24. Mai 2015 | Hamburg, Hauptkirche St. Michaelis

Sinnmelodie des Glaubens

24. Mai 2015 von Kirsten Fehrs

Pfingstsonntag, Predigt über Johannes 14, 15-27

La pace di Dio sia con tutti noi. Amen

Cara Communita ecumenica,

Vi ringrazio molto per l´invito al vostro quasi secondo centenario di questa meravigliosa Chiesa luterana. E per me una grande gioia, oggi poter predicare qui – e ammetto subito di non konoschere nemmeno una parola italiano. Proprio niente.

Das ist nun erkennbar kein Plattdüütsch, liebe Pfingstgemeinde im Michel, sondern der Beginn der Predigt, die ich Himmelfahrt die Ehre hatte, in Rom in der deutschen lutherischen Gemeinde zu halten. Und zwar auf Italienisch. Dabei spreche ich diese Sprache wirklich nicht. Genau darum ging es eben in den Eingangssätzen: Dass ich mich sehr über die Einladung freue, in dieser wunderbaren lutherischen Kirche zu predigen, und dass ich es am besten gleich zugebe, bevor es jemand merkt: dass ich kein Wort Italienisch kann. Proprio niente. Gar keins.

"Ja, aber warum denn dann überhaupt Italienisch, ausgerechnet in der deutschen Gemeinde?", werden Sie fragen. Die Antwort: Aus Tradition. Jedes Jahr zu Himmelfahrt nämlich laden die Lutheraner zu einem ökumenischen Gottesdienst und Gartenfest ein, mit jeweils einem Gastprediger aus einer der Konfessionen. Und sie kommen alle: die Waldenser mit härenem Gewand und Turnschuhen darunter, der Syrisch-Orthodoxe mit einer sagenhaft freundlichen Ausstrahlung und zugleich geschockt und traurig, weil just ein Freund von ihm Opfer eines Attentates wurde; die Anglikanerin, very british, die gleich schwesterliche Grüße von einer Frauenkonferenz aus Brüssel mitbringt, der schweigsame Benediktiner mit dem amerikanischen Franziskaner im Schlepptau, schließlich zwei lebhafte Brüder der katholischen Gemeinschaft zu Sant' Egidio, die großartige Flüchtlings- und Sozialarbeit leisten – kurz und gut: die ganze bunte christliche Weltfamilie aus aller Herren Länder mit einer entscheidenden Gemeinsamkeit: Italienisch. Sie alle zusammen sprachen viele Sprachen, nur nicht die gleichen. Bis auf – …

Nun also: parlare italiano. Es war ein bereicherndes Risiko. Nicht nur, weil alle zuhörten und mein langsames Tempo offenkundig geduldig mitgingen. Sondern weil sie auch ein wenig mitbangten, ob ich bis zum Schluss durchhalte. Und auch vergnügt registrierten, dass Perfektion nicht alles ist.

Es war wie eine Art paralleles nonverbales Gespräch mit der Gemeinde. Und mir ist wieder einmal nachgegangen, wie die Sprache unseres Glaubens nicht nur die Wiedergabe von Vokabeln ist, seien sie nun deutsch oder italienisch. Es geht vielmehr um eine ganz eigene Sinnmelodie. Eine Melodie, die nicht nur das Ohr, sondern Seele und Herz erreichen kann. Eine Melodie, die Bilder weckt vom Himmel auf Erden, die Trost schenkt und mit einem solchen Gloria wie von Dvorak eben den Schutz der Engel spürbar werden lässt. Unsere Sprache des Glaubens trägt und bewegt und hofft bis ins Innerste, das ist ihr Ziel…

Und deshalb ist sie eine Sprache mit Gesten und Taten und Noten und Händen und Füßen – und sie entsteht im Miteinander. Entsteht aus einem Geist, der immer schon die Verschiedenheit der Menschen aufsucht. Einem Geist also, der den Unterschied entschiedenliebt und nicht befürchtet.

Es ist die Liebe, nicht die Furcht!

