28. Februar 2016 | Hauptkirche St. Trinitatis Altona

Steh auf und iss!

28. Februar 2016 von Kirsten Fehrs

Okuli, Ordination, Predigt zu 1. Könige 19, 1-8

Gnade und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt.

Liebe Festgemeinde!

Steh auf und iss! Als wir uns vor einem Monat gemeinsam mit allen, nämlich 14 Ordinandinnen und Ordinanden, auf den heutigen Tag vorbereitet haben, da war das der Satz. Er hat in der Bibelarbeit zur Eliageschichte die meisten angesprochen. Vielleicht ging es Ihnen heute ja ebenso, liebe Gemeinde. Steh auf und iss! Das ist eines von diesen Bibelworten, die direkt in die Seele gehen. Die die Tiefenschicht unseres Seins erreichen. Aufstehen und essen, das vollzieht jeder Mensch tausende Male in seinem Leben, eingeübt noch in den Zeiten, die vor unserem heutigen Bewusstsein liegen. Ich erinnere etwa den mütterlichen Weckruf, für mich als Fahrschülerin morgens um 6 Uhr, genauso vertraut wie unbequem:  Aufstehen, du musst noch frühstücken. Der Tag ist neu, der Weg ist weit. Du brauchst Kraft.

Und die vom Morgen - bis zum Lebensabend: Steh auf und iss. Enorm beeindruckt war ich von einem Sternekoch, der seit einigen Jahren hier nebenan im Hospiz Leuchtfeuer arbeitet. Jeden Tag fragt er seine schwer kranken Patienten, was sie jeweils essen möchten. Damit sie diesen Tag wirklich leben mögen. Steckrüben nach Muttern Art sollen‘s dann nach längerem Zögern sein, oder Weinpudding und Pommes rot-weiß. Rupert lockt sie. Sagt: das Leben ist zu kurz für Knäckebrot. Und wenn er dann den Geschmack getroffen hat, dann ist das ein so ein hinreißender Moment. Mit Glück und Slivovitz. Denn die Menschen stehen tatsächlich auf und essen. Und hören damit: du hast noch einen Weg vor dir.

Steh auf und iss, das sind richtiggehend Urworte. Allein dadurch, dass sie ausgesprochen werden, von Müttern, Köchen, Pastorinnen und, mag sein, anderen Engeln, vermitteln sie eine unendliche Geborgenheit. Tatsächlich die Kraft zu gehen, wohin auch immer, und nicht in Angst und Not zu verharren.

Bei Elia nun hat der Engel heftig arbeiten müssen. Er hat ihn angetippt, gestupst, aufgeweckt, aufgeregt, gar frisches Wasser und geröstetes(!) Brot serviert. Doch Fehlanzeige, Elia legt sich doch glatt wieder schlafen. Dann das gleiche noch einmal, Engel können penetrant zugewandt sein. Und sagen damit: Seel-Sorge braucht Geduld. Und Zuversicht. Manchmal für zwei. Und tatsächlich: Elia steht endlich auf, isst und trinkt und geht seinen Weg, der – so weiß es die Bibel – noch weit ist und wunderschön.

Das gute Ende dieser Geschichte zu wissen ist mir an diesem feierlichen Tag so wichtig, weil der Anfang des Ganzen ja durchaus bedrückend ist. Denn dieser Elia, der vor seinen Verfolgern in die Wüste flieht, ist so unglaublich unerfüllt und fühlt sich so fern von Gott. Da ist kein Aufbruch wie heute, kein Beginnen und Klingen, kein Wunsch und Wille. Elia will überhaupt nichts mehr. Nicht mehr predigen, nicht mehr dienen, nicht mehr leben. Es ist genug. Er mag diese Verantwortung nicht mehr tragen. Dabei hatte er just alles erreicht: Macht, Einfluss, Erfolg. Gottes Recht – dafür hat er gekämpft. Und gesiegt! Sogar Hunderte getötet. In Gottes Namen! In Gottes Namen? Die Zweifel sind zur Verzweiflung geworden. Er will nur noch schlafen. Die Augen schließen. Auch vor sich selbst.

