Prävention

Sexualisierte Gewalt: So will die Nordkirche Betroffenen im Idealfall helfen

Kirche soll ein sicherer Ort sein – wie jeder Ort, an dem Menschen zu guter Gemeinschaft
zusammenkommen. Darum muss die Kirche sexualisierter Gewalt mit Kraft entgegenstehen.
Kirche soll ein sicherer Ort sein – wie jeder Ort, an dem Menschen zu guter Gemeinschaft zusammenkommen. Darum muss die Kirche sexualisierter Gewalt mit Kraft entgegenstehen. © Nordkirche

25. September 2025 von Kristina Tesch

Was passiert, wenn in einer Kirchengemeinde ein Fall von sexualisierter Gewalt bekannt wird? Verfahrensabläufe für den Idealfall gibt es in der Nordkirche, doch es kommt immer auf den Einzelfall an. Wichtig ist: der betroffenen Person wird geglaubt. Ein Experte erklärt, wie die Nordkirche bei Verdachtsfällen vorgeht und warum der Schutz der Betroffenen an erster Stelle steht:

Stabsstelle Prä‍ven‍ti‍on: Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Nordkirche

www.kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Egal, ob Kirchengemeinde, Sportverein oder Kita, wenn ein Verdachtsfall auf sexualisierte Gewalt auftritt, ist das eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten. Sofort entstehe eine Vielzahl an Fragen: „Was ist genau passiert? Gibt es weitere Betroffene?“, erläutert Lars Palme. Er ist Referent für Intervention in der Stabsstelle Prävention - Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Nordkirche in Hamburg.

Es kommt auf den Einzelfall an

„Wir empfehlen dann Verfahrensabläufe für Kirchenkreise und Kirchengemeinden.“ Diese seien für den Idealfall, doch es komme immer auf den Einzelfall an. Durch die unterschiedlichen Rechtsformen der Kirchenkreise, Gemeinden und Träger sei es zudem nicht möglich zu sagen: „So macht ihr das!“

Jeder Kirchenkreis hat eine meldebeauftragte Person

In der evangelischen Nordkirche gibt es seit der Anforderung durch das Präventionsgesetz 2018 in jedem Kirchenkreis eine meldebeauftragte Person. „Sie ist unabhängig, weisungsungebunden und hat sonst mit der Kirche weitestgehend nichts zu tun“, erläutert Palme.

Vom Verdachtsfall über ein komisches Gefühl, eine Beobachtung oder Vermutung bis zur konkreten Meldung werde von dieser Person alles aufgenommen. Schon an dieser Stelle könne und müsse das Verfahren variieren, „weil natürlich die Möglichkeit besteht, anonym zu bleiben oder anonym zu melden“, gibt der Interventionsbeauftragte zu bedenken.

Broschüre (PDF): FAQ Prävention sexualisierter Gewalt

Nichts werde über die Köpfe der Betroffenen hinweg gemacht oder entschieden. „Das ist oberste Prämisse“, betont Palme. Melde sich eine betroffene Person direkt, werde das weitere Verfahren genau besprochen. „Manche möchten einen Fall einmal melden und dann nichts mehr damit zu tun haben.“ Häufig gehe es den Personen darum, dass sich die Dinge nicht wiederholen, sagt der Experte, der selbst acht Jahre als Meldebeauftragter im Kirchenkreis Altholstein tätig gewesen ist.

Spätestens nach der Meldung gebe es auch eine gemeldete Person, sagt Palme. Hier sei der Begriff wichtig: „Es ist noch keine verdächtige Person, sondern es ist eine Person, die gemeldet wird.“ Palme macht deutlich, dass der betroffenen Person im Grundsatz immer geglaubt wird. Dennoch: „Wir wissen noch gar nicht, was ist da und stimmt das eigentlich?“

Im Idealfall folge dann eine Plausibilitätsprüfung. Laut Palme ist es zwar extrem selten, dass Vorwürfe nicht stimmen. „Wenn ein Mensch aber unberechtigterweise verdächtigt wird und das publik wird, hat das immense Folgen.“ Folglich müsse unter anderem geklärt werden, ob es die gemeldete Person gibt, ob sie zum fraglichen Zeitpunkt im Dienst und nicht im Urlaub war. Das sei keineswegs Misstrauen, beuge aber missbräuchlichen Meldungen vor.

