Wir brauchen wieder weit geöffnete Türen für ein friedliches Miteinander
03. Oktober 2019
Predigt zum Tag der Deutschen Einheit im Ökumenischen Gottesdienst, der live in der ARD übertragen wurde
Es gilt das gesprochene Wort!
Die Gnade Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Gottes Kraft erneuert. Ja – Erneuerung lag in der Luft, als vor 29 Jahren zum ersten Mal der Tag der Deutschen Einheit gefeiert wurde. Er bestimmte die Hoffnungen und Zukunftsvorstellungen so vieler Menschen in unserem Land. Gut, dass wir in diesem Gottesdienst und an diesem Festtag daran denken. Und gut, dass wir auch die Wünsche nach Erneuerung aufnehmen, die heute in der Luft liegen.
„Damals ist der Himmel ein Stück aufgegangen “ – so schildert eine Frau aus Schwerin die Zeit vor 30 Jahren. Die Zeit der Friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR. Zusammen mit vielen anderen hat diese Frau auf Gottes Verheißung vertraut, die uns auch in diesem Gottesdienst begegnet: Von einem Land, in dem es mehr als genug für alle gibt. Einem Land, in das Gott die Menschen aus Abhängigkeit und Unfreiheit führt - in die Freiheit seiner lebensdienlichen Ordnung. Diese Verheißung hat Menschen vor 30 Jahren Mut gemacht, ihnen Hoffnung und Kraft geschenkt. In einem Friedensgebet hieß es damals:
„In den Abendstunden dieser Stadt
wie in tausend Städten anderswo
beten, singen, lieben, erwachen Menschen
gehen Menschen
durch Gottes offene Türen
in vorher unbekannte Freiheit.“
Menschen gehen in vorher unbekannte Freiheit. Aber nicht, ohne sich diese Freiheit unter hohem persönlichen Einsatz erobert und erkämpft zu haben. Friedlich - entschieden - klar. Ich bin allen von Herzen dankbar, die sich vor 30 Jahren und auch Jahre und Jahrzehnte davor, nicht schrecken ließen von Staatsmacht und Willkür. Die sich nicht klein machen ließen durch Bespitzelung und Zersetzung. Die sich nicht beirren ließen durch Spott und Hohn – auch nicht beirren ließen in ihrem Glauben, in ihrem Gottvertrauen. Die sich auf Straßen, Plätzen und in Kirchen versammelten, um aufzubrechen in eine noch unbekannte Freiheit. Und die andere dabei mitgenommen haben. Diesen Frauen und Männern, diesen Jugendlichen, Schülerinnen und Schülern gilt auch heute unser Dank, unser Respekt, unsere Anerkennung.
Viele von ihnen setzen sich auch heute ein für Menschen, die aus Ländern mit Gewalt und Diktaturherrschaft zu uns fliehen und setzen sich ein für Demokratie und Toleranz, für ein friedliches und vielfältiges Miteinander in unserem Land. Was wären wir, was wäre unser Land ohne sie!
Gottes Kraft erneuert. Wer diese Kraft spürt, geht mutig neue Wege. Auch die Kirchengemeinden, die damals vor 30 Jahren ihre Türen öffneten, haben das getan. Und wurden so Erprobungsräume für Freiheit und Demokratie. Mit Friedensgebeten, offenen Mikrofonen und runden Tischen. Erprobungsräume für Freiheit inmitten von Unfreiheit – für Christen ebenso wie für Nicht-Christen. Erprobungsräume für Demokratie in Diskussionen der Friedens- und Umweltgruppen.
Vor 30 Jahren wurde dabei deutlich, was bleibend wichtig ist für unser Zusammenleben: Sich stark machen für das, was nicht nur Einzelnen, sondern dem Zusammenleben und der Zukunft aller dient - Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Bewahrung der Schöpfung.
Dabei, so erinnert uns die Bibel, soll unser Herz nicht hochmütig werden. Sondern wir sollen wissen, wem wir alles Leben auf dieser Erde verdanken. Wir sollen – endlich - verstehen, wie wir Gottes Schöpfung nicht beherrschen und ausbeuten, sondern bewahren und behüten. Dafür brauchen wir auch heute wieder weit geöffnete Türen. In Kirchengemeinden und an anderen Orten. Türen, die weit geöffnet sind zu Räumen, in denen nicht die Freiheit von, sondern die Freiheit für erprobt und gelebt wird: Für ein nachhaltiges Leben in Einklang mit Gottes guter Schöpfung.
Heute sind wir dankbar für die vor 30 Jahren erkämpfte und eroberte, für die seit damals gemeinsam gestaltete Einheit. Eine Einheit in Vielfalt. Ja, Gottes Kraft erneuert. Auch heute. Auch uns.
Amen.