Uns verbindet eine lange, gemeinsame Geschichte
14. März 2016
Woche der Brüderlichkeit, Grußwort für die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
Sehr geehrter, lieber Rien van der Vegt und Monsignore Sanders,
verehrter, lieber Professor Brumlik,
sehr geehrter Dr. Schinnenburg, lieber Herr Rubinstein,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich und mehr noch: ich fühle mich geehrt, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Anlässlich der Woche der Brüderlichkeit, liebe Schwestern und Brüder, mit wieder einmal einem starken Thema. „Um Gottes Willen“ - das zielt auf das Zentrum. Die Ausrichtung des Inneren, des Herzens. Auf ihn hin. Ob wir also die Füße auf den Weg des Friedens richten, werden wir gefragt. Ob wir das prophetische Wort wagen, mehr doch als bisher, und den Hassrednern Affront, die Stirn bieten?! Nach Sonntagen wie gestern! Es braucht Klartext - um Gottes Willen.
Auch deshalb bin ich dankbar, bei Ihnen zu sein, weil es mir die Gelegenheit bietet, persönlich unserem Vortragenden zur Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig Medaille zu gratulieren – Denn wenn es jemanden gibt, der mit Klartext, mit Prägnanz und Hartnäckigkeit das christlich-jüdische Gespräch nach vorn gebracht hat, dann Sie, lieber Professor Brumlik. Ich freue mich sehr auf Ihren Vortrag, zumal er nicht allein „uns Zwei“, sondern „die Drei“ abrahamitischen Religionen in den Blick nimmt.
Mich freut das insofern doppelt, als ich eben nicht allein als evangelische Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck die Grüße der Nordkirche übermittle, sondern auch als Vorsitzende die des Interreligiösen Forums Hamburg. Übrigens ist letzteres Gremium ebenfalls mit einem großartigen Menschen verbunden, der hier sitzt und nächste Woche geehrt wird: Sammy Jossifoff. Er hat – schon immer, will mir scheinen – das Judentum in Hamburg vertreten und wird in der kommenden Woche vom Hamburger Senat mit der „Medaille für treue Dienste des Volkes“ ausgezeichnet.
Seit 16 Jahren sind wir im Interreligiösen Forum nun gemeinsam auf dem Weg, acht Religionsgemeinschaften Seite an Seite. Mit den führenden Vertretern und Vertreterinnen der Juden, der Christen, der Muslime und Aleviten, der Hindus, Buddhisten und der Bahai. Weil hier alle Weltreligionen zusammen arbeiten, heißt es in den Medien bisweilen, Hamburg sei die Hauptstadt des Interreligiösen Dialogs. Das mag stimmen oder nicht – in jedem Fall ist dieses Forum ein unerhört wertvolles Gut. Über die Jahre ist dort Vertrauen gewachsen, ja Freundschaft. Es wird viel erzählt, diskutiert, von manchen viel gegessen und von allen viel gelacht. So wie überhaupt Humor eines der Geheimnisse des Miteinanders ist. Gut so! Interreligiöser Dialog ist ernsthaft genug, um auch Entspannung zu können. Denn um sie geht es letztlich: Um den Abbau von Spannungen, ja die Verhinderung von Spaltung. Und dies gerade nicht in Nivellierung der Unterschiede, sondern im Respektieren derselben. Gerade in den vergangenen Monaten – nicht zuletzt unter dem Eindruck neuer antisemitischer Anfeindungen - ist mir glasklar geworden, wie wichtig die Religionsgemeinschaften für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sind. Denn derzeit erleben wir - und das verändert unser Land! - , dass die Kriege und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten in nie gekanntem Maße nah rücken. In räumlicher Verdichtung wird das deutlich in den Flüchtlingsunterkünften. Allzumal bitter für sie, die in ihren Heimatländern wegen Ihres Glaubens verfolgt wurden und feststellen, dass sich die religiösen Spannungen hier massiv fortsetzen.