Besteht „Gefahr im Verzug“, ist also abzusehen, dass zeitnah weitere Taten begangen werden oder Menschen zu Schaden kommen, müsse sofort gehandelt werden. Im Idealfall seien das wenige Stunden.

Interventionsteams mit externen Beratern

Ab diesem Zeitpunkt nehmen die sogenannten Beratungsstäbe, als Interventionsmaßnahme in der Nordkirche, ihre Arbeit auf. „Sie sind vorab gebildet, mit Personen, die bereits vor einem konkreten Fall entsprechend fortgebildet wurden“, erläutert Mirja Beck, Co-Leitung der Stabsstelle Prävention. Im Idealfall seien sie mit einer leitenden Person und Fachkräften aus den Bereichen Recht, Psychologie, der Prävention sexualisierter Gewalt und der Kommunikation besetzt. „Wir empfehlen immer auch eine externe Person, die mit Kirche nichts zu tun hat, etwa vom Kinderschutzbund“, ergänzt Lars Palme.

Der Beratungsstab ist einberufen, die gemeldete Person beurlaubt, die Plausibilität ist bestätigt: „Dann wird aus den verschiedenen Fachexpertisen heraus überlegt, welche Maßnahmen getroffen werden müssen“, erläutert der Interventionsexperte, je nach Fall auch unter Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden. Diese reichten von einem „normverdeutlichenden Gespräch“ mit der gemeldeten Person über ein Disziplinarverfahren bis zur Strafanzeige. Dabei werde darauf geachtet, dass die betroffene Person gut informiert und nicht mehr in Gefahr ist.

Schutzkonzepte überprüfen 

Jetzt gehe es auch um den Informationsfluss in die betroffene Kirchengemeinde. „Deswegen ist es so wichtig, dass die Handelnden qualifiziert sind und traumasensibel mit der Situation umgehen“, betont Palme. Eine betroffene Kirchengemeinde müsse einen eigenen Prozess initiieren. „Da wird etwa gefragt: 'Was habt Ihr für Strukturen, die missbräuchliches Verhalten eventuell begünstigen könnten?' Langfristig wird das Schutzkonzept überprüft und es gibt eine Risikoanalyse.“

Gehe es in einem konkreten Fall um die Begleitung einer Jugendgruppe, werde eine Begleitperson eingebunden, die jugendsensibel informieren und auf Fragen eingehen kann. Ebenso müsse bei Seniorinnen und Senioren eine besondere Perspektive eingenommen werden. „Da gibt es vielleicht noch Kriegserfahrungen oder -traumata, die sie schon das ganze Leben begleiten, die verdrängt wurden und dann wieder hoch kommen.“

Je älter ein Mensch werde, desto häufiger kämen alte Verletzungen an die Oberfläche und ließen sich nicht mehr verdrängen. „Sie müssen irgendwann über Dinge sprechen, die sie schon vor 60 oder 70 Jahren erlebt haben“, sagt Palme.

In seiner Zeit als Meldebeauftragter im Kirchenkreis Altholstein habe er solche Momente erlebt. „Da haben sich Menschen bei mir gemeldet und wollten Dinge ansprechen, weil sie jetzt festgestellt haben, dass die Nordkirche sich ernsthaft damit beschäftigt.“ Vor 40 Jahren habe ihnen niemand zugehört und jetzt gehe es ihnen nicht um die Anerkennungskommission, „sondern sie wollen ein Gegenüber für das, was sie erlitten haben und jemanden, der sagt 'Das war nicht richtig'“, sagt Palme. „Ich finde das sehr mutig und kann nur dazu ermutigen, sich zu melden, wenn Sie etwas erlebt haben.“

"Es geht um Betroffenenschutz und Offenlegung"

Den Mut zu finden, sich als betroffene Person zu melden, sei nicht leicht, weiß der Experte. Anders als vor wenigen Jahrzehnten werde heute aber den Betroffenen geglaubt. „Es geht nicht um Institutionsschutz, sondern es geht um Betroffenenschutz und Offenlegung“, stellt Palme klar. Ziel sei es, Kirche wieder zu einem sicheren Ort zu machen

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