Vielfalt ist Geistesgegenwart Gottes
24. Mai 2015
Pfingstsonntag, 50 Jahre Universitätskirche Kiel im Jahr des 350-jährigen Jubiläums der CAU; Predigttext zur Apostelgeschichte 2,1–18
Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
Liebe Festgemeinde,
verehrte Schwestern und Brüder,
auf diese wundersame Weise beginnt der Weg der christlichen Gemeinde durch die Zeit. Es ist eine Geschichte, die vom Neuanfang erzählt. Und diese Geschichte ist voller Symbole, um das deutlich zu machen.
Wir hören, dass brausend frischer Wind in die erste christliche Gemeinde fährt, und gerade wir hier im Norden können uns das genau vorstellen.
Es wird uns erzählt, dass den Menschen ein Licht aufgeht, sie sind angesichts der Botschaft von Gottes Gegenwart in unserer Welt „Feuer und Flamme“ und sie verstehen einander über Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede hinweg. Verzagte, vereinzelte, verängstigte, buchstäblich verschlossene Ex-Jüngerinnen und Jünger werden vom Geist Gottes ergriffen und verwandeln sich in begeisterte, mutige und glaubwürdige, andere inspirierende Zeuginnen und Zeugen des Evangeliums. Und die Vielfalt innerhalb der Christenheit, die wir dann und wann auch als befremdlich erleben, wird bereits hier als Geistesgegenwart Gottes verstanden.
Eine denkwürdige, eine unvorhersehbare Wende erzählt diese Geschichte – mit welthistorischen Folgen: Ein Verstehenswunder. Es ist der Anfang vom Lauf des Evangeliums um die Welt. Denn es hält die Frauen und Männer nicht hinter verschlossenen Türen. Das Evangelium breitet sich aus, in die antike Welt hinein. Es beginnt eine Zeit, in der es in der Kirche geistreich zugeht. Inspiriert und kreativ, begeistert, begabt und von Gott getragen sehen Frauen und Männer nun nach vorne, treten in die Verantwortung und wagen eigene Schritte in der Geschichte des Christentums.
Das geschieht, liebe Schwestern und Brüder, natürlich auf menschliche Weise, mit menschlichen Möglichkeiten. Es gibt Zeiten, in denen der Rückenwind die frühe Christenheit nach vorne treibt. Manchmal wird Gottes Geist in dieser Geschichte auch als Gegenwind spürbar, der mit aller Macht in eine andere Richtung treiben will. Und so oder so wirbelt er Vieles durcheinander. Er bricht die Widerstände, die schon früh den Glauben eng denken wollen auf, und verhilft der Freiheit des Evangeliums so zur Entfaltung. Schließlich führt einer der vielen Wege den Apostel Paulus auf den Areopag – ins Zentrum der Religionskulturen, in die Stadt der großen philosophischen Traditionen – selbstbewusst, werbend, im Dialog wird das Evangelium hier von ihm öffentlich vertreten.
Liebe Festgemeinde, für mich ist in dieser Geschichte darum auch die gute Tradition der Universitätskirchen aufgehoben – Kirche inmitten der Universität, belebt von einer Studierendengemeinde, in der Studierende der verschiedensten Fachrichtungen, unterschiedlicher Herkunft, Prägung und Ausrichtung zusammenkommen. Es ist Kirche im Kontakt mit den umgebenden Kirchengemeinden und der Landeskirche. Kirche gestaltet in guter Gemeinschaft mit der Theologischen Fakultät.
Aufbruchsstimmung vermittelt uns die Pfingstgeschichte. Und Aufbruchsstimmung war vor 50 Jahren mit diesem Ort, der Kieler Universitätskirche verbunden, die im Jahr des 300jährigen Jubiläums der Christian-Albrechts Universität eingeweiht wurde. Kirche inmitten der Universität – das war im Jahr 1965 und ist im Jahr 2015 keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Zeichen, das zu denken gibt. Wir wissen, dass schon damals die Frage aufgeworfen wurde, ob sich die Christuswahrheit der theologischen Fakultät und die Wahrheitssuche der anderen Fakultäten eigentlich miteinander vertragen. Läuft der Bau einer Universitätskirche nicht dem wissenschaftlichen Ethos entgegen? Könnte das nicht vielmehr ein Erinnerungszeichen an die längst überholte Vorrangstellung und Bevormundung durch die Kirche und die von ihr bestimmte Theologie sein? Solche Fragen waren an der Tagesordnung – damals, 20 Jahre nach dem Kriegsende, und angesichts einer in jeder Hinsicht, auch im Hinblick auf die Kirche, zweifelhaften Rolle der gesellschaftlichen Institutionen. Bemerkenswert finde ich, wie sich der Bau als solcher mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzt, auch zur damaligen Zeit nicht selbstverständlich. Durch den Anklang an die Berliner Gedächtniskirche und das Nagelkreuz aus Nägeln der im November 1940 von deutschen Bomben zerstörten Kathedrale von Coventry, das hier vorne am Epistelpult angebracht ist, mahnt uns dieser Kirchbau bis heute, nicht zu vergessen und angesichts aktueller politischer und kirchlicher Haltungen auch unbequeme Fragen zu stellen.
