2. September 2017 | Breklum

Versöhnung in Namibia?

02. September 2017 von Gerhard Ulrich

Studientag im Christian Jensen Kolleg, Impuls: Der Völkermord in Namibia, als es noch Deutsch-Südwest hieß, und die Verantwortung der Kirchen in Deutschland

I

Seit Jahren beschäftigen sich die Kirchen in Deutschland und auch die deutschsprachige Kirche in Namibia intensiver und selbstkritischer mit ihrer eigenen Schuldgeschichte in der Kolonialzeit Namibias. Als Politikerin hat Heidemarie Wieczorek-Zeul bei den Gedenkfeierlichkeiten der Herero-Aufstände am 14. August 2004 in Okakarara (Naminia) öffentlich auch kirchlich und theologisch wichtige Gedanken geäußert: „Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker – verblendet von kolonialem Wahn – in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen „Vater unser“ um Vergebung unserer Schuld. Ohne bewusste Erinnerung, ohne tiefe Trauer kann es keine Versöhnung geben…Wir ehren heute die Toten. Wer sich nicht erinnert, wird blind für die Gegenwart. Mit dem Erinnern sollten wir Kraft für Gegenwart und Zukunft gewinnen.“

Ich zitiere die damalige Ministerin so ausführlich, weil sie mit ihrem Bezug auf das Vaterunser die besondere Verantwortung der Christenmenschen, aber auch den besonderen Auftrag der Christenmenschen deutlich gemacht hat – und die Mitverantwortung für Versöhnung und Neuanfang. Das ist eine der Spuren, die die EKD zusammen mit den Partnern in Namibia und im Südlichen Afrika aufgenommen hat.

Von 2007–2015 gab es einen zweiteiligen Studienprozess zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Rolle der Kirche und Missionswerke während der Kolonial- und Apartheidzeit. Am ersten Prozess in den Jahren 2007 bis 2011, der die Rolle der evangelischen Kirche in den deutschen Kolonialgebieten im südlichen Afrika untersuchte, waren insgesamt 13 Kirchen und Missionswerke in Deutschland und Namibia beteiligt. Die Ergebnisse wurden 2011 in einer Dokumentation mit dem Titel „Deutsche Evangelische Kirche im kolonialen südlichen Afrika” veröffentlicht. Die zweite Phase befasste sich vor allem mit der Aufarbeitung der Apartheidzeit und ihrer Vorgeschichte. In diesem partizipatorischen Prozess, an dem Wissenschaftler aus Namibia, Südafrika und Deutschland teilnahmen, wurde versucht, die für die Versöhnung notwendigen historischen Grundlagen zu legen.

II

Am 24. April 2017 hat die EKD in einer Erklärung, die mit dem Bibelwort „Vergib uns unsere Schuld“ beginnt, erklärt: „Wir bitten die Nachfahren der Opfer und alle, deren Vorfahren unter der Ausübung der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben, wegen des verübten Unrechts und zugefügten Leids aus tiefstem Herzen um Vergebung.“

Zur Mitverantwortung der deutschen Kirchen an dem Völkermord heißt es: „Als Nachfolgeinstitution des einstigen Evangelischen Preußischen Oberkirchenrats, der seinerzeit im Auftrag aller deutschen evangelischen Landeskirchen handelte, bekennen wir uns als Evangelische Kirche in Deutschland heute ausdrücklich gegenüber dem gesamten namibischen Volk und vor Gott zu dieser Schuld“.

Die evangelische Kirche bekennt sich hier zu ihrer historischen Mitverantwortung für die zwischen 1884 und 1915 im heutigen Namibia begangenen Gräueltaten. Auch wenn die nach Südwestafrika entsandten deutschen evangelischen Pfarrer – nach Aussage der historischen Quellen – nicht selbst direkt zu den Massentötungen aufriefen, hätten sie jedoch durch die theologische Rechtfertigung von imperialem Machtanspruch und kolonialer Herrschaft sowie durch einen tiefsitzenden Rassismus den Boden bereitet für den Tod vieler Tausender Angehöriger der namibischen Volksgruppen in den Kriegshandlungen und Konzentrationslagern. „Dies ist eine große Schuld und durch nichts zu rechtfertigen.“

