Über Grenzen hinweg verbunden: Unsere Kirche in Dänemark
31. Juli 2018
Auch im Süden Dänemarks gibt es noch Pfarrbezirke, die an die Nordkirche angeschlossen sind: Sie bilden die Nordschleswigsche Gemeinde - die Kirche für die deutsche Minderheit im Grenzland. Ist das einfach nur dänische Kirche auf deutsch oder deutsche Kirche auf dänischem Boden? Eine Reise zu den Nachbarn im "noch echteren Norden".
Kaum passiert der Besucher die Grenze bei Ellund in Richtung Norden, ist auf dänischem Boden längst noch nicht alles dänisch. Im Vorbeifahren gibt es zu sehen: Zweisprachige Straßenschilder, deutsche Schulen, deutsche Kindergärten und auch – etwas versteckter - deutschsprachiges Kirchleben. Denn in Nordschleswig, das einst zum ehemaligen Herzogtum Schleswig gehörte, wohnen schätzungsweise rund 15.000 Menschen, die zur deutschen Minderheit gehören. Und die wünschen sich seit jeher auch Gottesdienste und Andachten in ihrer Tradition und Sprache.
Die Tradition ist wichtig
In Lügumkloster (Løgumkloster) gibt es die an diesem Tag, wo die Menschen aus der Nordschleswigschen Gemeinde zum Kirchentag zusammenkommen. Dort wird jeder geduzt – nicht nur, weil es so in Dänemark üblich ist. „Man kennt sich hier gut“, sagt Broder Ratenburg. Diese Tradition der deutschen Gottesdienste und Zusammenkünfte sind dem Gemeinderatsmitglied wichtig. „Wir haben das aufgebaut und pflegen es, es hat einen besonderen Wert.“
Dänen oder Deutsche? Nordschleswiger!
Seine Familie mit deutschen Wurzeln ist schon in der sechsten Generation mit der Region verhaftet. Sein Großvater zum Beispiel ist auf dem Friedhof in Lügumkloster begraben, wo es ebenso Grabsteine mit deutscher und dänischer Inschrift gibt. „Wenn man meine Eltern oder Großeltern gefragt hat, ob sie sich eher als Dänen oder als Deutsche fühlen, sagten die immer ‚Wir sind einfach Nordschleswiger‘“, erzählt er. „Man konzentriert sich sehr auf das Lokale.“ Und das definiert sich auch immer stark über die Sprache. Ratenburgs Eltern sprachen mit ihm Deutsch – und er tat das ebenso mit seiner Tochter, auch wenn um sie herum auch noch Sønderjysk, das allmählich bedrohte „Plattdänisch“, gesprochen wird.„Aber Deutsch zu sprechen, das schweißte die Generation damals zusammen.“
Arbeit im Grenzland ist Versöhnungsarbeit
Denn sich zu behaupten ist für die Minderheiten – sowohl auf dänischer als auch auf deutscher Seite – nicht immer einfach gewesen. Im Gegenteil. Es gab Zeiten, in denen von oben bestimmt wurde, dass sie möglichst schnell wie die Dänen sein sollten. „Die Arbeit der Kirchen im Grenzland ist heute noch Versöhnungsarbeit“, sagt Pastor Mathias Alpen. Dabei ist der Erste Weltkrieg bereits 100 Jahre her, der das Leben der Menschen vielerorts nachhaltig veränderte. Auch das der Nordschleswiger.
Kirchliche Versorgung in deutscher Sprache
Denn im Anschluss an den Versailler Vertrag fand 1920 eine Volksabstimmung statt: Die Bevölkerung von Nordschleswig stimmte mit einer Dreiviertelmehrheit dafür, dass sie künftig zu Dänemark gehören sollte. Die Grenze wurde gezogen, die bis heute Bestand hat. Für die deutsche Minderheit in der Region sorgte Dänemark zunächst für eine kirchliche Versorgung – doch die konzentrierte sich auf die Städte im Grenzgebiet; ländlichere Gegenden hingegen wurden kaum berücksichtigt. Da aber auch dort die deutsche Minderheit nach Gottesdiensten und Seelsorge in ihrer Sprache verlangte, wurde 1923 die Nordschleswigsche Gemeinde gegründet. Sie überlebte, schwer durchgeschüttelt, den Zweiten Weltkrieg, und umfasst heute die Pfarrbezirke Buhrkall, Gravenstein, Hoyer/Lügumkloster, Süder Wilstrup und Tingleff.
