11. Mai 2019 | Dom zu Schwerin

Wir leben davon, gesehen zu werden

11. Mai 2019 von Andreas von Maltzahn

Gottesdienst zur Verabschiedung als Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern, Predigt zu Gen. 16,1-16

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

hier sind viele starke Frauen mit uns versammelt, mächtig viele. Ja, fühlen Sie sich ruhig angesprochen… Doch ich denke dabei auch an die Maria des Magnifikat; und an Sara und Hagar; und sogar an Mutter Kirche. Starke Frauen, die allesamt ringen – mit ihrer Bestimmung, manchmal auch miteinander und nicht zuletzt mit und um Gott. Im Lebensspiegel dieser Frauen frage ich nach unserem Weg.

Für Sara wuchs der Druck ins Unerträgliche: Gott hatte Abraham und ihr einen Sohn verheißen. Doch für die beiden war das in ihrem Alter kaum noch denkbar. Saras Vertrauen in Gottes Versprechen war geschwunden. So nahm sie die Dinge entschlossen selbst in die Hand. Ihre Sklavin sollte für sie gebären. Abraham und Hagar – ob sie wollten  oder nicht – spielten mit.

Auch für uns als Kirche kann das zu einer Frage werden: Wo verlieren wir das Zutrauen zu Gottes Verheißung und nehmen die Dinge kurzerhand selbst in Regie? Auf dem Weg zur Gründung der Nordkirche war das in Pommern und Mecklenburg durchaus ein Thema: Wird die Fusion mit dem starken Nordelbien nicht dazu führen, dass wir uns innerlich zurücklehnen und beruhigt weitermachen wie bisher? Sollten wir in den religiösen Erosionen unserer Zeit nicht vielmehr alle vermeintlichen Sicherheiten fahren lassen, um allein im Vertrauen auf Gott aufzubrechen – hin zu den Menschen, die Gott am Herzen liegen, und uns in der Begegnung mit ihnen verwandeln lassen?

Ich bin überzeugt: Das eine schließt das andere nicht zwingend aus. Doch es bleibt eine tägliche Herausforderung, sich nicht zurückzulehnen, sich nicht mit dem Status quo zu begnügen! Sondern bereit zu sein für den Aufbruch, den Gott von uns erwartet! Sich nicht in Selbsterhaltung der Institution zu erschöpfen, sondern mutig neue Wege zu riskieren – mit nichts im Gepäck als Gottes Sehnen und unserem Vertrauen in seine Verheißungen…

Aber nun Hagar. Fremdbestimmt ihr Leben lang, bekam sie auf einmal Oberwasser: Schwanger von Abraham! Erfüllerin seiner Träume! Nicht mehr bloß Sklavin, sondern seine Frau. Hagar sah auf Sara herab. Und die zahlte es ihr heim mit Zinseszins – bis Hagar es nicht mehr aushielt und floh. Egal wohin! Nur weg von hier! So gelangte sie in die Wüste.

Fremdbestimmt können auch wir uns fühlen. Wenn man gelebt wird, anstatt zu leben, da wachsen Fluchtgedanken, wünscht man sich manchmal fort, nur fort in einfachere Verhältnisse…

Hagar in der Wüste – dem lebensfeindlichen Ort schlechthin, in der Bibel aber auch Ort der Gottesbegegnung:

Hier, wo das Allerlei der alltäglichen Sorgen und Freuden einem existentiellen ‚Entweder - Oder‘ weicht, wo der Glaube zu Tode kommt oder zu neuer Lebendigkeit erwacht, wo Grenzerfahrungen warten, aber auch ein Sternenzelt, sichtbar wie nirgends sonst – hier bahnt sich Entscheidendes an.
Solche ‚Wüste‘ nicht zu fliehen – darauf kommt es an.

