13. Dezember 2015 | Kiel, Universitätskirche

Wo er ist, wird es hoffnungsgrün, liebesrot ...

13. Dezember 2015 von Gerhard Ulrich

Dritter Sonntag im Advent, 1. Korintherbrief 4, 1-5 und Bild Beate Heinen, „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (1993)

Liebe Universitätskirchengemeinde,

da bestellt die Perikopenkommission einen schönen, kraftvollen Adventstext; einen, der die Sehnsucht dieser Zeit benennt und beantwortet; einen, der das Kommen des Herrn in diese finstere Welt glanzvoll beschreibt; einen, an dem die Welt sich in ihrer Angst und Ungewissheit, in ihrem Zweifel auferbauen kann, damit sie getröstet ist, freundlich erhoben: Und was liefert Paulus? – einen Gerichtstext aus dem 1. Korintherbrief im 4. Kapitel:

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteilwerden.“

Das treibt mich um, liebe Gemeinde, in diesen Tagen: wo ist das Evangelium, das Trostwort, der aufgerissene Himmel, aus dem es herab regnet Gottes Liebe und: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?“

Paulus führt in die Welt, auf den Boden der Tatsachen, dahin, wo all die Sehnsüchte dieser Tage entstehen, ins Jammertal: wo Streit ist und Unsicherheit, wo Eitelkeiten herrschen, wo die selbst ernannten Weisen in Scharen auftreten – gerade, wenn Verheißenes ausbleibt, wenn Hoffnungen trügen: Null Toleranz! Da wird in immer wechselnden Runden, hart aber fair, die Welt erklärt.

Und jeder weiß, wie es eigentlich gehen müsste in dieser Welt, damit Ungerechtigkeit und Hass sich verziehen; und jeder weiß natürlich auch, woran und vor allem an wem es liegt, dass sich diese Ärgernisse eben nicht verziehen, sondern wachsen. Ob sie nun Apollo heißen oder Kephas oder Paulus oder sonst wie.

Paulus ist Realist und darin ist er mutig: er weiß, dass es auf komplexe Fragen des Lebens keine einfachen Antworten gibt – schon gar nicht von Menschen, die sich selbst für weise und schlau halten. Paulus kennt die Eitelkeiten. Kennt auch seine eigene Eitelkeit. Es gibt Streit in der Gemeinde von Korinth. Und offensichtlich ist, dass der Apostel Paulus kräftig mitmischt. Er bezieht Position und zieht den Zorn mancher Gemeindeglieder auf sich.

„Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen“ – alles gut. „Aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der pflanzt noch der begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt“. Paulus beklagt die menschlichen Selbstbindungen, mit denen sich verschiedene Parteien gegenseitig beurteilen, anstatt sich auf Christus zu konzentrieren und von ihm zusammenhalten zu lassen. Wir sind darin gleich: Diener Gottes. Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Den Grund unseres Tuns und Lassens legen nicht wir, er ist gelegt: Christus. Nein, wir sollen uns nicht für Weise halten, nicht so tun, als wüssten wir, was und wer gut ist und was und wer böse. Wer Weise sein will, sagt Paulus, werde ein Narr. Ein Unterbelichteter, einer, der weiß, dass er nichts weiß. Aber einer auch, der bei Hofe den Spiegel vor hält. Alles ist gut, sagt Paulus, alles gehört uns. Wir aber gehören Christus!

Das ist die Adventsbotschaft, die der Sehnsucht entgegen kommt: wir gehören nicht uns selbst. Ein anderer ist Herr über Leben und Tod. Nicht wir müssen das Heil bringen: ein anderer tut’s. So geht Befreiung: loslassen, hingeben. Nicht nur schauen auf Gott. Hören und leben, was er sagt. Nicht um uns geht es, um Eitelkeiten, darum, dass wir gesehen und gehört werden. Dass Christus gehört wird – durch uns. Dass er gesehen wird – angesehen. Darum geht es.

Dafür halte man uns: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse! Nicht also „schwankende Rohre“ (Mt. 11) im Wind der Meinungen sollen wir sein. Wohl aber unsere prophetische Stimme sollen wir erheben:

Gottes Wirklichkeit ist größer als alles, was wir erfassen. Und es ist nicht unser Amt, Geheimnisse Gottes zu lüften, sondern sie treu zu verwalten. Wir sind gesandt, anzusagen die Geheimnisse Gottes: Lahme gehen, Blinde sehen; Gebrochene stehen auf und Verloschene bekommen neuen Mut!

Wir sind nicht die Allwissenden, die alles Rettenden, die alles und jeden Verstehenden. Auch ich bin nicht sicher immer, ob sich nicht doch – darum geht ja der Streit in Korinth auch – der Botschafter vor die Botschaft schiebt?! Statt einfach ihn zu Wort kommen lassen, höher als unsere Vernunft, statt einfach Narr zu sein, der den Spiegel hält: ich bin ein Fremder gewesen...selig sind die Friedfertigen...selig die Barmherzigen. Das Geheimnis der Liebe wagen mitten im Hass...

Die Adventszeit ist Vorbereitungszeit auf das Kommen des Herrn, eine Zeit der Buße und der Besinnung. Eine Zeit der Selbstprüfung und Erinnerung, der Unterscheidung von dem, was dem Leben dient und was nicht. Ist Zeit der Ansage dessen, der unsere Herzen wenden will. Die Adventszeit will neu justieren unser Leben: wohin gehören wir? Wer ist der Grund des Lebens und der Welt? Es geht nicht um Recht haben oder Recht behalten. Es geht überhaupt nicht um uns. Es geht um das Geheimnis der Gegenwart Gottes. Es geht um den Glauben, um das Festhalten an dem, worauf wir bauen. Haltet inne. Schaut euch um. Damit nicht eure Weisheit und Lehre sich vor das Geheimnis schiebt: dass der, auf den ihr hofft, längst unter euch ist, den Himmel aufreißt, das Licht scheinen lässt.

Das sehe ich in dem Bild von Beate Heinen. Mein Adventsbild – schon 20 Jahre alt, aber für mich eines, das sich hineinschiebt in unsere Realität, über die Bilder von Flüchtlingszügen zwischen Grenzen. Menschen, die wir nicht kennen und über die von Vielen dennoch geurteilt wird: Wirtschaftsflüchtlinge; aus sicheren Herkunftsländern; Islamisten; Straftäter; Eindringlinge…

Mitten in dem Zug der Menschen, mitten in der Tristesse der Fliehenden, der Elenden, mitten in der Anonymität: die Heilige Familie, der Gott, der ein Kind wird, der herunter kommt zu den Heruntergekommenen. Er selbst, Gott, lüftet sein Geheimnis. Er bleibt nicht unerreicht im Himmel oder wo immer wir ihn verorten. Er ist schon da. Und wo er ist, taucht die Welt in ein anderes, neues, freundliches Licht. Fast sieht es aus, als öffne sich nicht der Himmel, sondern die Erde. Da ist eine Kluft, die sich auftut. Mitten unter denen, die nicht wissen, wohin, ist Gott. Ist schon da, der Friedefürst. Lässt sich mit treiben von der Masse und mit ihr. Ist mit denen, die ausziehen aus Jammertälern. Die hinter sich lassen wollen Tod und Terror. Die darauf bauen, dass irgendwann der Himmel aufreißt und sich zeigt eine Welt, in der sie ein Zuhause finden, willkommen sind.

Dort bekommt Gott ein Gesicht.

Was da so aufgerissen leuchtet: wie eine Kluft, ein Spalt im Gebirge, entstanden in Jahrmillionen. Kenner schauen im Gebirge genau nach solchen Orten, finden die Spuren der Edelsteine.

Hier das Smaragdgrün wie auch das Saphirblau der Kleidung der Maria, auf der es wie von Diamanten blitzt, deutet darauf hin, dass dies ein Ort ist, an denen Wunderschönes, Wertvolles, Glänzendes geborgen ist. Edles Gestein: es fasziniert, fesselt unseren Blick. Es birgt das Geheimnis der Schöpfung. Wir können es sehen, wahrnehmen – ergründen können wir es nicht.

Die Heilige Familie: sie trägt den Zug der Menschen und – umgekehrt – der Zug der Anonymen trägt sie, trägt das Geheimnis Gottes.

„Der Grund, der gelegt ist, Christus“: Sein Wertvollstes offenbart Gott den Seinen. Wo er ist, wird die Welt farbig, hoffnungsgrün, liebesrot, glaubensblau. Das Licht aus dem aufgerissenen Spalt strahlt auf die, die in Dunkelheit dahin ziehen. Das Schönste, das Wertvollste gerade gut genug für uns. Der größte Schatz mitten im Leben. Er ist es, der Sohn, der Alles-Retter, der die Welt in neues Licht taucht, das denen, die im Finstern hocken, den nicht mehr erhofften Weg weist. Mitgehen mit ihm. Und dann sehen wir nicht nur die heilige Familie. Sehen, wie die Farbe der Liebe, das Rot zugleich des Blutes von jenen getragen wird, die im Finstern dahinwandern: der, der da geboren ist, der da kommt, ist der, der ans Kreuz geht, der liebt über den eigenen Tod hinaus.

„Richtet nicht vor der Zeit!“ – Aber in der Zeit und zurzeit, wenn alles in sein Licht getaucht ist, wenn offenbart ist das Trachten der Herzen und die Realität der Welt: dann sehen wir, wie Gott es meint, dann erinnern wir, wie seine Liebe mitnimmt, aufrichtet. Dann sehen wir seine Treue und erinnern vielleicht: „Ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich aufgenommen“. Und erkennen: dieser, der da kommt, macht uns frei. So, dass wir frei sind zur Liebe. Und darum nicht frei, denen die Tür nicht zu öffnen, die zu uns kommen; nicht frei wirklich, nicht zu teilen, was wir haben an Nahrung und Wohnung, Frieden und Freiheit! Gott kennt keine Obergrenzen!

