort? Zärtlich, suchend, flüsternd, schweigend? Wort Gottes, das uns ebenso trägt wie es uns verändert?

Ich glaube, wir alle waren uns einig: Berufen zu sein ist eine absolut individuelle Erfahrung, für die eine ein Schlüsselmoment, für die anderen ein Prozess, den man eigentlich erst im Nachhinein versteht. Und eins ist klar, sagten Sie, liebe Frau Schwethelm, berufen zu sein, heißt auch, herausgerufen zu sein: Raus aus Gesetzlichkeiten, ja, auch aus Kirchenmauern und Gewohnheiten. Wir brauchen Herzensweite, Sensibilität dafür, was die (jungen) Menschen bewegt, worüber sie reden und welches Wort sie ersehnen.

Ich bin sicher – es gibt viele in diesen Zeiten, die sich nach einer Sprache sehnen, die Kraft gibt und Inspiration, ja, die das deutliche und deutende Wort ersehnen. Deutung von dem, was unverstanden auf der Seele liegt. Hochgerissen durch Krankheit und Krise, durch Verletzung und Schuld, durch eigene Schwäche, die man nicht aushalten kann und durch das Glück, das man nicht selbst geschmiedet. Und diese Sprache des Eigentlichen, ist etwas total anderes als die Verlautbarungen, die uns täglich umgeben. Es ist eine Sprache mit Poesie, Worte mit Tiefe und Gesten mit Herz. Sprache, die versteht, was in einem ist. Eine Sprache deshalb für klare Verhältnisse. Und für zärtliche Gefühle.

„Wir haben ja das große Privileg“, sagten Sie so wunderbar, „dass wir Wortfinderinnen sein dürfen.“ Das heißt ja, so von Gott zu reden, dass alte Worte sich mit neuen Geschichten verknüpfen, so dass es in einem licht, dass einem etwas klar wird. Oder – um im Gleichnis zu bleiben – etwas aufblüht und wächst.

Großartig nämlich Ihre Idee, sich die Gemeinde Jesu Christi einmal auszudenken wie einen Mecklenburger Pfarrgarten. In dem tolle Sachen munter durcheinander wachsen, in den verrücktesten Farben und Formen. Manches davon blüht und gedeiht. Anderes verliert sich zwischen dem bunten Gewusel. Manches wächst ganz akkurat, wie man es wirklich gewollt hat.

Und dann sind neben anderen ganz entscheidend Sie da, um diesen Garten zu hegen und eine Kultur zu pflegen. Kultur des guten Landes. Eine Aufgabe, die Ihnen auch Respekt einflößt, sagten Sie. Denn klar, ab und an wird man in Dornen langen und sich manchen Kratzer holen. Oder die Verantwortung wird solch eine Last, dass die Lust am Schöpferischen leidet. Doch Gegenwind kommt vom Gleichnis: Gott sät auch üppig dort aus, wo wir uns karg und öde fühlen. Wenn wir Mühe haben, an ihn zu glauben, glaubt er an uns. Das Zutrauen in uns geht nie verloren, auch wenn manche Saat nicht aufgeht. Es gibt Disteln, Dornen und dürre Zeiten, aber keinen hoffnungslosen Fall. Gebt keinen verloren. Der Vorhalt, den wir gleich in der Ordination hören, um dieser Haltung Nachdruck zu geben, ist ein so großartiger Text, weil er jedem Menschenkind, jedem Gefühl, zu gering zu sein, diese verschwenderische Großzügigkeit entgegenstellt. Gott liebt diese Welt. So was von.

Und so ist es mitten unter uns, Gottes Reich. Mit seinem Wort, das Herzen rührt und Taten will, und darin stark ist. Kein Larifari, sondern überaus wahr und klar, zärtlich, suchend, flüsternd, schweigend auch. Wort, das uns bindet, gemeinsam.

Das heißt auch: Nicht allein wir Pastorinnen sind immer dran, aus „berufenem Munde“ kluge Worte zu sagen. Manchmal sind es nämlich genau die anderen, die überraschend etwas neu aufblühen lassen. An Erkenntnis. Segen. Entlastung. Menschen, die mit uns auf dem Weg sind in den Gemeinden und die im Garten der Nächstenliebe hundertfach Frucht bringen.

Eine der nachhaltigsten Erfahrungen dazu habe ich in St. Pauli gemacht, als die Kirchengemeinde vor einigen Jahren ihre Kirche öffnete, um achtzig afrikanischen Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren. Aus einem spontanen Impuls heraus. Oder auch: Frucht des Wortes, das die Ängstlichen hält und zugleich die Situierten verändert, im Stadtteil, in der Kirche, ja, im Senat.

… durch beispielsweise Hotte. Hotte war Türsteher auf der Reeperbahn. Einigermaßen ehrfurchterregend. Groß, tätowiert und in seiner Sprache, sagen wir, recht geradlinig. „Das Leben ist eine Mischkalkulation“, sagte er immer, und dann passte er auf. Nacht für Nacht hat er gemeinsam mit seinen Kumpels die Kirchentür bewacht. Ehrenamt der besonderen Art. Er sagte: „Hier in St. Pauli bin ich getauft, hier bin ich in den Kindergarten gegangen. Und als ich gehört habe, dass Rechtsradikale den Afrikajungs Angst machen, da war Feierabend bei mir. Ich bin zum Pastor und hab gesagt: Hier bin ich.“

Wort des Lebens. Denn ihm und vielen anderen ist es gelungen, dass der Geist der Unverzagtheit in die Kirche eingezogen ist. Der Geist, es aufzunehmen mit den Widrigkeiten und die Verstörten zu trösten. Und vor allem: friedlich zu bleiben. Waren die Geflüchteten doch zumeist sehr religiöse Christen und Muslime aus sieben afrikanischen Ländern, alle unter einem Dach.

Gerade in der kritischen Zeit war ich öfter bei ihnen, um mit ihnen zu reden, wie wir ihre Situation verbessern können. Manche sprachen nur Bambara, einige Englisch oder Französisch. Und nun erklären Sie mal die Möglichkeiten oder besser: Grenzen unseres Asylrechts, das man noch nicht einmal auf Deutsch versteht. – Es war eine unerhört dichte Atmosphäre, als wir da eines Abends im Kreis saßen mit all den jungen Männern, existentiell betroffen von jedem Wort, das fiel – und das übersetzt wurde, ins Englische, Französische, Bambara und zurück ... So radebrechten wir uns durch die Nacht. Am Ende, nach Stunden der Spannung, standen wir auf, und ich sollte – und wollte! – beten. Keine Übersetzung nötig, haben alle verstanden. Und als ich schließlich die Hände hob, um den Segen zu sprechen, geschah etwas zutiefst Anrührendes: Alle Flüchtlinge im Kreis taten es mir nach. Sie hoben die Hände. In spontaner Zutraulichkeit. Still und ernsthaft.

Sie segneten uns. Die Übersetzerin Elke, die Pastoren, all die vielen Unterstützer*innen und mich. So nah Gottes Reich, mitten unter uns, allein durch sein Wort.

Gehen Sie gesegnet, liebe Ordinandinnen – erwartungsfroh, wer und was Ihnen alles zum Segen werden kann. Es ist ein wunderschönes Amt, das auf Sie wartet. Und sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Sie und unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
16.02.2020
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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