Hagar gelangt an diesen Ort, weil sie nicht aushalten kann und sich nicht abfinden will mit dem, was ist. Da in der Wüste findet sie eine Quelle. Unverhofft spricht ein Bote Gottes sie an. Hagar kann kaum glauben, was sie zu hören bekommt:

‚Zurückgehen unter die harte Hand Saras!?
Zahllose Nachkommen? Ausgerechnet ich, die so am Ende ist!?
Einen streitbaren, nicht zu bändigenden Sohn soll ich gebären, Ismael – weil Gott mich in meinemElend gehört hat!?‘
Zumutung und Verheißung, Glaube und Unglaube wirbeln durch Hagars Kopf. Was für ein Gott ist das, der mich solche Wege führt? Der mich zurückstößt ins Elend und – so! – mich da herausholt? Kann ich das tragen? Wie wird das mit meinem Sohn? 

Am Ende ist Hagar dies eine klar: „Gott schaut auf mich.“ Das hat sie erlebt. ‚Ihn‘ hat sie erlebt! Die ewig Übersehene weiß sich gesehen. Die Frau ohne Aussicht trägt nun eine Verheißung, eine Aufgabe, die allen Einsatz lohnt – das ungeborene Leben in sich, die Geschlechter, die daraus erwachsen sollen. Zwar muss sie zurück in die Situation, aus der sie geflohen war; aber sie und ihr Sohn haben Zukunft. Hagar bricht auf als Veränderte: „Gott schaut auf mich.Ich bin ihm nicht gleichgültig.“ Das kann ihr niemand mehr nehmen. „Er schaut auf mich.“ Das ist ihr Name für Gott.

Was liegt nicht alles in diesem ‚Gesehen-Werden‘:
Zuneigung, die uns aufleben lässt und Schaffenskraft weckt!
Weite, die einer Privatisierung Gottes wehrt! Und schließlich:
Auftrag, der uns des Sinns unseres Daseins gewiss macht!

Wir leben davon, gesehen zu werden. Wir verkümmern, wo wir herausfallen aus dem Blick der Liebe. Da können wir kämpfen um unser Ansehen, wie wir wollen – es wird vergebens sein. Erkennt uns aber jemand als unverwechselbar und einzigartig, spüren wir unsere Würde. Fühlen wir uns von Menschen und erst recht von Gott wahrgenommen in dem, was uns bewegt und ausmacht, dann leben wir auf und können wunderbar lebendig und schöpferisch sein. 

Spuren dieser Lebendigkeit und Kreativität sind mir in den Jahren meines Dienstes als Bischof zahlreich begegnet:

Da werden unsere vielen Kirchen nicht nur sorgfältig restauriert, sondern zunehmend auch als Festräume der Bürgergemeinde angenommen: Konzerte berühren. Filmerlebnisse in der Reihe ‚Starke Stücke‘ regen tiefgehende Gespräche an.

Die Landschaft unserer Gottesdienste wird bunter – in unsern herkömmlichen Sonntagsgottesdiensten ebenso wie in neuen Formaten, etwa Segnungsgottesdiensten für Kranke oder einem Traktorengottesdienst mit anschließendem Rockkonzert im Pfarrgarten…

Mit Hingabe und Phantasie leben und arbeiten Mitarbeitende in diakonischen Einrichtungen mit denen, die ihnen anvertraut sind. Wer einmal ein Fest in Rampe im Kreis von Menschen mit Behinderungen mitgefeiert hat, weiß, was Lebensfreude heißen kann…

Da bauten in Sanitz Wandergesellen, Geflüchtete und Einheimische gemeinsam einen großzügigen Kinderspielplatz – heute beliebter Treffpunkt junger Familien, egal, ob sie zur Kirchengemeinde gehören oder nicht…

Als die Auseinandersetzungen um Flüchtlinge hochkochten, kamen Angehörige der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin mit der Idee auf mich zu, ein „Konzert der Religionen“ zu geben. In kürzester Zeit gelangen die Vorbereitungen. Die Religionsführer Deutschlands sandten Grußbotschaften. Shadi Almoghrabi, aus Syrien geflüchtet, war einer der Solisten. Ein einzigartiges Konzert – nicht nur der Musik wegen…

Ich freue mich über das Engagement von Lehrkräften und Eltern an Schulen in evangelischer Trägerschaft, aber auch über den Einsatz von Mitarbeitenden in der schulkooperativen oder gemeindepädagogischen Arbeit – denn Kinder und Heranwachsende erleben: „Ich bin wichtig. Ich werde gesehen.“ Genauso in der kirchenmusikalischen Arbeit in reicher Vielfalt zu erfahren…

