2. Mai 2015 | Hamburg, Hauptkirche St. Michaelis

Schützenhilfe für die Tradition

02. Mai 2015 von Kirsten Fehrs

Festgottesdienst anlässlich des 59. Deutschen Schützentages mit einer Predigt über Jesaja im 40. Kapitel (VV 29-31)

Gott gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen;  aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Liebe Festgemeinde,

alles was recht ist: Müde und matt wirken Sie wahrlich nicht. Eher ausgesprochen beflügelt – mit Fanfaren und Trommeln, und dies gerade nach all dem Wandeln durch unsere Stadt. Und, liebe Schützinnen und Schützen, Hamburg ist doch wirklich wunderschön? Außerdem haben Sie sich die großartigste Kirche ausgesucht – allerdings passen Sie trotzdem nicht alle hinein. Was ja als gutes Zeichen zu werten ist, erfreut sich offenkundig das Schützenwesen eines großen Zuspruchs. Und also ist es dem Weihbischof und mir eine große Freude, Sie alle innerhalb und außerhalb der Mauern des Michels mit dem Friedenssegen zu grüßen – Gnade und Friede von dem, der uns in seiner Güte leitet und schützt!

Zudem ist es mir eine Freude, wieder einmal vor Schützen zu reden – zuletzt habe ich es in Harburg getan, als ich relativ frisch im Amt als Bischöfin war. Natürlich mit Umzug und allem Drum und Dran – dies an der Seite des überaus freundlichen, aber auch an der Kette schwer tragenden Königs. Nun hatte ich – nicht unberechtigt – den Eindruck, dass nicht jeder so recht wusste, wer diese Frau da an der Seite des Schützenkönigs war. Jedenfalls eindeutig NICHT wusste das der Redakteur der Lokalzeitung, der unter das Foto mit mir und dem Schützenkönig die legendäre Zeile schrieb: "Gemeinsam tragen sie das Amt: König Peter mit seiner Königin Gisela…"

Bei allem Humor, da ist ja was dran. Gemeinsam tragen wir heute das Amt – ökumenisch, feierlich, friedenssehnsüchtig. Mit Ihnen gemeinsam geht es eben um Gottes Dienst in dieser Welt. Um die Liebe zu den Nächsten, die unseres Schutzes und unserer Achtung bedürfen. Hier und in der Welt. Sie brauchen uns im Miteinander, etwa sie, die – gerade jetzt – in Nepal in großer Trauer vor den Trümmern stehen, und natürlich auch sie, die in unserem Land um ihre Würde kämpfen.

Mit Ihnen, liebe Schützinnen und Schützen, gemeinsam – denn es hat ja durchaus alte Tradition, dass die Einwohner einer Stadt selbst ihr Gemeinwesen geschützt haben. Auch in einer Großstadt wie dieser mit ihren lebendigen Schützenvereinen in Heimfeld, Jenfeld, Wandsbek und so fort. Und einmal auf das Wort geschaut, hängt das Wort "Schütze" nicht nur mit "Schuss", sondern auch mit "Schutz" zusammen. Früher schützten sie die Stadt. Eine Vorform der Wehrpflicht, könnte man sagen, die ja ihrerseits eine frühe Form demokratischen Engagements war.

Doch was schützen Schützen heute? Ich glaube, sie schützen und bewahren zunächst Traditionen. Sie geben unseren Dörfern, Städten und Stadtteilen eine Identität. Und indem Sie das tun, leisten Sie einen wichtigen Dienst auch an den jungen Menschen, die sich hier sinnvoll einbringen können. Allzumal wenn es um soziale Werte und Integration geht. So etwa haben etliche Schützengilden Geld für Flüchtlinge gesammelt und sie auch gleich zum Schützenfest eingeladen. Oder, wie ich es vom Diakonischen Werk Saarland gelesen habe, bieten sie jungen Flüchtlingen einen Schnupperkursus im Bogenschießen an. Eine echte Schützenhilfe, wenn man so will. Und ich möchte mit den Worten Jesajas herzlich an Sie appellieren: werden Sie darin nicht müde! Nicht matt darin, auf diesem Weg zu wandeln und damit auch sich selbst zu wandeln!

Apropos, obwohl diese Worte Jesajas Jahrtausende alt sind, sind sie doch klug und gültig. Und zwar deshalb, weil sie uns daran erinnern, dass wir oft genug neue Kraft brauchen, die nicht aus uns selbst heraus kommt. Wie sehr ist doch das, was uns wirklich im Leben stärkt und etwas bedeutet, ein Gnadengeschenk! Das Kind, das meine Hand sucht. Der Mensch, der mich innig liebt. Die Freundin, die mich begleitet – auch in bitterer Zeit. Alles nicht aus eigener Kraft. Und so ließe sich gerade heute mit Jesaja weiterfragen: Wie steht es eigentlich um den Schutz der Schützen?

"Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen, aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft."

Diese Worte sind einst den Israeliten zugesprochen worden, als sie sich so ungeschützt fühlten im Exil. Sie sehnten sich nach der Heimat, 40 Jahre schon. Und dann steht doch in ihrer Mitte dieser Jesaja auf, der unbeirrt von Trost redet und Zuversicht. "Fürchte dich nicht, ich helfe dir", so überliefert er Gottes Worte. Also: Hört auf zu jammern, richtet euch auf, schaut, was alles vor euch liegt, nicht allein auf das, was hinter euch liegt. Habt Gottvertrauen! Denn ER wird euch bewahren und schützen.

Alte Worte, die unbedingt in unsere Zeit passen. Wir sitzen zwar nicht im Exil in einem fremden Land. Aber Verlorenheit – die gibt es auch bei uns. Nicht selten auch Gottverlorenheit. Für viele doch ist Gott so fremd geworden, nicht nur unbekannt verzogen, sondern auch noch unbemerkt. Und so bleiben viele trostlos. Umso wichtiger, Jesajas Worte heute zu hören. Gerade in dieser Gesellschaft, die immer mehr von dem Einzelnen verlangt, mehr Leistung, mehr Flexibilität, mehr Einsatz, selbst in der Freizeit. Und in der sich viele fragen: Wie soll ich das alles schaffen? Denn zugleich lockern sich ja die Bindungen und Traditionen, auch die der Schützenvereine. Früher, so klagen deshalb viele, da war doch mehr Schwung auf unseren Festen, da kamen noch mehr Jüngere – wie ist das doch alles wenig geworden…

Halt, sagt Jesaja: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden." Das ist das Gegenprogramm: Nicht hineinfallen ins Müde und Matte – Gott gibt deiner Seele Flügel wie ein Adler.

Ich glaube, dass jeder Mensch solchen Zuspruch braucht. Damit wir neu auf unser Leben schauen. Darauf, was Gott für uns ersehnt: dass wir jeden Morgen mit Lebensfreude aufstehen mögen und irgendwann am Lebensabend zufrieden gehen. Und dass wir nicht müde werden, uns zu wandeln. Aus der Kraft, die uns solche Verheißungen geben, erwächst nämlich immer auch Gutes für andere. Wie sonst könnten wir den Frieden schützen und die Gemeinschaft, ja die Demokratie?

Um nichts weniger geht es heute. Und dazu möchte ich Ihnen zum Abschluss eine kleine Anekdote hier aus Hamburg erzählen, die 1814 in einer Berliner Tageszeitung erschien. In ältester Zeit, so hieß es darin, kam es in Hamburg wegen der kriegerischen Verhältnisse so sehr auf den Schützendienst an, dass per Gesetz jeder Bürger mit dem Tode bestraft werden sollte, der seinen Wachposten verließe. Später dann wurde die Strafe auf 12 Schillinge herunterjustiert.

Nun traf es sich, dass ein sehr geiziger Pantoffelmacher Wache hatte. Er haderte damit, weil er seine Arbeit noch nicht fertiggestellt hatte. Also ging er so peu à peu immer etwas weiter von seinem Posten ab, bis er endlich zu Hause war. Leider verpasste er beim Arbeiten knapp seine Ablösung, so dass er prompt zur Strafe von 12 Schillingen verurteilt wurde. Der Pantoffelmacher aber, "des alten Rechts kundig", erklärte, dass er keinen einzigen Schilling geben würde; er wolle lieber hingerichtet werden. Man redete auf ihn ein, versuchte ihn umzustimmen – es wurde gar der Beichtvater geschickt, alles vergebens. Schließlich baten ihn seine Kameraden, er möge doch um Gottes willen, außer den 12 zur Bezahlung der Strafe noch weitere 24 Schilling von ihnen als Geschenk annehmen, nur damit sie ihn nur nicht zu erschießen brauchten!

Auch das lehrt uns diese Anekdote: Wir sind nur dann eine starke Gesellschaft, wenn wir es verstehen, Traditionen zu würdigen und dabei den Humor nicht vergessen. Wenn wir mit Ernst den Frieden lieben und zugleich tanzen und feiern und lachen. Dazu wünsche ich Ihnen Gottes Segen – und das nun nicht als Königin Gisela, sondern als die Hamburger Bischöfin. So soll der Segen euer Herz erreichen, und ihr werdet auffahren mit Flügeln wie Adler.

Amen.

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