Die EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber sagte, dass die jetzige Erklärung das damalige Unrecht nicht ungeschehen machen könne. Sie sei aber Ausdruck der bleibenden historischen und ethischen Verpflichtung der EKD, gemeinsam mit den Nachfahren der Opfer das Gedenken an die Opfer wachzuhalten, für die Anerkennung des Genozids einzutreten und an der Überwindung des damaligen Unrechts zu arbeiten. „Wir müssen uns an die Zeit des Kolonialismus erinnern, aber wir brauchen dazu den Geist der Versöhnung.“ Dies könne nur gelingen, wenn alle Bevölkerungsgruppen sich gegenseitig die Hand reichten.

III

Dass die 12. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Namibia stattfand, war gerade für uns Deutsche bedeutsam. Denn wir blicken auf diese furchtbaren Ereignisse zurück, der Teil unserer Geschichte ist: auf den Genozid, der zwischen 1904 und 1908 unter deutscher Kolonialherrschaft an Hereros, Nama und anderen Einheimischen dort begangen wurde. Und gerade die Lutherischen Kirchen blicken auf eine Konfliktgeschichte besonderer Art: es gibt derzeit drei Lutherische Kirchen in Namibia – Ergebnis auch der Kolonialgeschichte. Eine von den drei Kirchen, die deutsche Lutherische Kirche, war wegen ihrer Haltung zur Apartheid über Jahre aus der Gemeinschaft des Lutherischen Weltbundes ausgeschlossen gewesen – ihre Mitgliedschaft hatte geruht. Das ist, besonders in Namibia nicht vergessen und durch die Planungen der Vollversammlung auch wieder neu ins Bewusstsein gerückt. Die Vollversammlung hat, so ist mein Eindruck, auch dazu gedient, dieses spannungsreiche Verhältnis zu befrieden.

Auf der Vollversammlung des LWB war der Völkermord natürlich Thema. In Abstimmung mit den drei namibischen lutherischen Kirchen wurde eine „Öffentliche Erklärung zur Versöhnung im Zusammenhang mit dem Völkermord in Namibia“ verabschiedet. Sie hat bewusst keine Stellung bezogen zu den juristischen Auseinandersetzungen, dafür aber den Blick „auf die schmerzhaften Ereignisse gerichtet, die bis heute die Erinnerung der Namibier verdüstern.“

Die Erklärung weist darauf hin, dass das „Schicksal der Herero, Nama und anderer indigener Völker unter deutscher Kolonialherrschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts…den Völkern Namibias und Deutschlands bis heute schmerzhaft in Erinnerung“ ist und betont, „dass schmerzhafte Erinnerungen nicht verschwinden, bis sie ausgesprochen sind. Erst wenn die Wahrheit gesagt und Gerechtigkeit gesucht ist, kann tatsächliche Versöhnung über den Schmerzen der Vergangenheit stattfinden“. Die Bereitschaft der Regierungen Namibias und Deutschlands wird gewürdigt, sich diesem Thema zu stellen und sich einem Prozess zu verpflichten, „in dem die Wahrheit gesagt und Gerechtigkeit getan werden wird“.

Die Erklärung spricht von der „Einzigartigkeit dieses besonderen Versöhnungsprozesses… (in dem) keine standardisierten, vorgefertigten Lösungen …(aus) anderen, ähnlichen Prozessen in der Welt übernommen werden könnten…Namibier und Deutsche müssen durch ihren gemeinsamen Dialogprozess abklären und Übereinstimmung finden, wie Geschichte weitergetragen werden wird, wie Gerechtigkeit gefunden wird, und wie Versöhnung vorankommen kann.“ Diesen Prozess hilfreich zu begleiten, bietet der LWB an.

Diese Erklärung wäre ohne das Zusammensein und die Beratungen direkt vor Ort und ohne die vorangegangene Erklärung der EKD in dieser Form sicher nicht möglich gewesen.

