Podiumsdiskussion mit Ministerpräsident, Dichter und Landesbischof

"Was ist Kirche heute?"

Wie ist das mit der Reformation heute? Schleswig Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (v.l.), Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Nordkirchen-Landesbischof Gerhard Ulrich diskutieren mit dem shz-Kulturchef Martin Schulte in der Christkirche Rendsburg.
Wie ist das mit der Reformation heute? Schleswig Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (v.l.), Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Nordkirchen-Landesbischof Gerhard Ulrich diskutieren mit dem shz-Kulturchef Martin Schulte in der Christkirche Rendsburg.© Elisabeth Most-Werbeck

23. Dezember 2017 von Dieter Schulz

Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU), der Autor und Journalist Feridun Zaimoglu sowie der Landesbischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich, stellten sich in der Rendsburger Christkirche zum Abschluss des Luther-Jahres den Fragen von shz-Kulturchef Martin Schulte. Dem gelang es, statt die drei über Gott und die Welt fabulieren zu lassen, das Gespräch immer wieder auf die Kernfrage zu konzentrieren: Was ist Kirche heute?

Gerhard Ulrich: „Eine unpolitische Kirche gibt es nicht“

„Es geht nicht in erster Linie um volle Kirchen“, stellte der Landesbischof klar. „Es geht vor allem darum, den Menschen das Wort Gottes nahezubringen und um den Auftrag von Kirche in der Gesellschaft.“ Ulrich zog einen Vergleich zur Rolle der Kirche während der friedlichen Revolution in der DDR und zeigte sich überzeugt: „Eine unpolitische Kirche gibt es nicht.“ Christen müssten glaubwürdig vertreten, was sie für wahr und richtig hielten, auch wenn es unbequem sei.

Daniel Günther: „Niemand vereint mehr Menschen als die Kirchen“

Mehr Mut und Selbstbewusstsein von Christen beider Konfessionen forderte auch Daniel Günther. Kirche müsse und könne sich mehr trauen. Auch wenn Glaube und Traditionen heute nicht mehr so selbstverständlich wie früher in den Familien weitergegeben und die Bindekräfte in der Gesellschaft schwächer würden, vereine niemand mehr Menschen in Deutschland als die beiden christlichen Kirchen. Kein ADAC als größter Verein in der Bundesrepublik, keine Partei und auch kein Bundesligaklub. Für Günther muss sich Kirche künftig wieder stärker in gesellschaftliche Debatten einbringen. Die Trennung von Kirche und Staat sei Hysterie, so Günther. Dies sei nicht möglich, da die Kirche die Bundesrepublik geprägt habe. Hier dürfe man „nicht päpstlicher sein als der Papst.“

Religion sei Privatsache, aber Kirche viel mehr als eine Institution, so der Ministerpräsident, der sich wünscht, dass diese „stärker und beseelter“ auf die Menschen zugehe. Kirche schuldete der Welt nicht die theologische Auseinandersetzung, sondern die Überwindung von Not und Elend.

Feridun Zaimoglu: „Kirche muss weg vom Dogma – hin zu den Wurzeln“

Während Günther und Ulrich die Rolle der Ökumene im zu Ende gegangenen Reformationsjahr betonten, goss Feridun Zaimoglu in diesem Punkt doch etwas Wasser in den (Mess-)Wein. „In einer norddeutschen Kleinstadt – also in einer protestantischen Bastion – da spricht man von Römlingen“, berichtete der Schriftsteller. Mit den Schimpfnamen von gestern zu hantieren, sei jedoch inzwischen ein Zeichen von Respekt. „Sie sind Christen, aber bleiben katholisch. Sie sind Christen, aber bleiben evangelisch – das hat mit den Ahnen, mit Tradition zu tun. Glaube ist Ernst, so der Muslim, der von sich selber sagt, er würde „an den schönen Gott“ glauben. Die Welt sei ohne Religionen nicht friedlicher, aber ohne die vielen Theologen, die Religion interpretieren. Glaube, so Zaimoglu,  müsse die Frage beantworten: Wer bin ich? Kirche müsse weg vom Dogma hin zu den Wurzeln, zeigte sich der Schriftsteller überzeugt und betonte immer wieder die Bedeutung von Tradition, der Ahnen und des Wertes von Kultur. Das Gläubige sich in gesellschaftliche Debatten einbringen, ist für den Schriftsteller selbstverständlich, schließlich hat auch er sich in der Volksinitiative für den Gottesbezug engagiert. „Selbstverständlich habe ich dafür unterschrieben. Ich glaube an Gott, also was soll daran falsch sein?“ fragte Zaimoglu.

