22. April 2018 | Wichernsaal in Züssow

Wir lassen den Mut nicht sinken

22. April 2018 von Hans-Jürgen Abromeit

Jubilate, Jahrestreffen der Züllchower-Züssower Diakonen- und Diakoninnengemeinschaft, Predigt zu 2. Kor. 4, 14. 16 – 18

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

14 Wir wissen ja:
Gott hat Jesus, den Herrn, auferweckt.
Er wird auch uns gemeinsam mit Jesus auferwecken
und zusammen mit euch vor sich treten lassen.
16 Das ist der Grund, weshalb wir den Mut nicht sinken lassen.
Unsere menschlichen Kräfte werden zwar aufgezehrt.
Aber innerlich bekommen wir Tag für Tag neue Kraft.
17 Denn die Not, die wir gegenwärtig leiden, wiegt leicht.
Doch sie bringt uns eine Fülle an Herrlichkeit,
die jedes Maß übersteigt und kein Ende hat.
18 Wir dürfen unseren Blick allerdings
nicht nur auf das Sichtbare richten,
sondern auf das Unsichtbare.
Denn das Sichtbare ist vergänglich,
das Unsichtbare dagegen ist unvergänglich.
(2. Kor 4,14.16-18 Basisbibel)

 

Liebe Gemeinde!

Heute feiern wir einen richtigen Mutmachgottesdienst. Die Bläser mit ihrer frischen Musik erfreuen unser Herz. Gleichzeitig führen wir anlässlich des Jahrestreffens der Züllchower-Züssower Diakonen- und Diakoninnengemeinschaft den neuen Pfarrer der Diakonengemeinschaft, Pastor Dr. Ulf Harder, ein. Als Züssower Gemeindepfarrer wird er diesen Dienst zusätzlich ehrenamtlich wahrnehmen. Das macht doch Mut, dass wir gemeinsam auf dem Weg sind.

„Wir lassen den Mut nicht sinken.“ Das ist das Motto, dass uns Paulus mit diesem Bibelabschnitt mit auf den Weg gibt. „Wir lassen den Mut nicht sinken.“ Gründe, den Mut sinken zu lassen, gibt es ja genug. Unser Land erlebt eine tiefe Spaltung. Menschen, die früher für eine gemeinsame Sache einstanden, verstehen sich nicht mehr. Die Flüchtlingspolitik entzweit Menschen. Die Schere zwischen arm und reich, politisch gemäßigt und politisch extrem, wächst. Auch Sie hätten Grund, den Mut sinken zu lassen: Christliche Arbeits- und Lebensgemeinschaften wie Orden, Diakonissen oder Diakonengemeinschaften haben seit Jahrzehnten massive Nachwuchsprobleme. Es finden sich kaum noch junge Leute, die ihr Leben auf diese Weise ganz in den Dienst des Evangeliums stellen wollen. Daneben gibt es ja auch immer noch die ganz eigenen kleinen und großen Krisen, die jeder von uns so hat. Gründe den Mut sinken zu lassen gibt es genug.

Doch was sind die Gründe, den Mut nicht sinken zu lassen? Da verliert jemand das Augenlicht. Ist das nicht furchtbar? Der junge Mann möchte am Leben verzweifeln. Da entdeckt ein Musiker, dass genau dieser Blinde wunderbar singen kann. Er hat ein außerordentliches musikalisches Empfinden und eine schöne Stimme. Sein Zugang zu unserer Wirklichkeit ist ein anderer. Aber es ist einmalig. So wie ein Sehender die Welt durch das Auge wahrnimmt, so nimmt er die Welt durch das Ohr wahr. Ein anderer Zugang, aber zur gleichen Welt. So verzaubert dieser blinde Sänger nun die Welt um ihn herum, wenn er singt. Er kann so fein singen, weil er anders und intensiver hört. Manchmal kann man mit dem einen Sinn etwas wahrnehmen, was dem anderen verborgen bleibt. Die Welt als Schöpfung Gottes bietet uns mitunter auf die eine Weise einen Zugang, die wir auf eine andere nicht haben.

