Ansprache zu Matthäus 11,28-30

Trauerfeier für Carlo von Tiedemann in der Hauptkirche St. Michaelis Hamburg

10. Juli 2025 von Kirsten Fehrs

Liebe Julia, liebe Kinder und Enkelkinder, liebe Familie,

liebe Weggefährtinnen und Freunde von Carlo von Tiedemann, liebe Trauergemeinde,

sensationell! Der Klassiker. Sofort ist Carlo nahe bei uns. Mit dieser seiner sonoren Stimme, diesem markanten Ausrufungszeichen inmitten seiner sprudelnden Wortkaskaden. Sensationell, wie unvergleichlich leicht, treffsicher, herzlich und mitfühlend es dieser Mensch geschafft hat, Herzen zu erobern. Ja, Hoffnung auszustrahlen. Ein Hoffnungsmensch, unser Carlo. Wird schon wieder, nicht aufgeben – ich weiß, wovon ich rede. Das hat die Menschen erreicht: Carlos Art, reell, wahrhaftig zu sein. Mit einem begnadeten Humor. Und zugleich seiner entwaffnenden Ehrlichkeit, nichts schönzureden. Auch übrigens bei sich selbst nicht.

Sensationell! Es gibt diese schöne Geschichte, dass in einem der vielen Krankenhausaufenthalte, die er vor allem in den vergangenen zwei Jahren hat über sich ergehen lassen müssen, die Mitpatienten spitzgekriegt hatten, dass Carlo nebenan liegt. Carlo – nicht Herr von Tiedemann. Und dann sind sie wohl alle hin zu ihm, einer nach dem anderen, und haben sich ihr „sensationell!“ abgeholt. Jeder seins. Inmitten von Schmerzen und Nöten dieser Moment von Leichtigkeit. Eben: genau diese Hoffnung, die nicht zuletzt stirbt, sondern bei Carlo zuallererst lebt. Und Carlo? Der war in seinem Element, voll auf Sendung sozusagen. Schönes Arbeiten, Alter – und auch ihm ging‘s besser!

Carlo konnte das – anderen Mut machen. Trotzdem lachen. Gerade wenn mal gar nichts gut läuft. Er wusste wie‘s geht, das Leben zu lieben. Es auszukosten. Als grundgütiger Familienmensch durch und durch. Und als Journalist. Moderator. NDR-Urgestein. Stadionsprecher. Klartexter. Gefühlsmensch. Er hatte diese unkomplizierte Zugewandtheit, bei der jeder das Gefühl hatte, er sei ganz persönlich gemeint. Eine Nahbarkeit, als säße er nicht im Studio oder in der Schaubude, sondern mitten im eigenen Wohnzimmer. Beeindruckend, wie er dann auch im richtigen Leben komplett ohne Berührungsängste auf die Menschen zugegangen ist und ausnahmslos jedem Respekt und Achtung zollte. Ich habe oft gestaunt, wie er es schaffte, anderen ihre Ängste zu nehmen, Ängste vorm Reden, vor Nähe, ach, vor dem Leben – und vor dem Sterben auch.

Dass er von Geburt an ein adeliger „von“ Tiedemann war, hat er jedenfalls erfolgreich verbergen können. Dass dies gewiss auch den Preis hatte, kaum noch irgendwo privat sein zu können, lässt sich ahnen. Nicht immer einfach für die, die ihn liebten und mit ihm lebten. Zugleich bewahrte er in seiner ganzen unprätentiösen Art dennoch sein Gentleman-Augenmaß und trat niemandem zu nahe. Gewiss ist sein Elternhaus, in das er als Carl Ferdinand Hanns-Joachim Franz Friedrich von Tiedemann 1943 in Stargard hineingeboren wurde, dafür sehr prägend gewesen.

Insbesondere seinen Vater, einen Generalleutnant preußischen Adels, hat Carlo sehr geliebt und verehrt. Von ihm habe er Anstand, Aufrichtigkeit und Würde gelernt, sagte er einmal. Würde halten – das war wichtig für ihn, der schon früh mit Kinderlähmung und gesundheitlichen Einschränkungen zurechtkommen musste. Carlo hat viel gekämpft im Leben. Mit Krankheit. Mit Nöten. Und mit seinen Schwächen. Zu denen, so erzähltet ihr es liebevoll, liebe Julia und liebe Victoria, hat er aber immer aufrichtig gestanden. Er war nicht immer stolz auf sich. Aber dafür umso mehr auf euch. Als Ehemann, als Vater vierer Kinder, Victoria, Nikolas, Lisa und Theresa, und als Großvater von Frieda und Teddy Carlo Harald. Er hat euch so geliebt. Stand bewundernd davor, wie ihr mit euren je eigenen Talenten euren Weg geht. Und wie tröstlich, liebe Julia, dass du ihn bis zum Ende begleiten konntest – diesen euren Weg einer großen, langen, tiefen Liebe.

