"Schwerter zu Pflugscharen" - ein Hoffnungswort
26. Juli 2015
8. Sonntag nach Trinitatis, Gedenkgottesdienst anlässlich des Ohlsdorfer Friedensfestes mit einer Predigt zu Jesaja 2, 1-5
Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Gnade und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen
Liebe Gemeinde an diesem besonderen Orte, an diesem Mahnmal zu einem wohlgemerkt Friedens(!)-fest predigen zu dürfen, und das im 70. Jahr nach der Befreiung - das empfinde ich als große Ehre. Und ich danke allen vom Bündnis, die das ermöglicht haben!
Und dann gibt es auch noch diese unglaublich passenden Bibeltexte des heutigen 8. Sonntags nach Trinitatis, die für diesen Anlass geschrieben scheinen: Schwerter zu Pflugscharen, so träumt es Jesaja. Wie gut ist heute dieses Hoffnungswort! Aber auch schon der Wochenspruch nimmt dies Gedenken auf: "Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit." Kinder des Lichts sollen wir werden. Alle, die wir hier sind. Als Männer und Frauen, die es einfach nicht lassen können, Licht ins Dunkel manch brauner Geschichte zu bringen. Die es einfach nicht lassen können, den Frieden zu ersehnen. Zu erbitten. Am besten auch zu leben. Manchmal ein bisschen verrückt vor Hoffnung. Im Angesicht dieses Mahnmahls, das an größten Schmerz erinnert. Vor ihm gedenken wir heute die Zeit vor 70 Jahren, in der sich das Licht anfing gegen die Finsternis totalitärer Gewalt durchzusetzen. Morgenglanz der Menschlichkeit.
Und dies in aller Gebrochenheit. Denn wir gedenken gerade an diesem Ort auch der Zeit, als in Hamburg so viele Menschen im Feuersturm verbrannten. Ja, wir gedenken aller Menschen, die getötet wurden. In all den Bombenhageln der Welt, in den KZ´s, in den Gaskammern. Wir gedenken ihrer, die nichts mehr hoffen, oft auch nichts mehr glauben konnten und die keinen Menschen mehr lieben durften. Und wir gedenken natürlich der Ursachen dieser Katastrophe, des mörderischen Nazi-Regimes, das als erstes die Brandfackel in andere Länder getragen hatte.
Soviel Hass! Gewalt! Soviel Trauer! Und ich merke, dass oft die Worte fehlen, wenn Menschen darüber reden. Immer schon. Immer noch. Weil es wohl letztlich unbegreiflich ist, was an Grauen geschehen ist. Ich finde, es liegt auch Würde darin, dieses Morden und Vernichten unbeschreiblich bleiben zu lassen.
Verstummt und erstarrt vor lauter Erschütterung - genau so sieht Jesaja sein Volk Israel vor sich. Ohne Heimat und ohne Tempel ist es ein Volk, das im Finstern wandelt. Auch innerlich. Sie finden keine Worte mehr, weder für Gott, noch für ihre zerbrochene Welt. Und so weinen sie bitterlich an den Wassern zu Babel.
Jesaja als ihr Prophet ringt deshalb um Worte, die das Innere erreichen. Die Elementares für die Seele geben: Worte mit Sinn. Nicht daher Gesagtes, frömmelndes Zutexten, sondern Worte, die ein inneres Bild entstehen lassen. Von Aussicht. Weite. Rettung. Freiheit. Also fängt er an, sein Volk zu erinnern. Er erinnert an die Berge und damit an die Täler, die das Volk schon durchschritten. Er erinnert das Friedensreich Gottes, das morgen werden soll, damit sie alle das Jetzt überleben. Und so setzt er in ihre tiefsten Verstörungen eines der wirkkräftigsten Bilder aller Zeiten:
Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!
Kommt nun, liebe Schwestern und Brüder, es gibt so viel zu tun, dass dieser Traum einer anderen Wirklichkeit unsere Wirklichkeit erreicht. Denn dem Volk Israel, so ist es 60 teilweise mühevolle Kapitel später zu lesen, geht es ja tatsächlich so, dass es wieder aufsteht. Widersteht. Auch mit Worten. Vorbei sind die Tränen, das Weinen, der Schmerz, so haben wir es eben gesungen. Das Neue wird sein, gibt uns neue Kraft. Auch im Hier und Jetzt.
Und ich schaue im Hier und Jetzt - auf über 30 Kriege. Stehe neben diesem Mahnmal, das ja in seinem Inneren mit dem Relief so beeindruckend dicht den Schmerz an uns heran holt. Weil es innere Bilder entstehen lässt, viele hier von Ihnen, liebe Gemeinde, werden sie haben. Und mir wird bewusst, dass es heutzutage eine Flut von äußeren Bildern ist, die uns zu unmittelbaren Zeugen machen von Gewalt und Tod. Durch Twitter und YouTube 24 Stunden täglich. Wir sind sehr dicht dran, wenn der Frieden zerbricht und wenn Menschen ihrer Würde beraubt und umgebracht werden. Gewaltvideos zoomen reale Hinrichtungen in unsere Wohnzimmer. Ist das noch zu verstehen?? Oder: verstehen wir wirklich, was da passiert? In Syrien, im Irak, in Afghanistan. Auch vor den Grenzen Europas?