Als junger Mensch hatte ich die wunderbare Möglichkeit, einen Teil meiner Ausbildung, meines Vikariates, in Jerusalem zu verbringen. Mehrfach nutzte ich von dort aus die Gelegenheit, freie Tage im Sinai, am Ufer des Roten Meeres zu verbringen. Das war nicht nur ein einmaliges Urlaubserlebnis, sondern auch eine Lektion über unsere immer beschränkte Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Das schönste Erlebnis für mich war, wenn ich Gelegenheit hatte, am Ufer des Roten Meeres bei den Korallenriffen zu schnorcheln. Stehen Sie am Ufer, vielleicht nur wenige Meter neben dem Riff, sehen Sie nichts von der Welt, die so ein Korallenriff in sich birgt. Aber schon 40 cm unter der Wasseroberfläche entfaltet sich eine Meeresflora und Fauna, die ihres gleichen sucht. Die originellsten Korallen, die farbigsten Fische, die überraschendsten Formen von Tier- und Unterwasserpflanzenwelt befinden sich in aller Regel ganz nah am Ufer. Sie können allerdings vom Strand aus wirklich nichts davon erkennen. Erst, wenn Sie Ihren Kopf unter die Wasseroberfläche stecken, tut sich Ihnen eine neue Welt auf. Dieses Schnorcheln in den Korallenriffen des Roten Meeres muss man einmal erlebt haben, um einschätzen zu können, dass wir manche Schönheit mit unserem Auge gar nicht wahrnehmen können. Wir brauchen Hilfsmittel: Eine Taucherbrille und einen Schnorchel. Und auf einmal tut sich uns eine andere Welt auf. Die vorhandene, aber außerhalb des Wassers mit unseren Organen nicht wahrnehmbare herrliche Unterwasserwelt der Korallenriffe ist für mich ein Bild geworden. Sie weist mich auf die Fülle der Herrlichkeit der Wirklichkeit Gottes hin, die jedes Maß überschreitet. Sie ist vorhanden, auch wenn wir sie mit unseren natürlichen Augen nicht sehen. Als Christen leben wir aus der Kraft dieser unsichtbaren Herrlichkeit Gottes. Immer wieder tauchen wir im Glauben ein in Gottes herrliche Welt. So werden wir innerlich Tag für Tag erneuert. Und darum lassen wir den Mut nicht sinken.

Vor Jahren habe ich am gleichen Tag zwei Trauerbesuche bei Gemeindegliedern machen müssen. Der eine Mensch war in Gott gestorben. Ich traf auf eine getröstete Trauergemeinde. Zwar waren die Hinterbliebenen auch von dem Verlust gezeichnet, aber weil sie selbst einen Halt in ihrem Leben hatten und vom Trost im Leben des Verstorbenen wussten, waren sie nicht mutlos.

Von dem anderen Verstorbenen sagten die Angehörigen: „Er war nicht gegen Gott oder die Kirche.“ Aber offensichtlich tröstete der Glaube an Gott in dieser Familie niemanden. Die Angehörigen saßen bei meinem Besuch desorientiert und traurig beieinander. Keiner wusste so recht, wie man sich nach dem Tod des Großvaters verhalten sollte. So bekam ich an einem Tag eine Lektion, was es heißt, wenn jemand in Gott stirbt oder wenn jemand ohne Gott als Realität in seinem Leben gelebt hat. Wer auf Gott vertraut, braucht auch angesichts des Todes und des Sterbens nicht mutlos zu werden.

Was angesichts des Todes gilt, das gilt aber auch angesichts des Lebens. Das Leben ist manchmal nicht leicht. Da ist es schwer, den Mut nicht sinken zu lassen. Auch in unserer Kirche spüre ich an manchen Ecken Mutlosigkeit und Frust. Ich erlebe, wie sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mühen, wie Pfarrerinnen und Pfarrer versuchen, mit ihren Gemeinden Gemeindeaufbau zu leisten, aber es lassen sich wenig Jugendliche konfirmieren, die Zahl der Taufen stagniert auf einem niedrigen Niveau und viele haben die Region verlassen – gerade hoffnungsvolle junge Familien. Vorpommern gehört immer noch, viele Jahre nach der friedlichen Revolution, zu den ärmsten Regionen Deutschlands. Die Arbeitslosigkeit ist zwar in den letzten Jahren zurückgegangen, doch im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland ist sie immer noch hoch. Viele haben deswegen den Mut verloren. Sie haben kein Ziel mehr, keine Perspektive. Sie wissen nicht, wofür es sich zu kämpfen lohnt und resignieren darum. Manche suchen Anschluss an Parteien, die extreme Ideen haben, aber auch keinen besseren Weg in die Zukunft wissen.

„Wir lassen den Mut nicht sinken.“ Das gilt darum gerade angesichts einer Welt, in der es Leiden gibt. Hier hilft die Unterscheidung des Apostel Paulus zwischen dem äußeren Menschen, der zerfällt, und dem inneren, der von Tag zu Tag erneuert wird. Leid und Enttäuschungserfahrungen helfen, innerlich zu wachsen. Ich bin immer wieder berührt, wenn ich in unseren diakonischen Einrichtungen Menschen mit Beeinträchtigungen begegne. Ich treffe Männer und Frauen, die trotz schwieriger Bedingungen und Einschränkungen an Körper und Seele ein ganz normales Leben führen, obwohl für sie der Alltag ein Kraftakt ist. Ich bin dankbar für diese Begegnungen, denn diese Lebensbilder erzählen uns etwas von der unbändigen Kraft des Lebens. Es geht um die Chance der Veränderung des scheinbar Unveränderlichen. Die Kraft des Zerbrechlichen und des Zerbrochenen ist für mich ein österliches Bild für das Gottesgeschenk des Lebens.