Dieser Elias in der Wüste, liebe Gemeinde, ist in seiner Zerrissenheit eine der bewegendsten Figuren in der Bibel. Todesmutig und lebensmüde. Begnadeter Prophet und zugleich wie ein Taliban beseelt von religiöser Intoleranz. Liebhaber des Lebens und zugleich gewaltbereiter Eiferer.

Elia ist ein Mensch, den die Bibel uns aufgibt auszuhalten – so kompliziert und voller Brüche er ist. Eben nicht eindimensional, sondern in seiner Widersprüchlichkeit ungeahnt menschlich und herausfordernd. Ein Mensch, der auch das Ungerade und das Scheitern zeigt und seine Wut darüber, dass er, der Prophet und Prediger!, Gott nicht versteht. Nein, Elia hat genug. Auch von Gott. Er ist erst einmal fertig mit Gott.

Viele Menschen heutzutage, Erfolgsmenschen allzumal, sind fertig mit Gott.

Aber Gott nicht mit ihnen.

Denn diese Geschichte fängt hier erst richtig an. Gottes Geschichte fängt oft erst richtig an, wenn man denkt, am Ende angekommen zu sein. Wenn es irgendwie nicht weitergeht. Weil man zu erschöpft ist oder zu versunken oder zu überzeugt oder zu großartig. Gott schafft ein inneres Bild vom Dennoch des Lebens, gerade wenn es so leer ist einem. Er breitet die Flügel aus und gibt´s den Seinen. Im Schlafe.

Und siehe, ein Engel rührt dich an und spricht zu dir: Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!

Als wir gemeinsam auf dem Weg waren, liebe Ordinandinnen und lieber Ordinand, wenn auch nur zwei statt vierzig Tage, da war es für mich schon sehr faszinierend zu erleben, wie sehr diese Eliageschichte auch in ihre Lebensgeschichten hineinspricht. Damit meine ich wohlgemerkt nicht, dass wir Sie nun etwa in die Wüste schicken, sondern vielmehr: dass es bei Ihnen ganz individuelle Wüstenzeiten gab, in der die Geschichte Gottes ihren Anfang nahm. Durchaus unter Mithilfe manchen Engels, der einem gibt, was man braucht. Allemal in der Wüste. Ist sie doch einerseits ein öder und kräftezehrender Ort, der uns schonungslos mit uns selbst konfrontiert, und zugleich ein Ort unerhörter Freiheit, voller fremder und wilder Schönheit. Und in diesem beiden ist die Wüste in unserer Tradition vor allem eines: Ein Ort der Entscheidung. Mit der Frage: wohin soll´s gehen mit mir?

Sie, liebe Ordinandinnen, lieber Ordinand, haben sich entschieden. Früh oder später. Sie haben sich entschieden, Gott zu dienen und Jesus Christus nachzufolgen. Nichts weniger. Ich sage das ganz bewusst so klar, denn manchmal droht dies auch verloren zu gehen in all den Nebensächlichkeiten, mit denen wir uns befassen und befassen müssen: Mit Papierkram und mit Gremien und mit Rechtsverordnungen und mit Gebäudeprozessen und mit Mitarbeiterverträgen. Nicht unwichtig, das alles, aber nur ein Mittel zum Zweck. Die Hand an den Pflug legen und nach vorne blicken, so wie es das Evangelium beschreibt, ist nicht immer einfach. Denn manchmal beherrscht die Furcht das Herz, die Angst vor dem, was einen da vorn erwartet. Und dann scheut man das Risiko und bleibt, wo man ist. Dabei ist‘s doch, will man leben, genau andersherum. Sören Kierkegaard hat es so treffend beschrieben: „Nichts riskieren, das heißt, seine Seele aufs Spiel setzen.“

Also: Riskiert euch! Die Welt braucht doch mehr denn je Veränderung! Den friedlichen Aufstand gegen die Herrscher, die durchmarschieren statt zu verhandeln. Den Aufstand der Humanität gegen die Grenzzäune ohne Gnade. Wer von uns ist nicht erschrocken über die Bilder der verzweifelten Geflüchteten, denen der Stacheldraht Arme und Beine zerreißt?! -  Es braucht die laute Gegenstimme gegen die Hassredner, die zu Brandstiftung aufrufen und Ängste schüren. Es braucht die gebende Hand des Nächsten statt der gierigen Hand des Marktes, die nimmt, was sie kriegen kann. Gott sollen wir hören in dieser Wüste – und deshalb ihm eine Stimme geben. Worte leihen. Gebete denken. Von Hoffnung singen. Den Frieden glauben.