Landesbischof Ulrich
Landesbischof Ulrich: "Eine unpolitische Kirche gibt es nicht."© Marcus Dewanger/shz

Luther nicht als Held, sondern als Kind seiner Zeit gezeigt

Und was bleibt vom Lutherjahr? Eine starke Bild-Wort-Marke und eine ausverkaufte Playmobil-Figur. „Zum Glück ist Luther keine zehn Euro wert“, sagte Daniel Günther und erklärte: „deshalb durfte ich ihn als Geschenk annehmen.“ Das Reformationsjubiläum habe Luther nicht als Held, sondern als Kind seiner Zeit und seiner Teufelsängste gezeigt, ergänzt Ulrich, dem wichtig war, dass die Figur nicht auf einen Sockel gestellt wurde.. Entscheidend sei auch gewesen, die unsäglichen Aussagen Luthers über Bauernkrieg und Juden einzuordnen. Und: Die Reformation sei nicht nur Luther gewesen, sondern viele andere mehr. Johannes Bugenhagen habe den Norden deutlich entscheidender geprägt.

Soziale Gerechtigkeit zentrale Botschaft für die Kirche

Noch wichtiger war die Frage, wo heute Reformation nötig sei. Landesbischof Ulrich überraschte da mit dem Begriff „Nächstenliebe“: „Uns ist vielfach der Blick für den Nächsten verlorengegangen“, so der Theologe und ergänzte: „Der Blick für die Vielfalt.“ Viele würden heute für ein christliches Abendland marschieren, das es nie gegeben habe. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinander, deshalb sei für die Kirche soziale Gerechtigkeit eine zentrale Botschaft.

Feridun Zaimoglu sieht eher den Umgang mit Erinnerung, mit Kultur, der sich wieder ändern müsse. „Schrift ist Gedächtnis“, so der Autor, der mahnte, es sei schwer, etwas Zerstörtes wiederherzustellen. „Es ist ein Kunststück, die stillen Orte, an denen man nicht rumgrölt, zu bewahren.“ Solche Orte des Gedächtnisses seien nicht die Kirchen, sondern Bibliotheken oder Buchhandlungen. „Drauflos lärmen oder labern“ könne jeder, geißelte Zaimoglu die lauten Töne der Rechtspopulisten.

Daniel Günther: „Ein Meister ist genauso wichtig wie ein Master“

Den politischen Diskurs, in dem man sich vom rechten Rand eine Sprache der Konfrontation habe aufdrängen lassen, sieht auch Daniel Günther als reformbedürftig an. Noch mehr jedoch will der Regierungschef das Bild vom sozialen Aufstieg verändern. Jahrelang habe man mit „Ach, du bist ja nur…“ ein gefährliches Bild von Handwerks- und Lehrberufen gezeichnet. Ein Meister sei aber genauso wichtig wie ein Master, erklärte Günther mit Blick auf den Fachkräftemangel.

75 Minuten dauerte der höchst unterhaltsame Abend in der Christkirche. Für Daniel Günther war es der letzte offizielle Termin des Jahres, für Bischof Ulrich der erste von vielen in den nächsten Tagen. Für Feridun Zaimoglu war es der Abschluss einer langen Lesereise, aber für alle Anwesenden war der Abend eine Ermutigung, sich mehr einzumischen. Und das hätte ganz sicher auch den Reformator beglückt.

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