IV

Die Nordkirche hat keine eigene Missionsgeschichte in Namibia. Doch auch in Norddeutschland gibt es zahlreiche problematische Erinnerungen an die Kolonialgeschichte – gerade auch die in Deutsch-Südwest. Etwa Gedenktafeln in Kirchen, die an die vermeintlich glorreiche Zeit, den Mut und die Opferbereitschaft der deutschen Kolonialtruppen erinnern, das übergroße Leid der schwarzen Afrikaner aber verschweigen. Es gibt in Windhuk derzeit eine Initiative, der einseitigen Gedenktafel eine korrespondierende hinzuzufügen, die die Opfer des Völkermords nicht verschweigt – so geschehen bereits in Wilhelmshaven, noch nicht in Hamburg am Michel. An der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis ist derzeit ein neuer Flyer in Vorbereitung, der die Geschichte der einseitigen Gedenktafeln neu beschreibt. Dass dort noch mehr passiert, ist zu hoffen und wird von verschiedenen Initiativgruppen seit langem gefordert.

Wir haben während unseres Aufenthalts in Namibia hautnah erlebt, wie präsent die Geschichte nach wie vor ist: Straßen und Orte tragen Namen herausragender Kolonialherren; große Farmen sind nach wie vor im Besitz deutscher Familien. Wir sind in Gesprächen aber auch durch Zeitungsartikel auf nach wie vor grassierendes Unverständnis auf allen Seiten gestoßen. Reisen nach Namibia und auch nach Südafrika – wenn man bereit ist, mit offenen Sinnen zu reisen – zeigen, dass die Apartheid nicht überwunden ist – trotz aller politischen und sozialen Fortschritte.

Eine besondere, wie ich finde, angemessene Aufgabe kommt auf EKD und die Lutherische Gemeinschaft schon in absehbarer Zeit zu: während der Besatzungszeit durch Kolonialmächte und -streitkräfte wurden sterbliche Überreste Namibischer Bürgerinnen und Bürger nach Deutschland verbracht, um sie für medizinische Experimente und Untersuchungen zu missbrauchen. Viele dieser in Krankenhäusern z.B. lagernden Überreste sind bereits an das Namibische Volk zurückgegeben worden. Weitere Übergaben stehen noch bevor. Im Nachgang zur Vollversammlung des LWB in Namibia, aufnehmend die Zusage des LWB, den Versöhnungsprozess zu unterstützen, ist es im Juni dieses Jahrs zu einem Gespräch mit den zuständigen Beamten im Auswärtigen Amt in Berlin gekommen. Dabei wurden wir, Vertreter von EKD und VELKD, gebeten, diese Übergabe liturgisch zu begleiten. Dies wird derzeit vorbereitet, und ich verstehe diese Einbindung der Evangelischen Kirche Deutschlands als Ausdruck neu gewachsenen Vertrauens und als Chance, einen Versöhnungsprozess neu zu initiieren.

Und Kirchen, deren Auftrag es ist, das Wort zu verkündigen, das die Versöhnung predigt, kommt in dem Prozess der Erneuerung eine wichtige Rolle zu: neben dem Schuldbekenntnis muss es um aktive Versöhnungsarbeit gehen, um Verstärkung der Prozesse, die auf mehr Gerechtigkeit und Ausgleich angelegt sind. Dabei ist natürlich auch zu beachten, dass es innerhalb der Gruppen, die sich in Namibia engagieren, durchaus nicht nur Einigkeit in der Beurteilung der Prozesse gibt. Es muss darum gehen, die Namibier zu unterstützen im Blick auf eine Landreform, im Blick auf Bildungsprogramme u.ä.m. Wir Kirchen verfügen über große und funktionierende Netzwerke, die wir zur Verfügung stellen. Und wir haben den Anspruch Gottes an uns zu hören, zur Umkehr und zum Neuanfang nicht nur aufzurufen, sondern aktiv beizutragen – z.B. durch Netzwerke der Versöhnung, wie sie zum Beispiel mit der „Aktion Sühnezeichen“ seit Jahrzehnten in und mit Israel sich bewähren, wie sie Vorbilder findet auch in der deutsch-französischen Versöhnung und in dem Versöhnungsprozeß mit Polen.

Gerade die Kirchen sind gefordert, ihre weltweiten Netzwerke, die durch enge ökumenische und Partnerschafts-Beziehungen entstehen und belastbar sind, auch in diesem Fall zu nutzen und zur Verfügung zu stellen.

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