Es ist viel zu tun. Nennen wir es Schritte zur gegenseitigen Integration oder das Recht auf Religionsfreiheit als Grundrecht des Menschen: Gerade in diesen Zeiten müssen wir in aller Deutlichkeit das Friedenszeugnis der Religionen zur Sprache bringen. Mit einer Haltung interreligiösen Miteinanders. Nicht auftrumpfend und nicht autoritär - sondern demütig, empathisch, dienend. In Liebe zum Nächsten und zur Schöpfung Gottes.
Die christlich-jüdische Zusammenarbeit, die wir heute hier würdigen, ist für mich dabei gewissermaßen der Nukleus, der Kern interreligiöser Zusammenarbeit. Dank auch dieser Gesellschaft, die in nahezu 65 Jahren enormes bewirkt hat. Damals bei ihrer Gründung, 1952, ist es wohl einzigartig gewesen, dass sich zwei Weltreligionen gemeinsam auf den Weg gemacht haben, um Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende der Konflikte, der Missverständnisse, ja der Pogrome und unsäglicher Vernichtungswut zu überwinden.
Bei Ihnen wurde vieles eingeübt, von dem wir – davon bin ich überzeugt - auch im Dialog mit den anderen Religionen lernen können: Das vorurteilsfreie Zuhören. Das achtsame Reden. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition. Die Suche nach Gemeinsamkeiten, ohne das Eigene aufzugeben. Das ist manchmal anstrengender als es sich anhört, wir erleben es immer wieder auch im interreligiösen Forum, aber es geht: den Anderen anders sein lassen und dennoch gemeinsam für das Wohl der Stadt zu denken, zu beten, zu handeln und, wenn’s sein muss, zu streiten.
Das geht - durchs Einüben. Nicht allein durch Grußworte an wichtigen Orten von Religionsführenden. Sondern durch Begegnung von Kind an. Die Begegnung ist das Geheimnis des Friedens. Ich bin deshalb froh, dass wir hier in Hamburg bereits seit den 70er Jahren den so genannten „Religionsunterricht für alle“ (Rufa genannt) als interreligiöses Lernmodell gemeinsam entwickelt haben. Der Rufa ist der Ort, an dem die Religionsgemeinschaften miteinander ins Glaubensgespräch kommen. Es geht nicht um Religionskunde, sondern um die existentiellen Fragen des Lebens und des Sterbens. Es geht um Glück und Tod, um Verlust und Frieden, es geht um Glaube und Liebe. Die genauen Inhalte des Unterrichts bestimmen wir Religionsgemeinschaften dabei selbst, denn diese kann und soll der Staat nicht festlegen.
Seit zwei Jahren verantwortet auch die jüdische Gemeinde diesen Unterricht offiziell mit. Das war ein wichtiger Schritt. Denn ich bin sicher, und ich sage es jetzt wieder ausdrücklich als evangelische Bischöfin: Das christlich-jüdische Gespräch wird ergänzt, aber niemals ersetzt werden können durch den Dialog der Religionen. Dazu sind wir zu verwandt, teilen wir so viel miteinander: Den gemeinsamen Gott und die Rede von ihm in der Heiligen Schrift. Den Bund, den Gott geschlossen hat. Kurz: Uns verbindet eine lange, gemeinsame Geschichte. Als Geschwister. Das lässt sich von den anderen Religionen nur eingeschränkt sagen. Und auch wenn es bisweilen die Erfahrung geben mag, dass man mit den Freunden besser zurechtkommt als mit Geschwistern – so klar ist auch, dass die eigene Identität nur zu erfassen ist, wenn man dem Bruder und der Schwester ins Gesicht schaut in all seiner Schönheit…
In der Anschauung des Du zum Eigentlichen kommen; ich danke Ihnen, liebe Schwestern und Brüder für die Einladung zu dieser Begegnung, direkt, musikalisch, nachdenklich, gemeinsam unterwegs. Auf dem Weg des Schalom. Ich danke Ihnen.