24. Dezember 2022 | St Petri-Dom zu Schleswig um 18.00 Uhr

Wir haben die Freiheit, uns für den Frieden einzusetzen.

25. Dezember 2022

Predigt von Bischof Magaard in der Christvesper am Heiligen Abend

Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging.“ Es gibt wohl kaum eine Geschichte, die uns so verlässlich ein Leben lang begleitet.  Mit den ersten Zeilen fächert sich innerlich schon die ganze Trostgeschichte auf. Und staunend stehen wir davor und halten inne und singen gemeinsam, wie geradeeben:

„Ich sehe dich mit Freunden an und kann mich nicht sattsehen. Und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wäre und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen!“

Jedes Jahr wieder hören wir diese altvertrauten Worte. Und jedes Jahr hören wir sie neu mit dem, was uns aktuell bewegt.

In diesem Jahr fällt mir auf, dass die Geschichte mit einer unerhörten Machtdemonstration beginnt. Kaiser Augustus ordnet eine Volkszählung an. Er will sich mit der Zahl seiner Untertanen versichern. Für welchen Zweck auch immer: ob es um Soldaten geht, die er braucht, oder um bessere Steuereinnahmen oder um Dominanz der Besatzer zu beweisen. Alle Menschen müssen sich dem Gebot des Gezählt-Werdens beugen. Ohne Rücksicht auf persönliche Umstände.  

Die Geschichte von der Heiligen Nacht wird vor der Frage erzählt:

Haben die Mächtigen, die alle Welt in Bewegung setzen und dabei in Angst und Schrecken versetzen, das Sagen?

Oder der Gott, der sich am Rande des römischen Imperiums in dem himmlischen Kind in diese Welt hineinbegibt? Der sich der Unsicherheit und der Dunkelheit dieser Welt aussetzt. Der sich als kleines Kind zeigt, um den Schwachen, den Vernachlässigten, den Gefährdeten nahe zu sein.

Das Wirken des kaiserlichen Machtzentrums bildet den Rahmen und Ausgangspunkt dieser Geburtsgeschichte. Doch die Zeit erfüllt sich ganz woanders: nämlich dort, wo kein Raum in der Herberge ist.

Den Anfang der Geschichte – die Volkszählung, die Herbergssuche, die Geburt – erzählt der Evangelist Lukas recht nüchtern. Zu leuchten beginnt die Geschichte erst als Lukas die Leser in die Dunkelheit an den Rand der Welt führt:

Zu „den Hirten“. Nicht zufällig bleiben diese Menschen namenlos. Gesellschaftlich sind sie eher unbedeutend. Zudem sind die Hirten mit ihren Familien besonderen Gefährdungen ausgesetzt zu sein: Im Freien, auf dem Feld, abseits der Orte. Besonders nachts in der Dunkelheit.

Die Menschen am Rande der Welt teilten eine tiefe Sehnsucht. Sie hofften auf eine Welt ohne Gewalt und Unterdrückung, ohne Dunkelheit und Fremdbestimmung.

In dieser Heiligen Nacht kommt ein Engel. Eine strahlende Lichterscheinung! Ihnen, den Namenlosen, öffnet sich der Himmel. Das ist so überwältigend, dass sie Angst bekommen.

Der Engel aber beruhigt sie: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

Für die Hirten kaum zu glauben: Hier im Nirgendwo soll der Himmel aufgehen und das Dunkel mit Licht erleuchten. Und sie hören die Stimmen vieler Engel rufen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.

Schnell  entscheiden sich die Hirten aufzubrechen. Sie lassen alles stehen und liegen und eilen zum Stall. Dort angekommen kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus:

„Ich sehe dich mit Freunden an und kann mich nicht sattsehen. Und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wäre und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen!“

Das Kind in der Krippe und der leuchtende Stern ist ihnen Trost und Freude zugleich.  

Für uns am Heiligen Abend ist der Wunsch nach Frieden besonders dringlich. Gewalt, Zerstörung und unsägliches Leid verdunkeln die Hoffnung auf eine Welt, in der Menschen friedlich miteinander leben.   

Zugleich hören wir heute: Der Frieden beginnt nicht im Zentrum der Macht, sondern an einem entlegenen Ort. Das göttliche Kind kommt in einem Stall zur Welt. Inmitten der Unterdrückung heißt es: Ehre sei Gott in der Höhe. Inmitten der Gewalt hören wir: Friede auf Erden.