Rote, flammende, herzbewegende Liebe. Sie ist die Sprachmelodie des Pfingstfestes. Wir haben es eben in der Epistel gehört, wie die ersten Christen zu einer Kirche werden. Man könnte auch sagen: aus lauter ungestümer Liebe wird die Kirche geboren. Da stand am Anfang eben keine Eintragung ins Vereinsregister, keine feierliche Grundsteinlegung. Nein, da war Herzensnähe, und ein spontanes und brausendes Fest wurde gefeiert. Unterschiede in Kultur und Sprache spielten plötzlich keine Rolle mehr. All die Verschiedenen aus Phrygrien und Pamphylien – und wer weiß, auch aus Italien! – verstanden sich, ohne auch nur eine Vokabel des anderen zu kennen.

Und das war wirklich ein Wunder! Denn noch kurz zuvor waren die Freundinnen und Freunde Jesu so ratlos. Voller Furcht. Was sollte werden, jetzt wo Christus endgültig gen Himmel gefahren ist? Und in ihrer Verzagtheit erinnern sie sich. Auch an Jesu letzte Worte. "Meinen Frieden gebe ich euch…". Das ist die Sprache des Glaubens; wir haben sie eben in ihrer beeindruckenden Vielfalt gehört. Sie erreicht auch das Innere der Freundinnen und Freunde Jesu und sie fragen sich: Ja, brannte denn nicht unser Herz? Und dann passiert's: der Heilige Geist wärmt sie. Erfüllt sie. Mit Friedenssehnsucht. Tatendrang. Liebesworten. Das will gar kein Ende nehmen!

Da war was los in Jerusalem!

Denn auf einmal merkten sie: Jesus ist immer noch da. Anders zwar als zuvor. Aber die Liebe, die er uns gegeben hat, sie lebt doch unter uns weiter! Das Trösten von Traurigen – das können wir auch. Das Beten – er hat uns doch das Vaterunser beigebracht. Bedingungsloses Eintreten für Gerechtigkeit – hat er uns nicht gezeigt, wie das geht? Was Jesus tat, das können wir weiterführen – von dieser Entdeckung ließen sich die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes "be-geistern". Ausnahmslos jeder, jeder Mann und jede Frau und jedes Kind muss das damals mit Herz und Kopf erlebt haben, was Jesus gemeint hat, als er in seiner Abschiedsrede sagte: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

Wunderbar ausgedrückt, nicht wahr? Wo die Liebe wohnt, da wohnt Gott, heißt das. Wo Menschen sich Sorgen machen umeinander; wo Begehren ist und Liebessehnen, bis es schmerzt; wo die runzlige Hand immer noch zärtlich die andere runzlige Hand hält; wo zwei reden, um wieder zueinander zu finden; wo das Kind und Kindeskind auf Händen getragen und wo gekämpft wird für die Würde der Geschlagenen, wo Menschen im Schweigen miteinander tragen, was keine Worte mehr findet – wo also die Liebe so vielfältig wohnt, da wohnt auch Gott. Da ist er gegenwärtig. Mit seiner Sprache. Lebendiges Wort Gottes, das versteht.

Doch – verstehen wir uns immer darauf?

"Wer mich liebt, wird mein Wort halten." Wird zu mir halten, so höre ich Jesus. Allein – das ist ja wahrlich nicht immer so einfach, gerade wenn man Abschied voneinander nimmt wie Jesus von den Jüngern. Gilt nicht auch: "Aus den Augen, aus dem Sinn"?

Wie viele Liebespaare auch hier unter uns mögen das kennen: Eine Trennung steht bevor, durch Ausbildung oder Beruf, man verspricht: Es wird sich nichts ändern, unsere Liebe dauert ewig… Und dann geht die Zeit ins Land, der geliebte Mensch in der Ferne verblasst. Da bedarf es des Einsatzes aller verfügbaren Mittel, um die Beziehung zu halten: Mails, Telefongespräche oder gar der gute alte Liebesbrief… Um die Trennung zu überbrücken, Zweifel zu lindern, in Einsamkeit zu trösten. Viel Kraft braucht es, um die Liebe trotz aller Distanz aufrechtzuerhalten – aber woher kommt diese Kraft?

All denen, die ihn lieben und die nun zurückbleiben, macht Jesus ein Versprechen. Er kündigt an, ein Lebenszeichen zu senden: "Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe."

Jesus verspricht keinen Brief, aber ein Lebenszeichen der Liebe. Damit wir auf alle Zeiten Trost erfahren und so Kraft gewinnen, Veränderungen zu wagen. Pfingsten ist das Fest, an dem wir dieses Lebenszeichen feiern. Wir feiern den Heiligen Geist. Geboren aus der Liebe zu ausnahmslos jeder Kreatur. Wir feiern damit den Geist des Friedens und den Geist der Gemeinschaft. Tja, und wir gratulieren an Pfingsten auch uns selbst ein wenig, denn ohne diesen Geist der Verständigung und Einheit wäre ja eine Kirche gar nicht möglich.

Und ich halte inne.

Gemeinschaft in der Kirche?

Liebe, die ohne Furcht ist?

Sprache, die vereint?

Taten, die ihren Worten folgen...

Seien wir ehrlich – die Begeisterung der ersten Christen ist auch nicht überall mehr das, was sie mal war. Unsere Kirche ist nicht immer ein Ort, an dem Gottes Wort lebendig wird. Traditionen und Vorschriften und Gesetze – alles was eine Organisation eben braucht – drohen bisweilen den Geist zu ersticken, der Bewegung und Veränderung will.

Darunter leiden nicht nur die Jüngeren. Viele bedeutende Worte werden gemacht, sagen sie, von allen Konfessionen, mit bestem Vokabular in allen Sprachen, aber die christliche Weltenfamilie bewegt zu wenig. Und der Kirchentag jetzt in Stuttgart wird ihnen Recht geben. Es wird wieder einmal deutlich werden: Es gibt wahrlich genug zu tun in dieser tobenden Welt. Gerade jetzt, wo so viel Gewalt herrscht und Menschen einander dermaßen Grausames antun. Wo so viele Christen verfolgt werden, Zustände wie im alten Rom. Wo Abertausende von Menschen, darunter so viele Kinder, mein Gott, auf der Flucht sind. Es gibt so viel Grund, unserer christlichen Hoffnung Hand und Fuß zu geben! – Und dies nicht evangelisch hier und katholisch dort und orthodox im Osten. Sondern zutiefst ökumenisch für die ganze Welt. Mit gemeinsamer Hoffnung und im gemeinsamem Friedensgebet, das uns gemeinsam ins Handeln bringt!

Es wäre ein wahres Pfingstfest, wenn es gelänge, was Bischof Desmond Tutu einmal so herausfordernd visionär ausgerufen hat: "Riskiert, euch so zu verhalten, als wäret ihr vereint, und lasst die Theologen die notwendigen Aufräumarbeiten machen."

Wie wär's? Riskieren wir uns.

Riskieren wir Einheit inmitten der Spaltungen, die unsere Religionen und Gesellschaften zu zerreißen drohen. In unseren Gemeinden vor Ort funktioniert's doch schon!

Riskieren wir die Liebe inmitten des Hasses, den verirrte Fanatiker im Namen Gottes schüren.

Riskieren wir, liebe Geschwister, zu lieben und zu beten und zu hoffen und zu trösten. Immer wieder. Den Realitäten zum Trotz. Wir haben doch die Sprache dafür!

Rischiamo, dunque, la fede in un cielo che vuole farsi terreno. Per fario, abbiamo recevuto la forza dello Spirito Santo!

Riskieren wir, so ging's denn auch in der Predigt in Rom in die Schlusskurve, riskieren wir den Glauben an einen Himmel, der sich erden will. Durch uns. Dazu haben wir die Kraft des heiligen Geistes empfangen!

Beim Gartenfest dann schließlich in römischer sommerlicher Wonne plaudern wir, alle Konfessionen fröhlich mit Händen und Füßen. (Ich kann ja wirklich kein Italienisch…) Berührt und überrascht aber hat mich wirklich, als jemand sagte: Dass eine Bischöfin aus dem reichen und kühlen Deutschland hier, in einem der vielen Zimmer des Armenhauses Europas, in unserer Sprache zu uns gesprochen hat – das hat uns geehrt. La pace sia conte. Friede sei mit dir.

Es lohnt sich, Sprachen zu lernen, denke ich. Auch gern gleich beim nächsten Fest, draußen vorm Michel. Mögen wir dabei alle erfahren, dass der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne vereint und immer wieder bewahrt in Christus Jesus.

Amen

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