Als ich vor kurzem in der zentralen Erstaufnahme für Flüchtlinge in Hamburg war, begegnete mir eine schwangere Frau aus Syrien. Ihr Blick ist total verstört. Und ich habe mich gefragt: Was hat sie bloß erlebt?! Welches Grauen ist ihr ganz nah - und mir, bei aller Einfühlung, doch letztlich fern? Verstehen wir wirklich, was die Flüchtlinge fühlen und denken? Sicher, wir versorgen sie, wir schützen sie, wir kümmern uns, weiter so. Gerade die Aktion letzte Woche beim Hamburger Abendblatt hat gezeigt, wie sehr die Menschen mitfühlen, helfen, mit Bergen des Nötigsten Not lindern wollen. Das war wirklich grandios mitzuerleben! Ein Hoffnungszeichen für unsere Stadt Hamburg! Und dennoch bleibt die Frage: Wissen wir wirklich, welch´ Trauma manch einer erlebt hat, in den Kriegen heute - und damals?
Sicherlich werden es viele hier wissen. Vielleicht sogar selbst erfahren haben. Aber vielleicht ist es ab und zu ganz heilsam, uns eines klar zu machen: Friedfertigkeit, Würde, Menschenrechte, diese Worte haben wir längst in unsere Predigten und Diskurse eingebaut. Empfinden wir aber noch ihr Störpotenzial?
Denn die Worte des Jesaja sind ja eben nicht nur schöne Worte. Sie sollen auch wirken - wie eine Art Stolperstein. So, wie wir auch Stolpersteine in unseren Städten verlegen, um an Verfolgte während der Nazi-Zeit zu erinnern. Da geht man durch vertraute Straßen und hält auf einmal inne, und wird gewahr: Hier hat ein Mensch gelitten. Das immer wieder zu erinnern, die Opfer von Terror und Rassenhass nie zu vergessen, liebe Geschwister, ist ein Muss, will man keine neuen Täter. Und also: wenn Neonazis diese Stolpersteine herausreißen wie in Greifswald vor 2 Jahren, dann setzen wir sie wieder ein! Stein für Stein.
Denn es geht um die Zukunft! Sie gilt es auch immer wieder zu erinnern. Auch um ihretwillen sollen wir stolpern! Herauskommen aus dem Trott der Gedankenlosigkeit. Und nachdenken, wie es besser weiter geht in dieser Welt. Deshalb brauchen wir solche Visionen wie die des Jesaja, immer wieder, die Worte für die Hoffnung finden.
Denn solche Visionen richten uns aus. Machen mutig. Weiten den Horizont. Dies ist die Kraft unseres Glaubens: Über deinen Schrecken hinaus das Friedenslied singen. Über deine Traurigkeit, deine Wut hinauslieben. Aber auch über deinen Alltag, deine Unzufriedenheit, deine Eile, deine Sorge, über das kleine Karo - über all das hinaus ein Reich zu erwarten, Gottes Reich, in dem einst keine Tränen mehr sein werden und kein Leid und kein Tod. Vorbei der Schmerz. ... Welch' Katastrophe, liebe Gemeinde, würden wir diese Zukunft vergessen und die Gegenwart verewigen. Dann ginge ja alles weiter wie bisher!
Nein, es gibt so vieles, was wir jetzt noch nicht sehen können, aber trotzdem unseren Glauben braucht: Eine Gesellschaft, die dem Flüchtling in Freundschaft entgegen kommt, und zwar allerorten, gerade doch in unserem Land! Ein Weltenhaus, in dem den Kriegstreibern und religiösen Fanatikern die Tür gewiesen wird. Eine Kirche, die mutig, viel mutiger noch aufsteht und dafür eintritt, dass Schwerter zu Pflugscharen werden. Wie aber, liebe Gemeinde, schaffen wir das: Ein Land, das Heimat wird. Ein Haus Europa, das eines Friedensnobelpreises würdig und keine Festung ist? Wie schaffen wir ein Haus auf dieser Welt zu sein ohne ein Armenhaus im Süden? Ein Haus, (griechisch =) Ökumene, in dem wir leidenschaftlich füreinander beten, miteinander handeln und den Frieden in die Wirklichkeit hinein hoffen?!
Wir brauchen Gott dazu. In unserer Mitte. Licht und klar. Dazu gilt es zu stehen! Gerade jetzt in diesen Zeiten, wo man allerorten wieder auf die Kraft der Waffen setzt. Welche Kraft steckt dagegen in Menschen, die Christus in ihrer Mitte wissen! In uns, die wir uns von ihm zutiefst geachtet wissen - wir, Salz der Erde und Licht der Welt! Wie könnte man sich da nicht innerlich öffnen? Auch für die großen Erwartungen. "Schwerter zu Pflugscharen" - diese prophetische Vision will doch ungebrochen auch heute zu Widerstand befreien. Gegen jede Lebensfeindlichkeit. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, sagt Jesaja, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Also: Lernen wir´s! Damit wir ein Land werden, in dem keine Worte und keine Taten mehr fehlen für den Traum, der Frieden heißt. In allen Sprachen der Welt. Salam. Schalom.
Der Friede Gottes. Er, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt doch längst unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen