11. September 2016 | Dreifaltigkeitskirche zu Hamburg-Hamm

Stärke in der Gemeinschaft aller Dienste

11. September 2016 von Kirsten Fehrs

16. Sonntag nach Trinitatis, Einsegnung von Diakoninnen und Diakonen im Gottesdienst, Predigt zu 5. Mose 23,12 und 2. Tim 1,7

Liebe Schwestern und Brüder,

was für ein besonderer Tag! Ich freue mich sehr, dass ich daran teilhaben kann. An Ihrem Singen, Nachdenken, Ihren Hoffnungen. Und an Ihren persönlichen, so vielfältigen Lebenswegen, die Sie heute in diese Kirche führen – als Ältestenrat (Glück und Segen!), als Einzusegnende und Aufzunehmende, als stolze Familien und natürlich als Gemeinde Jesu Christi. Diese Dreifaltigkeitskirche ist ja tatsächlich ein großes Dach, auch fürs Rauhe Haus. Ist von jeher Heimat denen, die als Diakone und Diakoninnen den Segen für ihren Dienst empfangen. Zugleich aber weist sie mit den angedeuteten Zeltstangen (die Betonpfeiler sind bewusst so gebaut) darauf hin, dass wir ein wanderndes Gottesvolk sind und in die Welt hinausgeschickt werden.

Innerlich verwurzelt und zugleich gesandt in unbekanntes Land - mit all den vielen verschiedenen Emotionen, die das auslöst - das haben Sie, liebe Diakon/inn/e/n, uns eben aus ganz verschiedenen Perspektiven nahegebracht. Einfühlsam hineinversetzt in die, die sich sehnen nach Heimat in fremdem Land. Aus dieser Sicht ist es eine Anfrage an jede und jeden von uns: Was empfinden wir bei Heimat, Fremde, Glaube? Sind wir daheim, wenn wir an einem Ort wie diesen feiern, singen, segnen? Oder bleibt vieles fremd und fern? Waren Sie vielleicht schon von Kind an „churchy“? Im Glauben geborgen wie ein Sternlein, das sich von Gott gezählet weiß? Und wie war´s bei Ihnen, liebe Diakon/inn/e/n? Kamen Sie hierher über den Weg der Pfadfinder, politischen Friedensbewegung, Taizé? Oder waren es Wege in ferne Welten und Länder, die es brauchte, um Gott und sich selbst nah zu kommen? 

Es sind die unterschiedlichsten Wege, die Sie - und uns - hier und heute zusammengeführt haben. Und genau das macht die Gemeinschaft reich. Genau diese Unterschiedlichkeit der Zugänge zu Gott, Glauben, Kirche bildet einen freien Raum, der vieles für möglich hält. So wie Sie es eben im Altarraum dargestellt haben. Verbunden nämlich in all Ihrer Individualität sind Sie durch ein Band. In einem Geist. Verbunden im Dienst als Diakon und Diakonin. Und heute von Herzen willkommen geheißen in der Gemeinschaft der Geschwister. Als eine Heimat, die stabilisiert. Und stärkt. Damit man couragiert gehen kann in unbekanntes Land. Man braucht doch selbst Schutz, um sich schützend vor die zu stellen, die gefährdet sind oder ihrer Heimat beraubt.

In diesem Sinne ist Kirche ein Schutzraum, ist es immer gewesen, und das ist gerade in dieser Zeit, in der rechtspopulistische Reden und Gedanken immer lauter werden, nötiger denn je. Sie ist ein Raum, in dem Wirklichkeit wird, was im 5. Buch Mose als Gebot Gottes überliefert ist: „Du sollst den Geknechteten nicht seinem Herrn ausliefern, der von ihm zu dir geflüchtet ist. Er soll bei dir bleiben an dem Ort, den er erwählt, in einer deiner Städte, wo es ihm gefällt.“

Inmitten unserer Stadt, in St. Pauli, wo Kiez ist und schräge Typen, ist genau dies vor 3 Jahren passiert. 80 Afrikaner hatte die Gemeinde dort spontan aufgenommen, den ganzen Sommer über. Ein echter „African summer“! Doch im Blick auf den Winter wuchsen in der Kirche die Probleme. Draußen die Razzien, drinnen große Ratlosigkeit. Wie sollte es weitergehen? Ich erinnere besonders einen Abend, als es darum ging, den Geflüchteten zu erklären, was wir mit dem Senat besprochen hatten, um ihre Situation zu verbessern. Einer von ihnen sprach Deutsch. Manche konnten Englisch oder Französisch. Etliche, die aus Mali kamen, verstanden nur Bambara. Und nun erklären Sie da mal unser Asylrecht, das man noch nicht einmal auf Deutsch versteht! – Es war eine unerhört dichte Atmosphäre, als wir im Kreis saßen mit all den jungen Männern, die existentiell betroffen waren von jedem Wort, das ich sagte – und das wiederum übersetzt wurde, ins Englische, Französische, Bambara und zurück... So radebrechten wir uns durch die Nacht. Am Ende, nach Stunden der Spannung, standen wir auf, und ich betete. Keine Übersetzung nötig, alle verstanden auch so, was gesagt wurde. Und als ich schließlich die Hände hob, um den Segen zu sprechen, geschah etwas zutiefst Anrührendes: Alle Flüchtlinge im Kreis taten es mir nach. In spontaner Zutraulichkeit. Vielleicht nicht wissend, was es bedeutete. Aber still und ernsthaft.

Sie segneten uns. Die Pastoren Martin und Sieghard, die Übersetzerin Elke, all die vielen Unterstützer/innen, Hotte auch, den Aufsehen erregenden Türsteher vom Kiez, der sich verstohlen die Tränen aus den Augen rieb, und mich, der es genauso ging.

Wir allen waren sehr berührt. Und mir ist wieder einmal klar geworden, wie wichtig unsere Kirchen sind. Als Häuser der Zuflucht. Als Räume des Dialogs. Und als Orte des Segens. In ihnen kann eine Sprache wachsen, die über den einzelnen Sprachen steht. Eine Sprache, die von einem bestimmten Geist zeugt. Dem Geist, etwas neu verstehen zu wollen, über weltweite Grenzen hinweg.

Und das hat, liebe Gemeinde, große Kraft. In der St. Pauli-Kirche jedenfalls entstand  trotz aller Probleme ein Geist der Unverzagtheit. Der Geist, es aufzunehmen mit allen Widrigkeiten. Die Verstörten zu trösten. Und vor allem: friedlich zu bleiben. Schliefen hier ja Christen und Muslime auf engstem Raum nebeneinander, friedlich auch während des Ramadan.

Wir können ihn erleben, den Geist, der Ängste löst! Denn Angst – sie kommt ja etymologisch von „Enge“ – hat zum Gegenteil ja nicht zuvorderst Mut, sondern Freiheit. Und die ist so protestantisch wie erlösend. Und nötig! Gerade in diesen Zeiten, wo so viel Angst zu herrschen scheint – und dies noch einmal anders als vor 15 Jahren, als an „nine-eleven“ die Welt von Grund auf erschüttert wurde. Es ist eine schleichende, sich steigernde, erstaunlich irrationale Angst: Angst vor Terror und Übergriff, aber auch Überfremdung, davor, zu kurz zu kommen, Angst vorm Islam und vorm Verlust des christlichen Abendlandes etc. Als wäre unser freies, friedliches, konjunkturstarkes Land in einem Notstand!

Unser Glaube lebt das Gegenteil. Einfühlsame Worte stehen dazu in der Bibel. Beispielsweise im Predigttext, der am heutigen Sonntag vorgegeben ist. Ich lese nur den ersten Satz: Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,  sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Timotheus 1,7).  

Ich bin von Herzen dankbar, wie viele in unserer Kirche diesen Geist bezeugen. Im besten Sinne für Christus „Zeugnis ablegen“, weil sie klar sind und herzlich und besonnen und verliebt ins Leben. Wie ein Gegensignal zur Angst – und zu all den Demagogen, die sie schüren -  sagen viele zu den Zuflucht Suchenden: Bleibt in unserer Mitte. Unser Land braucht Veränderung. Und unsere Kirche braucht sie auch.

