Reformation ist immer
31. Oktober 2016
Reformationstag, Predigt im Gottesdienst zur Eröffnung des Reformationsjubiläums
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.
Es geht los, liebe Schwestern und Brüder! Der große Countdown zum Jubiläumsfest der Reformation am 31. Oktober 2017 startet. Jetzt. Heute. Reformation – das war nicht nur ein geradliniger, wortgewaltiger Luther gestern. Das ist auch die friedensfindige und bitteschön wache Zeitgenossin Kirche heute. Reformation ist immer. Im wörtlichen Sinne von um- und rück-gestalten. Wobei man halt auch manches aus dem Weg räumen muss. Damit man unverstellt das Evangelium hört, was es wirklich meint. Wie wir es eben erlebt haben. Wenn man es endlich mal versteht – ist es nicht das schönste Liebeslied aller Zeiten? Wir sind auf der Welt, liebzuhaben. Jeder weiß, was Liebhaben ist. Zärtlich umarmt werden. Oder vor lauter Freude gedrückt, dass man nach Luft schnappen muss, so glücklich ist das.
Glücklich sollt ihr sein, sagt Gott und liebt uns. Jede und jeden, immer schon und immer noch, seien wir groß, klein, mächtig, schmal, fragend, stumm, gerade heraus oder verwirrt im Jetzt. Gibt es ja Zeiten, nicht wahr, da ist man im Inneren so unaufgeräumt…
Also aufgeräumt. Machet Bahn, räumt die Steine weg. So sagt es der alte Prophet Jesaja; ich lese den Predigttext (Jes 62, 10-12):
Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! Siehe, der Herr lässt es hören bis an die Enden der Erde: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! …Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des Herrn«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
Vorvergangene Woche stand ich genau dort, in dieser Stadt Jerusalem. Ging hinein durch die Tore. Ich war bewegt, auch weil wir katholischen und evangelischen Bischöfe und Bischöfinnen uns auf unserer ökumenischen Pilgerreise so nahe gekommen waren. Nicht diese Dogmen-Steine haben uns beschäftigt, sondern unsere Gemeinsamkeiten. Es war ein Glaubensweg back to the roots. Er führte uns an den Quellgrund aller drei abrahamitischen Religionen: den Tempelberg – für manche der Zion. –Doch dorthin werden wir nur mit Sondergenehmigung gelassen. Aufgeheizt die Stimmung. In dieser Stadt. Überhaupt im Land. Glaubenseifer und politisches Kalkül sind ein explosives Gemisch. An Dialog, vor allem zwischen Muslimen und Juden, ist kaum zu denken.
"Macht Bahn, räumtdie Steine weg" - würde ich am liebsten rufen. Doch unser Weg der Versöhnung - er konfrontiert mit der Unversöhnlichkeit verletzter Völker, Menschen, Religionen. Und mit einer Mauer. Inmitten der palästinensischen Gebiete, gebaut von Israelis, acht Meter hoch und ein Unrecht, sagt die UN.
Macht Bahn, räumt die Steine weg - auch dort, wo Jesus Licht der Welt wurde. Jesaja hält uns an, zu hoffen. Darauf, dass Mauern auch fallen können. Wir wissen doch, dass das geht. Friedlich sogar.
Und Luther? Der kennt Mauern. Tiefe religiöse Konflikte. Mit anderen. Aber auch mit sich selbst. Und sagt eben nicht, da kann man nichts ändern. Nein, sein Glaube, dass die Gnade des Schöpfers ausnahmslos allen gilt, inklusiv bis zum Letzen, das macht ihn zum Aufräumer: "Ich muss die Klötze und Stämme ausrotten, Dornen und Hecken weghauen, … und bin der grobe Waldrechter, der die Bahn brechen und zurichten muss." Ein echter Reformator, nein: "Terminator". Reformation heißt wirklich „Aufräumen“. Alles soll weg, was die Menschen von Gott trennt. Buchstäblich flogen deshalb all die Seitenaltäre aus den Kirchen hinaus, die vor allem der Verehrung von Heiligen dienten und eher wegführten von Christus. Abgeräumt wurde auch die besondere Stellung der Priester und Bischöfe - nicht mehr Heilsmittler sollten sie sein, sondern nur noch Prediger – und eben nicht wichtiger als die Stallmagd. Und schließlich: Weg mit dem Latein, dem Hokuspokus, den niemand verstand.
Alles, um dem Volk den Weg zu bereiten. Und Gott selbst. "Sagt der Tochter Zion: Dein Heil kommt.“
Und ich schaue uns an, das Volk, die Feierlichen und die Jubiläumsgäste, Euch mit diesem Elan und Tatkraft, mit wunderschönen Stimmen und schnittigem Rolli, uns alle, die wir mit manch Last des Körpers und der Leichtigkeit der Gedanken uns gemeinsam über diesen Abend freuen. Und frage mich, ob es nicht uns alle umtreibt, die Welt zum Besseren zu ändern. Vielleicht sogar uns selbst?
Reformation ist immer. Machet Bahn, die Steine räumt weg. Also ran an die inneren Barrieren. Die Hürden im Kopf. Die Mauern und Zäune, die unüberwindbar scheinen. Eigentlich wird uns dafür zunächst „nur“ eines abverlangt. Die Sicht des anderen einzunehmen. Sich umzudrehen. Anzuschauen. Lieb zu haben. Schalom zu sagen. (Friedensgruß)
Die Reformation hat um des Friedens willen etliche Barrieren abgeräumt. Bildungsungleichheit z.B. vor allem für Mädchen. Sie ist halt eine schwer Emanzipierte. Anderes aber war furchtbar. Manche von Martin Luthers Tischreden etwa, das waren eher Stammtischreden. Nicht nur sein Antijudaismus war skandalös. Unerträglich auch die Abfälligkeit, mit der er Menschen mit Behinderungen beschimpfte. Da erspare ich uns Einzelheiten. Da hat er Mauern gebaut, als Bahnen geebnet. Auch das muss der Ehrlichkeit halber gesagt sein.
Bleibt, uns selbst in unseren Widersprüchen ehrlich anzuschauen. Dass manch Sonntagsrede gern die tätige Nächstenliebe sähe und man sieht sie halt nicht… Wo die Barriere, respektive der Balken nicht nur im Auge des anderen liegt, nicht nur in Hamburgs U-Bahnen und Plätzen, sondern auch in Kirchen und Gemeinden. Wir haben noch viel aufzuräumen, damit es gerecht wird. Und heiler. Dazu gebe Gott uns Findigkeit und Mut, liebe Reformationsgemeinde. Er der uns gleich geschaffen hat, gleich welche Unterschiede wir an Körper, Seele und Geist tragen – seine Gnade will auf die Welt kommen. Immer wieder. In dieser Stadt und dieser Welt.
Amen