Nicht wir richten. Aber wenn Gott sein Kommen ansagt, seine Zeit naht, ist die Zeit, auf seinen Willen zu verweisen: es ist eben nicht Gottes Willen, wenn in seinem Namen Kriege geführt werden – das soll um Gottes Willen nicht sein. Es ist nicht sein Wille, dass Gewalt und Hass Menschen verjagen und töten: das ist von Menschen entfachter Irrsinn! Terror hat mit Religion nichts zu tun, sondern ist verbrecherischer Missbrauch des Namens Gottes!

Wir haben uns nicht zu schützen etwa vor den Fremdlingen, sondern denen in die Speichen zu greifen, die mit Terror das Leben so vieler überrollen und Menschenrechte mit Füssen treten.

Und: wir lernen im Licht des gekommenen Gottes neu sehen auch unsere Mitverantwortung für die Gründe, die Menschen in die Flucht treiben: Ausbeutung der Rohstoffe immer noch, von unserem Lebensstil verursachter Klimawandel, der, kehren wir nicht um, die Schöpfung Gottes bedroht. Tut Buße, ruft Johannes in der Wüste, kehrt um!

Das Kind in der Krippe ist ja nicht das niedliche Wesen. Indem Gott Mensch wird, rückt uns das Maß des Menschseins auf die Haut und in unser Leben und so geschieht Gericht, mit Ernst, ihr Menschenkinder. Schiebt sich seine Menschlichkeit über die Unmenschlichkeit dieser Welt; seine Gerechtigkeit über die Selbstgerechtigkeit. Die Verführung, dies alles nur schön und niedlich zu finden, wird durchkreuzt durch die Ernsthaftigkeit des Jesus, der einer ist, der anfängt aufzuhören mit der Gewalt und dem Hass. Der genau hinschaut auf die Realität der Welt, damit die Realität Gottes in ihr Platz bekommt. Und nur weil wir diesen Ernst zu sehen bekommen, können Freude und Freiheit wachsen darüber, dass Gott es so ernst mit uns meint, dass er selber Mensch wird. Und die Freiheit ist nicht ohne Bindung an ihn, an sein Wort!

Gott kommt. Und genau dafür ist die Kirche da: treu auszurufen und anzusagen die Zeit Gottes, die immer das Hier und Jetzt meint: „Tröstet, tröstet, mein Volk“ … Hinein gesagt in das Leben der Trauernden; Hinein gerufen in das Leben der Hoffnungslosen, die schlicht einfach gar nichts mehr erwarten für sich. Gott kommt gerade zu denen, die nicht ein und aus wissen. Jetzt ist die Zeit. Er kommt – und Trost liegt auch in der Ermutigung, zu widersprechen den lebensfeindlichen Mächten; Trost liegt auch in Gottes Forderung, die Füße endlich auf den Weg des Friedens zu richten. Nichts muss bleiben, wie es ist. Alles wird neu: Geheimnis Gottes, nicht menschlicher Macht. Sind wir so frei, uns dem zu überlassen?!

Das meint Advent: Hinschauen. Einen Blick, offene Sinne haben für ihn, für den, der kommt, um zu retten mit seinem Richten, um heil zu machen, was zerrissen ist. Sehen diesen ungeheuren Schatz, ihn ans Licht kommen lassen. Ihn tragen an Leib und Seele. Verweisen auf ihn. Nicht verstummen lassen die Stimme des Friedens, der Liebe und der Barmherzigkeit – gerade jetzt: so sind wir Haushälterinnen und Haushalter der Geheimnisse Gottes und Dienerinnen und Diener Christi. Sein „ Fürchtet euch nicht“ in die Welt tragen und so den Himmel aufreißen lassen durch sein Wort und seine Verheißung: das ist uns zugetraut, anvertraut.

Der Grund allen Lebens lebt und mischt sich unter uns, mischt diese Welt auf. Und überall da, wo Menschen auf ihn bauen, sich auf ihn verlassen, wird die wunderbare Botschaft im Advent offenbar: was verschlossen scheint, muss verschlossen nicht bleiben. Gott lässt uns sehen, was offenbar ist: seinen Frieden, seine Gerechtigkeit, seine Menschlichkeit. Lässt uns all das sehen in dem Kind im Stall, dessen Eltern ebenfalls vor verschlossenen Türen erst stehen mussten, bevor ihnen aufgetan wurde.

Advent: wir bekommen ein Bild davon, wie Gott sich diese Welt denkt, wie sie sein kann. Und wir bilden genau das ab, wenn wir das Lichtermeer brausen lassen und die Klänge der Bläserinnen und Bläser, der Sängerinnen und Sänger in den Kirchen und auch in den Wohnzimmern: wenn wir singen und klingen lassen die Gewissheit, dass nichts bleiben muss, wie es ist, dass nichts im Dunkel bleiben muss; dass Frieden werden kann; dass niemand sich fürchten muss.

Amen.

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