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“, dieses Wort Jesu habt ihr über Carlos Traueranzeige gesetzt. Ein schönes Bibelwort für ihn. Es hat etwas Hingebungsvolles. Alle sollen kommen, die etwas brauchen und denen es dreckig geht – das ist die Kurzfassung. Und ja, klar geht es hier um Jesus und seine grenzenlose Menschenfreundlichkeit gegenüber ausnahmslos jedem. Gleich woher er kommt und wohin sie geht. Um einen Gott, der sich in der Liebe zeigt.

An diesen Gott hat Carlo geglaubt. Und hat ihn verinnerlicht. Er war zeit seines Lebens von einem tiefen Glauben „an den lieben Gott da oben“, wie er immer sagte, getragen. Hat mit ihm – respektive seinem Bodenpersonal – geredet, gebetet, gerungen, am Schluss auch geklagt: Mann, Alter, was lässt du mich hier zappeln?

Ich habe diese stille, nachdenkliche Seite sehr an Carlo gemocht. Die Direktheit seines unkaputtbaren Gottvertrauens. Dass er ein tiefgläubiger Mensch war, erschloss sich bei seinem lebhaften Entertainment nicht sofort, klar, aber wer genauer hinschaute, konnte sehen, wie anrührend sich Carlo den Mühseligen und Beladenen unserer Tage zugewandt hat. Hemmungslos sozial. Warmherzig. Den Obdachlosen, den sterbenskranken Kindern in der Sternenbrücke, den Pandemiegebeutelten. Allen. Carlo hat immer sofort zugesagt, wenn er helfen konnte. „Du“, sagte er oft, „die zeigen mir immer, wie schnell es einen erwischen kann.“ Einmal habe ich nach einer unserer vielen karitativen Aktionen zu ihm gesagt: „Mensch Carlo, du bist wirklich ein ganz großer, wunderbarer, schnurrbärtiger Engel.“ Und dann hat er gelacht: „Mensch Bischöfin, zu viel der Ehre. Du weißt doch, das macht alles der da oben.“

Und bei dem da oben, da ist er jetzt. In Gottes Hand. Und wer weiß, sagt Victoria, vielleicht hört er uns zu. Denkt: Sensationell, wie viele in den Michel gekommen sind und an mich denken. Und ja, wir – wir sind hier, tieftraurig, dass er nicht mehr da ist. Dass er nicht mehr um eine der vielen NDR-Ecken gefegt kommt. Und sind doch zugleich von Herzen dankbar, mit ihm so viel erlebt zu haben. Getröstet durch all die vielen wunderbaren Erinnerungen – wie Sterne auf der Himmelsbrücke.

Am Pfingstsonntag ist Carlo von Tiedemann dann von dieser in jene Welt gegangen – dem Land ohne Schmerzen und Tränen entgegen. Friedvoll. Und offenkundig ohne Angst. „Du siehst mich im frohen Aufbruch“, so hat er dich, liebe Julia, und die Familie am Donnerstag zuvor begrüßt und viele haben in den letzten Tagen noch von ihm Abschied nehmen können. Gut – gut drauf war er. Ein letztes Aufleben seines Hoffnungstrotzes, dem inzwischen auch die Sehnsucht innewohnte, erlöst zu werden von Schmerz, Atemnot und schweren Beinen.

Als er seinen letzten Segen bekam, lag seine Enkelin Frieda mit ihrem Kopf auf seinem Bauch. Er streichelte ihr übers Haar – und beruhigte sie. Du siehst mich in frohem Aufbruch – aber meine Liebe, sie bleibt. Was für ein Trost! Oder um es mit einem anderen genialen Wortkaskaden-Künstler zu sagen, Hanns-Dieter Hüsch:

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Was macht, dass ich so fröhlich bin
in meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin,
vom Kindbett bis zur Leich.
Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn,
will mich durchs Leben tragen.
Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt.

Carlo von Tiedemann hat seinen Frieden gefunden. Wir vertrauen ihn nun Gottes Segen an. Und können getröstet ins Leben gehen. Denn wir wissen: Das war ein Mensch! Ein Herzensmensch. Randvoll mit Liebe. Sensationell! Amen

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