Dankbar bin ich auch für den Dienst der Mitarbeitenden in der Verwaltung, der für gute Rahmenbedingungen solcher Arbeit sorgt – auch im Jahr des Reformationsjubiläums: Welch Ideenreichtum war da zu erleben – von ‚Pyro-Grace‘, dem ‚Feuerwerk der Gnade‘ in Stavenhagen, bis hin zu vielen Theaterstücken und Musicals. Für mich unvergesslich: Ein Heimatforscher erklärt bei der Eröffnung der örtlichen Reformationsausstellung begeistert in eigenen Worten die Rechtfertigung aus Glauben. Heute ist er wieder Mitglied unserer Kirche.

Von Gott gesehen sein – welche Weite damit verbunden ist, haben wir gerade auch beim Reformationsjubiläum erfahren: Gott ist auch Gott der Anderen! Seine Verheißung gilt Verschiedenen – und das macht sie zu Schwestern und Brüdern. Das konnten wir beim ökumenischen Pfingstgottesdienst auf dem Schweriner Markt erleben und dabei spüren, wie vieles uns verbindet.

Nein, Gott ist alles andere als ein Privatbesitz. Gott ist auch Gott der Anderen. So erlebten  es schon Ismael und Isaak, der spätgeborene Sohn Abrahams und Saras. Gottes Verheißungen galten beiden, auf je eigene Weise. Das ging nicht ohne Spannungen ab. Aber Gottes Herz ist groß genug für die Menschen aller Konfessionen und Religionen. Lasst uns diese Weite zur Richtschnur und Ermutigung für unser Denken und Handeln nehmen!      

„Gott schaut auf uns: Ein gutes Gefühl, gesehen zu werden mit Zuneigung und Herzensweite! Zugleich klingt darin Beauftragung an: ‚Auf dich wird geschaut – auf dich kommt es an.‘ In welche Verantwortung sind wir gerufen?

Für Christenmenschen heißt die Antwort: Christusträger zu sein, den Christus als Erlöser zu bezeugen – und das meint auch: Gottes Zuneigung zu uns Menschen durch uns zur Welt kommen zu lassen, für Gottes Verlangen nach Gerechtigkeit einzustehen:

Achtsam zu sein für jene, die sich von niemandem gesehen fühlen: Menschen, die ihre Armut verschämt verbergen; oder Menschen, die es ungeheure Kraft kostet, überhaupt weiter zu leben – und sie werden immer mehr… Sie brauchen unsere Nähe und auch professionelle Begleitung. Hier dürfen wir nicht sparen – weder als Kirche noch als politisch Verantwortliche.

„Gott schaut auf uns.“ Auf uns kommt es an – auch im Blick auf die kommenden Generationen: Es muss uns wachrütteln, dass Schülerinnen und Schüler auf die Straße gehen und – gut zu Haus in wissenschaftlicher Expertise – von uns Erwachsenen fordern, dass wir endlich ernst machen mit der Energiewende, einem anderen Lebensstil! Es ist höchste Zeit, sich mit aller Kraft der Gefahr entgegenzustellen – in der Politik, als Kirchen, persönlich! 

Ich weiß, manchmal will etwas in uns solche Verantwortung fliehen. Wenn zu groß oder mühselig erscheint, was uns alles herausfordert. Ja, es braucht Biss, konkret und beharrlich für Veränderungen zum Guten zu arbeiten.

Aber ich bin gewiss: Wie Hagar werden wir nicht einfach zurückgeschickt in schwierige Auseinandersetzungen, sondern können Kraft schöpfen aus Verheißung: Gott ist mit uns, wenn wir in seinem Sinne wirken! „Gott schaut auf uns.“ Darauf ist Verlass. Das macht das Leben bedeutsam und schön – und wird gehalten von der Zuneigung und Herzensweite Gottes.

Liebe Gemeinde, das Geheimnis der Welt kommt uns nahe in Wort und Sakrament, belebt und beflügelt. Es baut auf und tröstet, stellt infrage und richtet aus – welch eine Quelle der Kraft und Inspiration, aus der alles andere fließt! Unverzichtbar! Beglückend!
Amen.

 

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