Die Wege sind weit in Nordschleswig
Das bedeutet erst einmal für die fünf Pastoren auf dem Lande: Die Wege sind zuweilen weit. Denn die Gemeinde hat flächenmäßig etwa die Größe des Kirchenkreises Nordfriesland. Rund 30 Kilometer Ausdehnung hat allein der Bereich, den Mathias Alpen im Pfarrbezirk Hoyer/Lügumkloster an vielen Tagen im Jahr - meist Hörbuch hörend – abfährt, um die verstreut wohnenden Mitglieder zu erreichen. „Das ist wahrscheinlich mit den Verhältnissen in Mecklenburg-Vorpommern zu vergleichen“, sagt er.
Freikirche nach dänischem Recht
Doch das ist nicht die einzige Besonderheit. Die Nordschleswigsche Gemeinde ist eigentlich ein Verein. „Wir können unsere Gemeindestrukturen mit denen südlich der Grenze vergleichen; wir sind eine Gemeinde der Nordkirche – aber gleichzeitig eine Freikirche nach dänischem Recht“, sagt Gerd Lorenzen, der das Kirchenbüro in Tingleff leitet. Dass Gemeindeverbände einen Geschäftsführer anstellen, ist eine sehr moderne Form, wie Mathias Alpen betont. „Was eine Überlegung für den Pfarrstellenplan 2030 ist, haben wir hier schon.“
Alle Aufgaben einen Hut zu bekommen, ist manchmal schwer
Denn Lorenzen kümmert er sich zusammen mit zwei Mitarbeiterinnen um die Verwaltung - etwa die Abrechnung der Kirchensteuer, die in diesem Fall ein Mitgliedsbeitrag in Höhe der sonst regulären Kirchensteuer ist, oder um Veranstaltungsbetreuung. Und das bis ins kleinste Detail: „Wenn irgendwo eine Glühbirne ausgetauscht werden muss, landet das auf unserem Schreibtisch“, sagt der gelernte Buchhalter. „Die Größe unseres Betriebs führt dazu, dass wir fast alles selbst machen müssen, und es ist manchmal schwer, das alles unter einen Hut zu bekommen.“
Angeschlossen an die Nordkirche
Es ist die religiöse Freizügigkeit, die den Dänen sehr wichtig ist, die so eine Struktur als anerkannte Freikirche möglich macht. Dass sie an die Nordkirche angeschlossen ist, bedeutet: Die Nordschleswigsche Gemeinde erhält finanzielle Unterstützung von der Landeskirche und ist auch in der Landessynode mit zwei Sitzen vertreten - allerdings ohne Stimmrecht, aber mit Antrags- und Rederecht. Außerdem entsendet die Nordkirche ihre Pastoren in ihre nördlichste Gemeinde aus – wo sie natürlich unter anderem auch Trauungen und Taufen vornehmen.
Zusammenarbeit mit der dänischen Folkekirken
Doch besonders ist: Die Gemeinde besitzt zwar Pastorate, aber keine eigenen Kirchgebäude. Deshalb nutzt sie für Gottesdienste die Räume der Folkekirken, der evangelisch-lutherischen Kirche in Dänemark, mit der es eine Vereinbarung gibt. Mitunter veranstalten die beiden Kirchen auch gemeinsame Gottesdienste und andere Veranstaltungen – zum Beispiel zum Reformationsjubiläum. Der Besuch des Nordkirchenschiffs etwa brachte dänische, nordschleswigsche und südschleswigsche Gemeinden, also die Kirche für die dänische Minderheit in Deutschland, zusammen. Zum Hafenfest ist „ein gemeinsames deutsch-dänisches Projekt entstanden, welches es so vorher noch nie gegeben hatte“, schreibt Mathias Alpen in seinem Jahresbericht. Einer der Höhepunkte war ein zweisprachiger Gottesdienst in Sonderburg.
