Wir sind die Gesegneten des Herrn
07. Juni 2013
Geistliche Morgenmusik im Rahmen der Bachwoche
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
was für ein schönes Hochzeitsgeschenk hat der junge Johann Sebastian Bach dem Pastor Johann Lorenz Stauber und seiner Braut da zu Beginn des 18. Jahrhunderts gemacht. „Der Herr denkt an uns und segnet uns“ – bis heute sind das durch die Jahrhunderte, ja durch zweieinhalb Jahrtausende hindurch Worte der Bibel, die tief in die Herzen dringen. Und dazu verstärkt und vertieft durch Musik voller Kraft und Dynamik und Zuversicht. Wie könnte der Weg als Eheleute schöner beginnen – und wer würde sich über solchen musikalischen Segen nicht freuen!
Bach zeigt sich hier wie jeder gute Kirchenmusiker als Musiker und Theologe zugleich. Deutlich erkennt man die Handschrift des jungen Theologen Bach, wenn man sieht, welche Verse des Psalms gesungen werden und welche nicht. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Bach es sich ein wenig leicht gemacht habe. Denn er hat aus dem 115. Psalm nur die Abschnitte herausgenommen, die sich tatsächlich wunderbar für eine Hochzeit, oder auch eine Taufe, jedenfalls für einen Anlass anbieten, in dem die Gemeinde frohgestimmt ist.
Auf den ersten Blick oder besser aufs erste Hören hin zeichnet er hier ein Gottesbild, das uns einfach nur gut tut. „Der Herr denkt an uns und segnet uns. Er segnet das Haus Israel. Er segnet das Haus Aaron. Er segnet Kleine und Große. Der Herr segnet euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder. Ihr seid die Gesegneten des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ –
Das klingt wunderbar. Ein segnender Gott, mit Aufmerksamkeit für Große und Kleine, verlässlich gegenüber den Generationen, die vor uns waren und die nach uns kommen werden.
Mit diesem Zuspruch kann ein Brautpaar durch die geöffneten Kirchentüren hinaus in die Welt gehen und voller Zuversicht die Herausforderungen annehmen, die das Leben bieten wird.
Doch der 115. Psalm hat noch eine andere Seite. Es gibt einen Satz in der Textgrundlage der Kantate, in dem sie anklingt. In der Sopranarie heißt es: „Er segnet, die den Herrn fürchten“. Schränkt der Beter diesen wunderbar segnenden Gott damit nicht wieder ein?
„Er segnet, die den Herrn fürchten." Damit sind offenbar nicht alle gemeint. Und der 115. Psalm führt auch sehr genau aus, wer denn nicht zu den Gesegneten gehört. Zu Beginn schimpft der Psalmbeter geradezu auf die Götzen, die sich die Menschen seiner Zeit machen. Er schreibt:
„Unser Gott im Himmel, er kann schaffen, was er will. Ihre Götzen aber sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht. Sie haben Mäuler und reden nicht, sie haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht… Die solche Götzen machen, sind ihnen gleich, alle, die auf sie hoffen.“
Pappkameraden und Taugenichtse, sind sie also. Stumm, mit stumpfem Blick schauen sie auf die Menschen herab, die in sinnloser Verehrung vor ihnen verharren. Und die werden ihnen dabei immer ähnlicher. Lebendige Tote sind sie, mitten im Leben.
Es spricht doch wirklich nichts dafür, ausgerechnet diesen toten Götzen zu dienen, angesichts jenes biblischen Gottes, der höchst lebendig seinen Segen strömen lässt. Dass er ganz in den Mittelpunkt rückt, ist die theologische Entscheidung, die Bachs Kantate zugrunde liegt. Und es ist eine kluge Entscheidung, den Götzen nicht zuviel Raum zu geben. Denn warum sollte der, der musikalisch so vom Segen schwärmen kann, sich mit stummen Götzen abgeben?
Das wäre doch abwegig und vertane Zeit! Und es würde Kräfte binden, die doch viel besser im musikalischen Schwärmen von dem Reichtum des lebendigen Gottes aufgehoben sind. Und welchen stumpf erstarrten Menschen könnte diese Segensbotschaft, musikalisch so eindrücklich an unsere Ohren getragen, nicht für sich gewinnen?
Liebe Gemeinde, mit dieser Kantate erinnert uns Johann Sebastian Bach auch heute an unser gemeinsames Amt: Den segensreichen Gott der Welt zu verkündigen, mit Musik, mit Worten, mit dem segensreichen Wirken der vielen hauptamtlich und ehrenamtlich Mitarbeitenden in unserer Kirche, mit dem diakonischen Engagement, in der Begleitung Heranwachsender und in der Aufmerksamkeit für die Sterbenden in unserer Mitte.
Was immer unsere Lebenssituation ausmacht, ob Sorgen oder Unbeschwertheit im Mittelpunkt stehen, ob Fest oder Alltag an der Zeit sind: „Wir sind die Gesegneten des Herrn.“ Für diesen segnenden Gott, für die elementare Erfahrung gesegnet zu werden – ganz im Sinne des lateinischen bene dicere – Gutes, gute Worte gesagt zu bekommen, dafür möchte ich selbst in meinem Amt Menschen gewinnen.
Und ich bin gewiss, dass diese Segenswirkung nicht auf uns beschränkt bleibt, sondern so weit reicht, wie Gottes Güte. Und die reicht bekanntlich, so weit der Himmel ist. Das konnte ich auch gestern zur gleichen Zeit in Neumünster erleben als wir mit 200 Kindern aus verschiedenen Kitas einen Gottesdienst zum Thema: „Sonnenwoche – Klimaschutz für kleine Leute“ feiern konnten. Wie schön ist es, wenn Kinder mit Gott groß werden!
„Der Herr segne euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder“ – im Wechsel von Soli und Chor wurde uns das singend zugesprochen. In dem modernen Klassiker von Dieter Trautwein, den wir zu Beginn dieser geistlichen Morgenmusik gesungen haben, heißt es:
„Keiner kann allein Segen sich bewahren. Weil Du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen.“ Wir singen diesen Segensreichtum hinaus durch unsere geöffneten Kirchentüren. Wir singen ihn in die Welt, so wie Johann Sebastian Bach es verkündet: als die Gesegneten des Herrn. Wir sind Gesegnete, weil Gott uns gefunden hat. Wir sind Gesegnete, weil wir seine Menschen sind. Wir sind Gesegnete des Herrn, weil Gott kein stummer Götze ist, sondern ein lebendiger Gott, der das Leben liebt und mit uns auf vielfältige Weise die Begegnung sucht: in der Stille und mitten im Lärm, in Musik und Wort, in tiefstem Schmerz und größter Freude.
Amen.