Sie haben sich entschieden. Auch dafür. Weil es für jede und jeden von Ihnen einen Moment gab, sich riskieren zu wollen. Aufzustehen und zu gehen. Diesen, Ihren Weg.

So etwa sie, die von Kind an Behütete – sie sagt schon früh in ihrem Leben; ich bin berufen zu halten. Die religiös Musikalischen und nicht so musikalischen. Sie mag das alles. Sie mag Alte und kennt es jung zu sein. Und ist berufen, die zu segnen, die ein Dach über ihre Gedanken brauchen.

Oder er, der sich‘s oft hart erarbeiten musste – er ist berufen zu würdigen. Berufen, die zu achten, die mit Ängsten kämpfen oder inneren Konflikten, die zu ermutigen, die nicht wissen wohin. Denn er weiß, es gibt immer einen Schlüssel, der eine neue Tür öffnet – mit Sanftmut, Klarheit und feinem Ton.

Oder sie, die ihr Ziel im Laufen findet – sie ist berufen, den Suchenden einen Ort zu geben. Ruhe, die die Angst vertreibt, Lachen, das die Schwere nimmt, Friedenssehnen, wenn die Not laut tobt. Sie ist berufen, den Kleinen ihren Ernst und den Erwachsenen ihr Kindsein zu gönnen – so kommt er an, der Mensch, bei Gott.

Oder sie, die vielseitig Begabte – sie ist berufen, Verbindung zu schaffen: Zwischen Einheimischen und Fremden, zwischen Dorf und Jugend, zwischen Musik und Sprache, Frage und Spiel. Sie versteht es anzuknüpfen, genau dort, wo der andere ist, und schenkt Gastfreundschaft  - nicht unbedingt in den „nur“ 8 Zimmern ihres Hauses, sondern Gastfreundschaft in all ihren Gedanken.

Oder sie, die von unzähligen Umwegen und weiten Gedanken Geprägte, sie ist berufen das Kreuz manchmal quer zu denken. Gegen jede Gesetzlichkeit. Aber dafür für den Frieden der Religionen. Und für die Liebe zur Differenz, zur Genauigkeit. Um denen einen Weg zu eröffnen, die immer suchten, doch nie fanden.

Sie alle haben es erlebt, dass Ihnen an entscheidenden Wegmarken genau dies passiert ist, was Elia widerfährt – dieses klare Wort, Urwort des Lebens: Steh auf und iss. Du hast einen Weg vor dir. Und du hast die Kraft dazu.

Ja, Sie haben die Kraft für dieses Amt. Sie bringen so viel mit, um Ihrerseits zu verstehen. Mitzugehen. Auszuhalten. Das Brot zu brechen. Riskieren Sie´s also getrost. Gott braucht nämlich Engel aller Couleur. Sie geben dem Heiligen eine erfahrbare Nähe, fügen dem oft so abstrakten Gotteswort die Geste hinzu. Die Berührung. Das Elementare des Lebens. Sie geben warme Suppe und tröstendes Wort, schleppen Steine von den Seelen und tragen über Schwellen. Zweimal, dreimal, bis der Weg sich geklärt hat. Sie merken: Mein Gottesbild enthält  einen großen Engelsalon. Damit es immer wieder gesagt wird: Dein Weg ist noch weit. Es liegt so viel Freiheit darin! Und also: Es gibt so vieles, was auf Sie wartet. Neuland, das beschritten werden will. Menschen, die Sie brauchen. Und eben dies: ein wunderschönes Amt. Gehen Sie. Der Weg ist gut. Mit Gott an der Seite, der uns allen die Zuversicht ins Herz liebt, dass er stets einen neuen Anfang schenkt.

So wie auch seinen Frieden, höher als alle Vernunft, er bewahrt unsere Herzen und Sinne ja längst in Christus Jesus.
Amen.

Zum Anfang der Seite