18. April 2015 | Hamburg

Würdiges Sterben braucht Raum für Individualität

18. April 2015 von Kirsten Fehrs

„Sterben in Würde“ - Schlusswort der Podiumsdiskussion am Eröffnungstag der "Woche für das Leben" in der Katholischen Akademie Hamburg.

Das erste Wort am Schluss hat der Dank: Dank für eine deshalb kluge Debatte, weil sie, lieber Professor Nassehi, im guten Sinne die Kontroverse durchgehalten hat und damit zur Schärfung und Klarheit beigetragen.Danke also an die Diskussionsteilnehmer und an den Moderator mit seinen wirklich nachgehenden Fragen, Zuspitzungen und seinem klugen Humor; großer Dank auch den OrganisatorInnen.

Und wieder einmal hat diese Diskussion gezeigt: Sie braucht den Mut zu differenzieren. Auch wenn das anstrengend ist und nicht in “1’20” vermittelbar. Und das heißt dann auch: weniger dogmatisch zu argumentieren als vielmehr von der Einfühlung in Situationen her. Deshalb bin ich auch dankbar für die Gebrochenheit des Begriffs der Selbstbestimmung. Denn so einfach ist das doch wahrlich nicht, die Balance zwischen Autonomie und Angewiesenheit zu halten, wenn die Kraft fehlt und die Aussicht auf Veränderung.

Vieles habe ich bei der Sterbebegleitung gelernt. Vor allem eines: Kein Mensch weiß vorher, was ihn oder sie im Moment des Sterbens bewegt. Was jemand fühlt und wie er es bewertet. Ob er nicht vielleicht doch länger leben will. Obwohl andere es als Qual sehen. Kein Mensch weiß von einem anderen, wie er stirbt. Und deshalb kann man es auch nicht sagen. Es liegt Würde darin, das Sterben eines Menschen unbeschreiblich sein zu lassen. Ich kann als Seelsorgerin nahe sein, ich kann die Hand halten oder die Wut mitfühlen, kann Segen sprechen. Und ich kann auch einmal den Mund halten und akzeptieren, dass es Grenzen des Verstehens und der Erklärungen gibt.

Fakt ist: Den letzten Schritt geht jeder Mensch für sich. Würdiges Sterben braucht diesen Raum der Individualität. Es braucht Zeit, Zuneigung, Gespräch, Beziehung. Also – ja! – den Dialog, mit und ohne Worte. Und oft genug ist es doch so, dass uns diese Worte fehlen. Ich nehme eine zunehmende Sprachlosigkeit im Ausnahmeraum des Todes wahr – schlicht auch deshalb, weil uns die Worte nicht mehr zur Verfügung stehen. Vielleicht ist dies auch eine Aufgabe von den Kirchen: zu helfen, diese Sprache (wieder) zu finden. Damit man überhaupt in den Dialog treten und also sich aussetzen kann und nicht fliehen muss.

Dabei gilt auch dies: zu würdigen, dass es manchmal viel angemessener ist zu schweigen. Weil Worte nicht hinreichen. Oder keinen mehr erreichen. Und weil das gemeinsame Schweigen einen ganz tief im Inneren trösten kann – unabgelenkt ist der eine bei der anderen. Und – mag sein – bei Gott.

Schließlich: Vielleicht ist es im Zusammenhang all der ethischen Feinabstimmungen das, wofür wir Kirchen stehen: Sich dem eigenen Sterben zu stellen und diesen Teil des Lebens nicht aus der eigenen Perspektive auszublenden. Eine Art ars moriendi 2015, die den Mut hat zu wissen, dass dieses mein Leben endlich ist, trotz aller Medizin. Die Auseinandersetzung mit dem Tod darf nicht erst auf dem Sterbebett beginnen. Und dieses Wissen um die eigene Endlichkeit kann eine Haltung vermitteln: dass man das Leben lebt und liebt und nicht verschiebt.

Und so – mit so vielen klugen Gedanken zu Tod und Leben im Kopf – schicke ich Sie also wieder ins Leben. Mit dem Segen, der uns schon zu Beginn des Tages getragen, getröstet und ausgerichtet hat (Psalm 139, 5.9-12):

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,

so würde auch dort deine Hand mich führen

und deine Rechte mich halten.

Spräche ich: Finsternis möge mich decken

und Nacht statt Licht um mich sein –,

so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,

und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.

Segenswort

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