Wie das gehen kann – auch dazu aus dem wahren Leben. Jüngst luden mich dreizehn Iranerinnen und Afghanen zu ihrer Taufe ein nach Steilshoop ein, wohlgemerkt nach einem monatelangen Glaubenskurs. Ihre Fragen haben alle ziemlich ins Schwitzen gebracht: Was denn Trinitatis sei? Und wie es sein kann, dass der eine Gott zu dritt ist? Warum betet nur einer vorn, wenn doch alle etwas auf dem Herzen haben? Und ich dachte: lange schon haben wir uns in unseren Gemeinden solche Fragen nicht mehr gestellt.

Dann endlich die sehnsüchtig erwartete Taufe. Alle sind aufgeregt. In den besten Kleidern. Mit  High-Heels, die für mich so oder so schon eine absolute Fremdheitserfahrung sind. Dann: Lesung auf Farsi, das Evangelium in plattdeutsch. Verleih uns Frieden und persische Musik. Interkulturelle Öffnung auf norddeutsch.

Was sie empfunden hätten bei der Taufe, habe ich sie anschließend gefragt. Freiheit, sagte der eine, das war das erste Gefühl! Religion hat nichts mehr mit Zwang und Strafe zu tun wie in der Heimat. Seine Frau ergänzt: Die Taufe war auch Schmerz. Sie haben sich endgültig getrennt -  von den Eltern. Muslimischen Freunden. Die Gemeinde sei nun ihre neue Heimat. - Eine dritte rührte uns alle an: In dem Moment der Taufe sei ihr die Würde wieder zurückgegeben worden -. Schließlich der Vierte: „Als Pastor Andreas mir mit dem Wasser das Kreuz auf die Stirn zeichnete, hatte ich plötzlich keine Angst mehr.“

Nie mehr der Geist der Furcht. Oder mit Mose gesprochen: Er soll bei dir bleiben an dem Ort, den er erwählt, dort, wo es ihm gefällt.“  Und das tun sie. Sie suchen ihren Platz in ihrer neuen Religion und in ihrer Kirche. Mag sein, sie finden diesen Platz neben Marlies, der alten Hamburgerin mit Rollator, die beim Gemeindefest zu und zu gern die jungen Iraner ein Tänzchen wagt…

In der Kirche ihren Platz finden – das ist nun ja auch für Sie dran, liebe Einzusegnende und Aufzunehmende. Dazu ist mir heute besonders wichtig, eindeutig und klar zu sagen Willkommen! Willkommen in unserer Kirche. Wir brauchen Sie. Ihre Kraft. Ihre Liebe und Ihre Besonnenheit. Ihre Gaben und Kreativität, Glauben und Handeln in eins zu bringen. Das ist die besondere Stärke im Dienst als Diakone in der Gemeinschaft aller Dienste: Tätige Nächstenliebe. Immer Anknüpfung zu suchen durch Begegnung. Und dies mit Mut und Elan!  Bei der Einsegnung weist ja der Segen ja auch nach vorn! Man wird entsendet, nicht hingesetzt.

Diese Dynamik ist Ihnen allen abzuspüren. Die Freude auch, als Gesegnete nun zum Segen werden zu wollen. Und sie können soviel bewirken! Sie können mittun daran, dass Menschen sich im Glauben zu Hause fühlen. Dass die alten Verheißungen auch für Kinder und Jugendliche ein Dach werden, gleich woher sie kommen. Dass Arme und Benachteiligte ihre Last nicht mehr allein tragen müssen. Dass alte und kranke Menschen wieder mit dem Leben rechnen. Sie können Gedanken in Bewegung und Verhältnisse zum Tanzen bringen. Gebe Gott, dass Ihnen - und uns! - diese Dynamik erhalten bleibt. Es gibt so viel zu tun, und Sie, liebe Diakon/inn/e/n, werden mit Freuden erwartet.

So segne Gott Sie auf Ihrem Weg, wohin immer er sie führt.

Und Gott segne uns und sporne uns an mit der Sehnsucht, dass der Friede unter uns wohne. Er, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser aller Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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