"Bei den Pfadis kann man noch die Luxusgüter der Neuzeit genießen"
15. Juni 2018
Mehr als 100 Jahre ist die Pfadfinderei schon alt - und trotzdem: Die Pfadis sind up to date. Im Interview spricht Sören Bröcker vom Verband Christlicher Pfadfinder (VCP) über Friedenslicht, Fake News, Rentner-Halstücher und Influencer.
Die Pfadfinderei ist in diesem Jahr 111 geworden. Das ist schon eine ganz schön lange Zeit. Gibt es etwas, das die Jahre überdauert hat?
Das ist wohl das Halstuch, das Erkennungszeichen aller Pfadfinderinnen und Pfadfinder weltweit. Darüber hinaus gibt es viele Traditionen in den verschiedenen Ländern. Wir wandern viel und erkunden die Natur. Gemeinschaft, Solidarität und Freundschaft stehen darüber hinaus an erster Stelle. Aber auch Politisches ist bei uns zunehmend ein Thema.
Zum Beispiel?
Umwelt- und Naturschutz. Das fängt schon im Kleinen an: Wie kann ich möglichst wenig Plastik verbrauchen? Gerade Pfingsten organisierte ich ein umweltgerechtes und klimaneutrales Lager für den VCP Heide.
Das geht weiter über Gendergerechtigkeit und Völkerverständigung. Bei den Pfadis ist es egal wie viel Geld man hat, welche Religion, welche politische Einstellung - es geht darum, dass man gemeinschaftlich unterwegs ist und sich für den Frieden in der Welt einsetzt.
Wie begegnen sich die Pfadis dort?
Es gibt vorher Traineeships für die internationale Kompetenz, die man durchläuft, und dann kann man entspannt aufeinander zugehen. Dann weiß man auch um die Besonderheit der verschiedenen Kulturen und kann mit Fingerspitzengefühl darauf eingehen, damit sich niemand verletzt fühlt. Außerdem gibt es den weltweitbekannten Pfadfindergruß.
Spannend ist zum Beispiel immer, wenn Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus Palästina und Israel zusammentreffen. Die sind am Anfang immer distanziert, aber später weiß auf dem Lager niemand mehr, wer eigentlich aus welchem Land kommt.
Bist du deswegen zu den Pfadfindern gegangen?
Ich persönlich fand es als Kind oder Jugendlicher immer am attraktivsten, dass da keine Erwachsenen herumlaufen. Wir sind ein Kinder- und Jugendverband und unser Leitthema ist „Jugend leitet Jugend“. Wir wollen grundsätzlich keinen 50-jährigen Vater sehen, der seine Kinder betreut, sondern es geht darum, auf Augenhöhe mit Gleichaltrigen zu lernen. Bei unserem Stamm in Heide ist es so: Wenn du deinen Schulabschluss hast, übergibst du die Aufgaben an die nächsten Generation und engagierst dich auf einer anderen Ebene.
Aber du bist ja jetzt immer noch da, obwohl du „schon“ 24 bist und deinen Schulabschluss hast…
Ja, ich habe auch schon das in Heide sogenannte „Rentner-Halstuch“, das mit dem lila Rand, verliehen bekommen. Das bekommt man mit 21. Die Arbeit im Verband wandelt sich, je älter man wird. Man arbeitet im Hintergrund, wird Kassenwart, organisiert Großlager, kümmert sich um Internationales, die Öffentlichkeitsarbeit und erlebt weitere großartige Abenteuer.
Oder fährt mit einer Riesenmaus in der Bahn durch die Bundesrepublik…?
Ja, die große Maus von der Sendung mit der Maus hatte ich zum „Maus-Türöffner-Tag“ des WDR geliehen bekommen. Und ich dachte, wenn sie in unserer Zentrale in Kassel sitzt, kann ich sie auch mit nach Heide nehmen – da musste sie dann mit Bahnfahren – im Bordrestaurant. Die Schaffnerin hat gleich gefragt: Wo ist das Ticket für die Maus? Aber sie durfte so mitfahren und es wurde sogar durchgerufen, dass das Bordrestaurant wegen einer großen orangen Maus nun geschlossen ist. Dann kamen ganz viele Kinder und haben mit ihr Fotos gemacht.

Mit besonderen Zugfahrten habt ihr ja Erfahrung – zum Beispiel mit dem „Friedenslicht“, das immer im Dezember zu den einzelnen Stämmen transportiert wird…
Ja, das ist immer eine tricky Geschichte. Es darf nicht ausgehen, aber die Bahn will eigentlich gar nicht, dass es brennt. Da werden wir Pfadis kreativ und bauen einen besonderen abgeschlossenen Behälter, damit es sicher ans Ziel kommt.
Das ist ja alles noch sehr analog. Gibt es bei den Pfadis auch so etwas wie eine Digitalisierung?
Auf dem Bundeslager in Wittenberg zum Reformationsjubiläum war das eines der Themen. Zum Beispiel wurde die Frage diskutiert: Hat ein Handy etwas auf dem Lagerplatz zu suchen oder nicht? Es gibt ja immer dieses Motto: Bei den Pfadfindern kann man noch die Luxusgüter der Neuzeit genießen; das ist die Unerreichbarkeit, die Sorglosigkeit und die Freiheit von allen seinen Zwängen des Alltags.
Klappt das immer so?
Wir verbieten Smartphones ja nicht, aber man sieht sie eh nur ganz selten auf dem Lager. Wir wollen keine Parallelwelt schaffen, sondern mit den Jugendlichen arbeiten. Deshalb haben wir auch mehr und mehr Workshops zur Medienbildung. Wir sehen es als Auftrag, Kindern und Jugendlichen den sicheren Umgang mit Medien zu vermitteln. Also zum Beispiel: Wie präsentiere ich mich im Netz? Wie erkenne ich Fake News? Auch zu Mobbing über Messenger wird inzwischen bei den Juleica-Kursen geschult.
Die "neuen" Medien sind auch Werkzeuge für moderne Pfadis. Man muss lernen mit ihnen umzugehen, genauso wie mit einem Taschenmesser.
Das heißt, die Pfadis bleiben up to date – und somit auch weiterhin interessant für Kinder und Jugendliche?
In Schleswig-Holstein zum Beispiel steigen auch die Mitgliederzahlen, während ja die meisten Sportvereine jammern, dass sie immer weniger Leute haben. Natürlich haben wir auch die üblichen Herausforderungen zu meistern, wenn es darum geht, geeignete Gruppen-/Stammesleitungen zu finden.
Was uns vielleicht noch fehlt, ist so ein Promi-Pfadfinder, schließlich reden alle von Influencern. So einer wie zum Beispiel Bear Grylls mit seiner Fernsehserie „Ausgesetzt in der Wildnis“ - den kennt in Großbritannien jeder. Solche Leute begeistern Menschen für die Pfadfinder. Wobei, wenn jetzt Bibi bei den Pfadfindern wäre, würde das irgendwie auch nicht so passen.