25. Juli 2021 | Vitt

Ufergottesdienst

25. Juli 2021 von Tilman Jeremias

Liebe Gemeinde,

ich freue mich sehr, heute bei Ihnen sein zu können, inmitten herrlichster Schöpfung, die Jahr für Jahr Zehntausende Menschen hierher auf die Insel lockt. Sie bieten als Gemeinde darüber hinaus jedes Jahr ein anspruchsvolles Kulturprogramm für Ihre Gäste an und können aus meiner Sicht sehr froh sein mit Ihrem Pastor Ohm, der mit der Sommerkirche Nordrügen immer wieder ein Programm organisiert, das Seinesgleichen sucht. Das betrifft auch die Gestaltung der sommerlichen Gottesdienste. Und an dieser Stelle haben Sie mit diesem und den beiden folgenden Gottesdiensten Bedeutendes vor: Sie wollen die großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ins Gespräch miteinander bringen und haben dazu nächsten Sonntag einen muslimischen Kanzelredner und übernächsten Sonntag unseren Landesrabbiner eingeladen. „Die Vielheit der Religionen und der eine Gott“, lautet dazu das Motto.

Zu diesem Format möchte ich Ihnen gratulieren. Denn solches interreligiöse Gespräch ist in unserem Landstrich sehr viel weniger selbstverständlich als in Köln oder Frankfurt, wo das Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Religionen seit Jahrzehnten Dauerthema ist. Hier auf Rügen haben wir nur wenige muslimische oder gar jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die allermeisten Menschen haben sich wie in ganz Ostdeutschland von jeglicher Religion völlig entwöhnt und leben gut ohne Gott und Gottesdienst.

Das macht es aus meiner Sicht aber umso nötiger, dass wir uns als Menschen, denen Religion wichtig ist, zusammentun, uns treffen, austauschen und überlegen, was wir gemeinsam tun können. Dazu ist diese Predigtreihe eine gute Gelegenheit.

Das Schöne ist, dass diese Reihe an einem Tag eröffnet wird, der ohne Umschweife Gedanken zum Gemeinsam- Unterwegssein öffnet. Denn heute, am 25. Juli, ist der Gedenktag Jakobus des Älteren, des Patrons der Pilgerinnen und Pilger, meist dargestellt mit dem Wanderstab. Santiago de Compostela, wo die Gebeine des Apostels begraben liegen sollen, ist neben Rom und Jerusalem der wichtigste Pilgerort der Christenheit. Nun hat sich Martin Luther strikt gegen das Pilgern gewandt, weil er es verdächtigte, es sei ein frommes Menschenwerk, mit dem die Gläubigen meinten, sich das Himmelreich erarbeiten zu können. Der 25. Juli als Gedenktag an Jakobus den Älteren steht aber auch im evangelischen Festtagskalender.

Wie an so vielen Stellen haben evangelische Christinnen und Christen das Pilgern in den letzten Jahrzehnten neu von den katholischen Geschwistern wiederentdeckt. Gemeinsam machen wir uns auf verschiedene Pilgerwege, nicht, um uns das Heil zu erarbeiten, sondern um in Gottes Schöpfung Kopf und Herz frei zu bekommen, loszulassen, mit den Füßen zu beten. Und gerade dadurch die ur-reformatorische Entdeckung zu machen: Ich bin als Mensch großzügig beschenkt von Gott. In der Einfachheit des Weges wird mir bewusst, wie reich mein Leben ist jenseits materieller Güter. Im Gehen verlangsame ich mich und kann so frei werden von dem Ballast, der mir die Konzentration auf das Wesentliche sonst verstellt.

Auf dem äußeren Weg des Pilgerns ergeben sich beste Gelegenheiten für innere Wege. Einsam in der Stille und getragen von mitgehenden Geschwistern erleben viele Menschen unterwegs die Chance, sich neu auszurichten, bewusster zu leben, sich der liebenden Gegenwart Gottes neu zu öffnen. Heute Abend werden wir in der Stralsunder Jakobikirche in einem ökumenischen Gottesdienst eine Pilgerkapelle einweihen, die der Beginn eines ökumenischen Pilgerzentrums sein soll. Und das Bild des gemeinsamen Weges scheint mir wie geschaffen für interreligiöse Begegnungen.