Menschen lassen sich aus dem Dunkeln in das Licht ziehen. Sie lassen sich aufrichten und bewegen. Getröstet  finden sie Mut und Zuversicht. Erfüllt von der Verheißung gewinnen sie neue Kraft.

Die Weihnachtsgeschichte ist eine Protestgeschichte: Gegen Gewalt und Tod und für das Leben. In dem Kind in der Krippe zeigt sich die Liebe Gottes erneut. Sie entfacht ein großes Licht. Und stellt der Unterdrückung den Frieden entgegen.

Frieden wächst mit den Menschen, die sich von dieser Botschaft und ihrer Verheißung bewegen lassen - aller Krisen zum Trotz -  und die selbst zu Hoffnungsmenschen für den Frieden werden. Friede auf Erden wird allem Unfrieden zum Trotz gelebt, wenn sich Menschen aufmerksam und zugewandt begegnen.

Der Soziologe Hartmut Rosa hat kürzlich in einem Vortrag formuliert, dass unsere Gesellschaft, die Demokratie eines hörenden Herzens bedürfe. Ein solches hörendes Herz falle aber nicht vom Himmel. In einer Agressionsgesellschaft sei diese Haltung besonders schwer einzunehmen. Insbesondere die Kirchen verfügten über Erzählungen, Riten und Praxis, in denen ein hörendes Herz eingeübt und vielleicht auch erfahren werden könne. Soweit Hartmut Rosa.

Hörende Herzen erfahren wir vielleicht besonders in diesen Weihnachtstagen, an denen wir uns beschenken, das Miteinander stärken und auch diejenigen bedenken, die auf menschliche und materielle Zuwendung angewiesen sind. Hörende Herzen habe ich aber auch durch das Jahr wahrgenommen:    

Diejenigen, die in diesem Jahr Geflüchtete aus den Kriegsgebieten bei sich aufgenommen haben, sind Botschafter des Friedens geworden. Auch die Vielen, die  Geld gespendet haben oder mit Lastwagen voller Sachspenden Richtung Ukraine gefahren sind. An vielen Orten wurde um Frieden gebetet und viele Menschen wurden seelsorgerlich begleitet.

Auch Hanna aus Odessa soll heute zu Wort kommen, sie lebt seit ihrer Flucht in Berlin. Sie schreibt darüber, wie sehr sie ihre Lieben in der Ukraine vermisst und von Ihrer Tochter und von Weihnachten. Und schließlich diese Zeilen*:

„Wir hatten mehr Glück als Maria und Josef, wir haben eine Herberge gefunden, Wärme und Zuwendung. Andere sitzen in Bahnhöfen, Kellerlöchern oder Erdgruben. Wir und unsere Kinder werden unser Leben lang geprägt sein vom Krieg.

Und wir werden das Gefühl von Dankbarkeit ein Leben lang im Herzen tragen. Ich wünsche uns allen Gesundheit und Frieden.“

Botschafter des Friedens sind auch diejenigen, die sich Tag für Tag für Menschen einsetzen, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. An den Ausgabestellen der Tafeln, in der Nachbarschaft und in den Beratungsstellen.

Auch diejenigen, die in Politik und Gesellschaft sich gerade für diese Menschen einsetzen. Jede Form der Solidarität ist ein Zeichen der Hoffnung. Sie wärmt uns in der Kälte und Dunkelheit.  

Wir erfahren, wie Friede auf Erden an den entlegensten Orten ein Gesicht bekommen kann und die Hoffnung auf eine friedliche Welt neu auflebt.

Friede auf Erden – die weihnachtliche Verheißung gibt Zuversicht und Mut. Sie hilft, nicht müde zu werden und für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten.

So können wir Weihnachten feiern und uns bewegen lassen. Gott zeigt sich uns in einem kleinen verletzlichen Kind. Gott will auch uns nahe sein – in unserer Erschöpfung und Sehnsucht und Verunsicherung.

Und wir werden aufmerksam für Menschen, die verletzlich, arm oder einsam sind: bei uns, in der Ukraine und den anderen Krisenregionen der Welt.

Wir haben die Freiheit, uns für den Frieden einzusetzen.

Amen.

 

*Zitat aus: Die Kirche, Ev. Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz, Ausgabe 51/1 vom 25. 12.2022.

 

Datum
25.12.2022
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