So gibt dieser Ort selbst die beste Antwort darauf, was von der Idee, Kirche inmitten der Universität, zu halten ist.
Diese Kirche ist als Dreieck konzipiert – ein Dreieck, das nicht festgelegt ist auf eine einzige Deutung:
Ein Symbol für die Wahrheitssuche der Wissenschaft kann es in seiner klaren geometrischen Form sein.
Für uns Theologinnen und Theologen liegt natürlich der Hinweis auf die Trinität nahe – auf die drei Weisen, in denen Gott uns und wir ihm begegnen: Gott in sich, uranfänglich als Schöpfer und Bewahrer; Gott in Beziehung, als Mensch an des Menschen Seite im Leben und im Sterben; und Gott als Geist – Gott in der belebenden Kraft seines Atems, unsichtbar und doch allenthalben bewegend tätig, spürbar als Rückenstärkung und Gegenwind, mal leise säuselnd, mal kräftig rauschend. In dieser Grundform sind viele der Symbole, die diesen Kirchenraum prägen, aufgehoben.
Doch es gibt noch eine dritte Deutung und auch diese scheidet für mich nicht aus: das Dreieck als Segel. Gleichsam ein maritimer Anklang für diesen Kirchraum und seine Gemeinde inmitten der Universität am Meer. Das prägt zweifelsohne den Geist dieser Universität mit. Weitblick und frische Seeluft haben dem Forschen, Lehren und Lernen wohl nie geschadet. Und in der Theologie wissen wir eben um den Geisteswind, den wir brauchen. Und wir wissen darum, dass Theologie hart am Wind segeln muss, wenn sie gute und belebende Theologie sein will. Hart am Wind der Wissenschaft, in der Spannung von Evangelium und Welt, im Gespräch mit dem, was sonst noch im Hinblick auf Mensch und Welt, auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft, auf Kultur, Umwelt und Technik erforscht und gedacht wird.
Der Glaube und die Kirche sind an der Universität gut aufgehoben. Es tut den Studierenden der Theologie, die als Pastorin oder Pastor, als Lehrerin oder Lehrer oder in einem anderen Beruf arbeiten und Verantwortung in dieser Gesellschaft übernehmen werden ebenso wie den Lehrenden gut, sich im Kontext der verschiedenen Fakultäten zu bewegen.
Fides quaerens intellectum („Glaube, der zu verstehen sucht“) – der christliche Glaube will auch heute das Gespräch aufnehmen, will sich in Beziehung setzen, zum Wahrheitssuchen der anderen Wissenschaften und Religionen. Er will mit wissenschaftlicher Redlichkeit hineinfragen, in seine Geschichte und in das Geheimnis seiner Quellen. Er stellt sich unbequemen Fragen. Und wir leben in einer Tradition, in der – Gott sei Dank – die Mehrheit der Menschen keine Angst vor einer kritischen Selbstreflexion hat. Glaube und Bildung gehören zusammen. Gerade in diesen Zeiten kann man das nicht wichtig genug nehmen. Glaube gibt es nicht ohne Fragen. Glaube gibt es nicht ohne Zweifel und ohne Widerspruch. Und eine freie Gesellschaft gibt es nicht ohne Religion und Religionen, die solches Fragen hervorrufen und notwendig machen. Es ist gut, wenn darum nicht nur christliche Theologie ihren Ort an unseren Universitäten hat.
Das Zeichen, das dieser Kirchbau, die Universitätskirche Kiel, setzt, ist darum zugleich ein Symbol für die Begeisterung des Glaubens an der Wissenschaft. „Auf der Grenze“, so Paul Tillich, ist der Ort der Erkenntnis. Das gilt vermutlich für die Theologie ebenso wie für die anderen Wissenschaften. Interdisziplinarität wird heute großgeschrieben. Ich wünsche dieser Universität daher viele begeisterte Grenzgänge mit der Theologie, die eine ungemein schöne und belebende Wissenschaft ist. Und an diesem Ort, in der Universitätskirche, werden Grenzen erfahrbar und überschritten – Studierende und Lehrende der unterschiedlichen Fachrichtungen treffen sich zum Gottesdienst, finden in Gebet und Musik zusammen, suchen das Gespräch. Sie sprechen verschiedene Wissenschaftssprachen in ihren Alltagen – und doch machen sie die Erfahrung: sie verstehen einander. So verbinden sich mit diesem Ort pfingstliche Erfahrungen, für die ich dankbar bin, und denen Zukunft beschieden sein möge. Diese Kirche soll auch in Zukunft ein Ort zum Verweilen, zum Fragen und Zweifeln, zum Singen und Beten und zum Durchatmen bleibt - und zum Lüften, wenn die Köpfe rauchen.
Der Schweizer Theologe und Lyriker Kurt Marti hat diese Geisteswirkung für mich auf den Punkt gebracht: „o dass er doch unsere köpfe durchlüfte mit seinem österlich weckendem atem mit gottes heilig nüchternem geist“.
Liebe Festgemeinde, die Anwesenheit eines solchen heilig-nüchternen Geistes inmitten der Universität – bewegend, begeistern, tröstend und ermutigend – wünsche ich den Menschen, die sich hier versammeln. Wenn dieser Ort diesem Geist Raum gibt, dann hat er seinen Zweck erfüllt.
Amen.