Wenn der Apostel Jakobus in dieser Hinsicht also ein guter interreligiöser Lehrer ist, beweist er an anderer Stelle, wie interreligiöser Dialog von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, nämlich durch geistliche Überheblichkeit.

Im heutigen Predigttext für den Jakobustag aus Matthäus 20 begegnet uns der Apostel Jakobus der Ältere. Gemeinsam mit seinem Bruder Johannes gehört er mit Petrus zum engsten Kreis der Jünger Jesu. Sichtlich führt diese Sonderstellung im Jüngerkreis die beiden Söhne des Zebedäus zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein und sie schicken ihre Mutter vor mit einem heiklen Anliegen. In Mt. 20 lesen wir:

0Da trat zu Jesus die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen, fiel vor ihm nieder und wollte ihn um etwas bitten. 21Und er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu ihm: Lass diese meine beiden Söhne sitzen in deinem Reich, einen zu deiner Rechten und den andern zu deiner Linken.22Aber Jesus antwortete und sprach: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. 23Er sprach zu ihnen: Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater.

Es mag der innerste Wunsch eines frommen Menschen sein: der Fensterplatz im Himmel, verbürgte Gottesnähe, die Ehrenplätze an der himmlischen Festtafel. Und da ist es sicher gut, rechtzeitig an eine Tischbestellung zu denken. Wo doch der Gottessohn unter ihnen ist, der diese Sonderbehandlung für die beiden Zebedäussöhne sicherlich organisieren kann. Hier bei Matthäus ist immerhin noch die Mutter die Bittende, als kleine Entschärfung des ungeheuerlichen Anliegens. Aber wenn wir die ursprüngliche Version aus dem Markusevangelium danebenlegen, wird klar: Die beiden Brüder schicken die Mutter nur vor; bei Markus sind sie es selbst, die ihre Bitte Jesus vortragen.

Diese Bitte entspringt einem typisch menschlichen Lohndenken: Wenn ich hier auf Erden schon die Strapazen auf mich nehme, dem Sohn Gottes zu folgen, alles zu verlassen, ihm zu dienen, dann gebührt mir doch eine jenseitige Belohnung für solches Wohlverhalten. Nun sind die beiden Ehrenplätze im Reich Gottes gewiss honorigerer Lohn als materielle Güter. Das Denken dahinter ist das gleiche. Verträge basieren seit dem alten Rom auf der lateinischen Kurzformel: „Do, ut des“; „Ich gebe, damit du gibst“. Hier also: Ich verhalte mich als Jünger nach deinem Willen, dann behandle du, Gott, mich entsprechend bevorzugt in der Ewigkeit.

Jesu Antwort überrascht. Hätte er doch empört reagieren können und Jakobus und Johannes erklären können, dass ewiges Leben nicht wie ein römischer Vertrag abläuft, sondern dass unser Heil ausschließlich Gottes gnädiges Geschenk ist. Stattdessen fragt Jesus zurück, ob denn die Brüder wie er den Kelch des Martyriums trinken können, also ihr Leben hingeben für ihren Glauben. Das bestätigen beide, wenn wir in der Bibel in Apg 12, wie eben gehört, auch nur vom Märtyrertod des Jakobus erfahren. Fast scheint es, als könnten die beiden also die Bedingung, die Jesus für die gewünschten Ehrenplätze im Reich Gottes aufstellt, tatsächlich erfüllen. Und es gehört zum alten Überlieferungsschatz der Kirche, dass Märtyrerinnen und Märtyrer in vorzüglicher Weise ihren Glauben bezeugt haben, konsequent bis in den Tod.

Doch hier folgt die nächste Überraschung: Jesus gesteht den beiden zu, seinen Leidenskelch teilen zu können, sieht sich aber für die Vergabe von Sonderrechten im Himmel als nicht zuständig: die verteilt allein der himmlische Vater.

Und so bleibt es an den Jüngerkollegen im Anschluss an unsere Verse, sich über Jakobus und Johannes aufzuregen. Sie beschweren sich sehr nachvollziehbar darüber, wie die beiden sich herausheben möchten aus dem Jüngerkreis Jesu. Und hier bestätigt Jesus jetzt, dass derjenige im Reich Gottes groß ist, der sich ganz hinten anstellt. Anders als die Mächtigen dieser Welt zeichnen Menschen, die Jesus folgen, sich dadurch aus, dass sie anderen dienen.