Gottesdienste mit Amtshandlungen sind immer häufiger zweisprachig
Im Allgemeinen werden insbesondere die Amtshandlungen in der Region immer häufiger zweisprachig – denn bei Hochzeiten oder Taufen in der deutschen Minderheit gibt es meistens deutsche und dänische Familienangehörige. So beobachtet das auch Anke Krauskopf, die Pastorin für den deutschen Teil der Kirchengemeinde in Apenrade (Aabenraa) ist.
In den Städten gibt es eben historisch bedingt ein anderes System als auf dem Land: Hier gibt es vier deutsche Pastoren, die von der dänischen Kirche eingesetzt werden, damit sie sich um die deutsche Minderheit in Apenrade, Hadersleben, Sonderburg und Tondern kümmern können. Verbunden sind die Land- und Stadtgemeinden über einen Konvent, der sich regelmäßig trifft. „Hier in Apenrade sind bin ich für etwa 400 Menschen zuständig“, sagt Krauskopf. Aber das ist nur eine Schätzung. Wie viele Mitglieder der deutschen Minderheit sie jeweils tatsächlich in den einzelnen Gemeinden betreuen, ist unklar, denn seit 1955 ist das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit frei und darf daher nicht nachgeprüft werden.
Gemeindearbeit ist viel Bildungsarbeit
Wichtiges Bindeglied zwischen der Nordschleswigschen Gemeinde und den Stadtgemeinden ist der Konvent, der in der Regel einmal im Monat zusammenkommt.
Auch wenn sich die Pastorin, die einst in Ostholstein arbeitete, um eine Gruppe mit deutschen Wurzeln kümmert, so ist die Gemeindearbeit doch anders – eher dänisch. „Hier gibt’s zum Beispiel so etwas normalerweise Typisches wie einen Kinderkreis nicht“, so Krauskopf. Geschuldet ist das dem dänischen Bildungssystem: Die Kinder sind normalerweise bis 17 Uhr in den Einrichtungen – deshalb gibt es eher Angebote, die abends oder am Wochenende stattfinden und bei denen die Eltern dann auch mit dabei sind. „Gemeindearbeit bedeutet hier oft Bildungsarbeit“, so Krauskopf. Meistens gebe es Vorträge mit Diskussion und anschließendem gemeinsamen Essen – darauf lege man viel Wert. Und auf gemeinsames Musizieren: „Bei Singabenden kommen die Leute.“
Modell für die Zukunft?
Was ihr an der Arbeit in Apenrade besonders gefällt, sind klare Strukturen, denn sie ist tatsächlich nur für die „klassischen“ Pastorenaufgaben zuständig - für Verwaltungsabläufe gibt es „Fachpersonal“, wie sie sagt. „Das bringt deutlich mehr Ruhe in den Alltag.“ Diese Trennung von pastoralen Aufgaben und Verwaltung erscheint sehr modern – und wird derzeit auch in Deutschland als Modell diskutiert, mit dem man möglicherweise dem drohenden Pastorenmangel begegnen könnte. Aber auch in anderer Hinsicht erscheinen die Kirchen in Dänemark fortschrittlich – nämlich in der digitalen Kollekte: MobilePay, das Bezahlen per Smartphone, ist in der Nikolaikirche in Apenrade zum Beispiel schon möglich.
Die Sprache will gelernt sein
Und trotzdem – die Sprache spielt auch heute noch eine große Rolle. Zu Beginn müssen die deutschen Pastoren in der Regel erst einmal Dänisch lernen. Das hat auch Achim Strehlke, Pastor in Tondern, erlebt: „Das erste Jahr ist toll: Da sitzt man im Kirchengemeinderat und versteht erst einmal gar nichts.“ Doch während die Sprache sich verfestigt, wächst nicht nur die Menge der Aufgaben, sondern auch die Liebe zum Land: „Man kommt aus Neugier her und bleibt, weil es einfach so schön ist.“