Wie das geht, zeigt eine kleine Geschichte: Ein Mensch konnte nichts Schönes und Gesundes sehen. Als er in einer Oase einen jungen Palmbaum in bestem Wuchs fand, nahm er einen schweren Stein und legte ihn der jungen Palme Mitten in die Krone. Mit einem Lachen ging er weiter. Aber die Palme versuchte, die Last abzuwerfen. Sie schüttelte und bog sich. Vergebens. Sie krallte sich tiefer in den Boden, bis ihre Wurzeln verborgene Wasseradern erreichten. Diese Kraft aus der Tiefe und die Sonnenglut aus der Höhe machten sie zu einer königlichen Palme, die auch den Stein hochstemmen konnte. Nach Jahren kam der Mann wieder, um sich an dem Krüppelbaum zu erfreuen. Da senkte die kräftigste Palme ihre Krone, zeigte den Stein und sagte: „Ich muss dir danken. Deine Last hat mich stark gemacht!“

Äußere Widerständekönnen uns helfen im Leben stark zu werden. An ihnen wachsen wir. Wer mutlos ist, der braucht wieder ein Ziel vor Augen. Er braucht wieder etwas, wofür es sich im Leben zu kämpfen lohnt. Das gilt einmal persönlich. Die meisten kennen Erfahrungen, die einen den Mut nehmen. Da brauchen wir persönlich etwas, das uns hilft. Etwas, warum es sich lohnt den Mut zu behalten. Äußere Widerstände können uns helfen, uns in Gott zu verwurzeln und aus den unsichtbaren Kräften zu leben.

Gegenwärtiges Leiden kann helfen, sich in den Kräften der Ewigkeit zu verwurzeln. Wer seinen Lebensweg in der Gemeinschaft mit Jesus Christus geht, bekommt Anteil an der gewichtigen Herrlichkeit des zukünftigen Lebens. Wir sind angefochten, aber wegen der Gemeinschaft mit Jesus Christus werden wir nicht mutlos. Das, was sichtbar ist, ist vergänglich. Die Karriere, die wir vielleicht mit unserem Beruf angestrebt haben, die Position, die wir erreicht haben, die Titel, mit denen man unseren Namen dekoriert – alles dies ist vergänglich. Die Häuser und die Wohnungen, die wir schmücken, sie alle haben einmal ihre Zeit gehabt.

Nur das, was unsichtbar ist, das bleibt ewig. Wir stehen mit unserem Leben vor der Entscheidungsfrage, ob wir oberflächliche Menschen oder Menschen mit Tiefgang sein wollen. Wer sich dafür entscheidet, sein Leben mit Jesus Christus zu führen, der stellt fest: Die Welt wird farbig, auch wenn wir das mit unseren natürlichen Augen gar nicht sehen. Denken sie an die Korallen, unter der Wasseroberfläche. In sein Leben tritt eine neue Dimension. Wer nur nach dem Sichtbaren strebt, bleibt oberflächlich und gewinnt keinen Tiefgang. So sind wir für uns gefragt, was wir aus unserem Leben machen. Die Frage richtet sich aber auch an uns, wohin wir erziehen wollen. Möchten wir, dass unsere Kinder oberflächliche Menschen sind oder Menschen mit Tiefgang? In der Bindung an Jesus Christus eröffnet sich unserem Leben eine Weite und Tiefe, die wir selber nicht herstellen können. Dadurch gewinnt unser Leben eine Ewigkeitsperspektive. Das hilft uns, nicht mutlos zu werden.

Ja, wir sehen auch: Es gibt wieder junge Leute, die ziehen bewusst aufs Land. Sie machen nicht mit bei „Deutschland sucht den Superstar“, sondern lassen sich von der inneren Wirklichkeit bestimmen und gehen auf dem Land oder in einer kleinen Stadt ihren eigenen Weg. Überall umgibt uns dieses Meer von Gottes unsichtbarer Wirklichkeit. Frische Bläsermusik schenkt Mut und Freude. Wir führen heute einen neuen Pfarrer der Züllchower-Züssower Diakonen- und Diakoninnengemeinschaft ein. Es geht weiter.

„Wir lassen den Mut nicht sinken.“ Warum? Weil wir im Glauben an Jesus Christus tiefer geschaut haben. Gottes Herrlichkeit ist unser Ziel, darum lassen wir den Mut nicht sinken.
Amen.

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