Diese Verse beleuchten solide, warum Jakobus und Johannes auch die Donnersöhne genannt werden: Sie sind selbstbewusst auch in Belangen ihres ewigen Heils.

Doch diese Überheblichkeit in Glaubensdingen wird ihnen hier von Jesus beschnitten. Ihr Wunsch bleibt unerfüllt. Glaube ist sichtlich keine Rundum- Lebensversicherung. So hilfreich es im Leben ist, sich fest im Glauben zu verwurzeln, an der eigenen Glaubensgewissheit festzuhalten, so sehr gehört der Zweifel zum Glauben dazu. Paulus kritisiert manche in Korinth stark für deren Einstellung, sie seien schon auferstanden und ihnen könne nichts mehr geschehen. Nein! Leben im Glauben ist ein Tag für Tag neu durchzubuchstabierendes Wagnis, das immer wieder Wege zum Gottvertrauen sucht. Fest stehen die Zusagen und Verheißungen Gottes. Aber wackelig sind menschliches Glauben, Lieben und Hoffen.

Und das ist exakt die Stelle, wo ein fruchtbares Gespräch unter Glaubenden verschiedener Religionen ansetzen kann. Wir Menschen aus dem Judentum, aus dem Christentum und aus dem Islam berufen uns gemeinsam auf den einen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, der in Abraham einen wichtigen Glaubenszeugen hat und der uns einmal erlösen wird. Als glaubende Menschen lesen wir in der Heiligen Schrift, beten, feiern Gottesdienste. Aber wir teilen auch viele Erfahrungen zwischen Selbstüberschätzung und Zweifel, zwischen Ausgegrenzt- Werden und Stärkung in der Gemeinschaft, zwischen Festfreude und grauem Alltag.

Das Gemeinsame zu finden, lässt uns dann auch Unterschiede unter uns ertragen. Und vor allem danach fragen, was wir gerade als religiöse Menschen beitragen können zum Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und der Lösung der gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit. Große Übereinstimmung herrscht mittlerweile unter den allermeisten Vertreterinnen und Vertretern unserer Religionen, dass uns die konziliaren Themen gemeinsam sind, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Wie viel Kraft können religiöse Äußerungen entfalten, wenn sie gemeinsam formuliert werden, wie in Assisi, als der Papst mit Spitzenvertretern aller Weltreligionen zusammentraf!

Für solche Begegnungen ist die geistliche Haltung hilfreich, die nach Jesu Worten aus unserem Evangelium spricht: Es geht nicht darum, den Partnern zu präsentieren, dass wir selbst ja nun die Ehrenplätze im Reich Gottes sicher haben. Das ist Glaubens- Hybris. Im Gegenteil ist die Haltung, die Jesus beschreibt, eine fruchtbare gerade im interreligiösen Gespräch: die des Dienens. Das heißt im Dialog: erst einmal zuhören, staunen, wie die oder der Andere ihren und seinen Glauben lebt, interessiert sein am Schatz der Traditionen und Rituale der Anderen. Und aus diesem Zuhören dann selbst erzählen, was mich im Glauben und Leben hält und trägt, warum es gerade Tod und Auferstehung Christi sind, die anders als im Judentum oder Islam meinem Leben Trost und Hoffnung geben.

Und ein weiteres Bild ist hilfreich für solche Begegnungen: das Jakobus- Bild des Pilgerwegs. Wir sind als glaubende Menschen gemeinsam unterwegs auf unserer einen Erde, berufen dazu, Gottes Liebe und Barmherzigkeit zu bezeugen. Dazu müssen wir, wie Jakobus und Johannes, immer wieder einmal Bescheidenheit lernen, die eigenen Grenzen akzeptieren. Dann macht es guten Sinn, ein Stück Wegs zu teilen, Glaubenserfahrengen auszutauschen und sich zusammen einzusetzen für Versöhnung, sozialen Ausgleich und ökologischen Neuanfang.

Der Sommer am Rüganer Hochufer ist eine einzige Einladung dazu, diesen Pilgerweg zu starten, dankbar über Gottes Schöpfung zu staunen, durchzuatmen und loszugehen. Gottes Engel gehen uns voran.                          

Amen.

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