Zeugnisse der Hoffnung
27. März 2016
Ostersonntag, Predigt zu 1. Korinther 15, 1-11
Liebe Ostergemeinde!
In Vorbereitung auf das große Reformationsjubiläumsjahr 2017 war kürzlich wieder Bischofskonferenz. Diesmal natürlich in Wittenberg. Stellen Sie sich vor, ein ganzes Hotel voller Lutheraner! Etliche fröhliche, eindrucksvoll große schwarze Bischöfe aus Tansania, etwas kleinere aus Indien und noch kleinere aus China, unierte Böhmische Brüder aus Prag, Bischöfe aus dem Baltikum, Ungarn, Schweden, Finnland und Dänemark. Ach ja – zwei Frauen waren wir. Immerhin. – An den Abenden dieser Konferenz erzählen wir uns immer, was weltweit los ist in der Lutheraner-Familie. Bedrückendes. Heiteres. Viel Hoffnungsfrohes – ich liebe diese Erzählzeiten. Sie sind Vergewisserung in der Gemeinschaft, sind Deutung des Weltgeschehens, sie erinnern an das, was uns verbindet und erneuern Sympathien für die, mit denen einen gar nicht viel verbindet…. An einem Abend nun erzählte mein dänischer Bischofskollege mit diesem unnachahmlichen Akzent, der ja jeder Katastrophe irgendwie schon ein bisschen die Schwere nimmt, dass es doch tatsächlich, wir glauben es nicht!, einen Pastor in seinem Bezirk gegeben habe, der habe die Auferstehung angezweifelt! Der habe tatsächlich gesagt, dass er das mit dem leeren Grab nicht mehr glauben möchte. Unfassbar! Auf unsere Frage, was er daraufhin mit dem Pastor getan habe, sagte er: Tja nun, er habe ihm einen emeritierten Bischof hingeschickt und der hat mit ihm geredet, sehr ernst und sehr nachdrücklich, und jetzt glaubt der Pastor wieder. Ende gut, alles gut. Der Bischof lächelt. Gloria Victoria.
Wir sind aus dem Lachen schwer wieder herausgekommen. Und es wurde nicht besser, als deutlich wurde, wie ernst es dem Kollegen eigentlich damit war. Es gibt ja solche Situationen, liebe Gemeinde, da hat der tiefe Ernst die Leichtigkeit des Lachens mit im Gepäck. So ist es mir ein kleines bisschen auch mit dem Predigttext gegangen. Denn in Korinth damals gab es ebenfalls manche Zweifler an der Auferstehung, genauer: an der Auferweckung der Gestorbenen. Und es waren auch hier nicht Infragestellungen von außen, sondern Zweifel von innen, von überzeugten Christen, aus der eigenen Gemeinde, im Bezirk gewissermaßen. Also wird noch einmal vom hohen Theologen, vom Apostel Paulus höchstpersönlich und eindringlich dargelegt, was zu glauben und zu bekennen sei – ein für alle Mal, von dort nach hier, von Korinth nach Kopenhagen, nach Lübeck und zurück. Denn sie haben alle, Petrus zuerst, dann einige andere, dann fünfhundert!, den Auferstandenen gesehen, zuletzt er selbst, der geringste unter den Aposteln. (Nebenbei bemerkt vergisst Paulus leider die Zeuginnen, die ja, wie wir eben im Evangelium hörten, eigentlich die ersten waren….)- Also, dafür die anderen fünfhundert! Wenn das kein Beweis ist! Es ist fast, als würde uns der Predigttext in seiner ganzen nüchternen Argumentation dazu bringen wollen, dass wir nun auf das „Christ ist erstanden!“ antworten: „Quod erat demonstrandum“ (Was zu beweisen war…).
So könnte man denken. Wenn man nur denkt. Paulus aber geht es vom ersten Satz an um etwas ganz anderes: Ums Er-innern. Um eine Herzensbewegung. „Ich erinnere euch aber an das Evangelium“, sagt er, „… durch das auch ihr selig werdet: Dass Christus gestorben ist für unsere Sünden und begraben worden und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas und danach von den Zwölfen.“ Und dann erzählt er von jenen und diesen, und dann noch ein wenig mehr von sich selbst, und wie es ihn erfüllt, in Gnade zu leben. Tag für Tag.
Die Kirche ist und sie war immer eine Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft, liebe Geschwister. Wir sammeln uns um das Evangelium wie um ein wärmendes Feuer. Die alten Geschichten wollen immer wieder weitererzählt werden, so wie eine Flamme an einer anderen Flamme angezündet wird. Von allen Geschichten ist dabei die von der Kreuzigung und der Auferstehung des Gottessohnes die stärkste, die am schwersten zu fassende, diejenige, die zugleich am meisten Hoffnung gibt. Sie ist es, die nicht nur von Paulus erzählt wird, immer wieder und in allen Details, sondern auch von anderen biblischen Autoren, allem voran den Evangelisten. Denen geht vor allem darum, der damals schon geäußerten Vermutung zu widersprechen, es könne sich um reine Traumbilder oder Visionen gehandelt haben. Denn seien es die Berichte der Frauen am Grab, die Emmaus-Jünger, die mit dem auferstandenen Jesus essen, sei es der skeptische Thomas, der tatsächlich die Wunden berühren darf – sie alle haben ihn gesehen…oder besser noch erlebt…und waren fortan allesamt nicht mehr Dieselben. Wer den Auferstandenen gesehen hat, geht nicht zur Tagesordnung über. Wer ihn gesehen hat, weiß etwas von dem Glück der Seligkeit, der weiß, wofür er oder sie lebt. Wer ihn gesehen, der ersehnt den Frieden hoffnungsstärker, liebt leidenschaftlicher, handelt klarer, betet inniger. Wer ihn gesehen hat, ist ein ehrlich fragender und anvertrauender, ein freier Mensch. Kurz: Wer ihn gesehen hat, dem sieht man es an.
Jesus lebt – mit ihm auch ich! Das ist die Botschaft des Ostermorgens. Ein Wunder, das keines Beweises bedarf. Man erlebt es doch gerade! Die ersten Christen jedenfalls haben sich klar dafür entschieden, einfach von diesem Wunder zu erzählen, das sie erlebt haben. Und die es von ihnen gehört haben, erzählen es wieder weiter, und immer so fort bis zum heutigen Tag. Angereichert mit weiteren kleinen Tageswundern.
Natürlich gab und gibt es viele, auch Pastoren gar, die die Auferstehung für ein intellektuelles Risiko halten. Und?, frage ich: Ist es nicht auch genauso? Nämlich schwer auszuhalten, das Wunder ein Geheimnis bleiben zu lassen? Wie doch überhaupt das Leben und das Sterben eines Menschen ein Geheimnis bleiben wird, ob wir es wünschen oder nicht. So wie die Liebe zwischen zweien oder dreien ein Wunder bleibt, woher bloß ist sie herunter gefallen? Oder wie es genau zur Zahl der Blütenblätter kommt bei diesen Blumen neben dem Altar hier? Wir wissen viel Wissenswertes, doch erklärt es die Entstehung von Leben? Und wissen wir wirklich, was es bedeutet, zu sterben? Wie es ist, wenn es soweit ist? Und was wissen wir über das Leben und das Lieben und Begehren eines anderen? Über seine oder ihre Kindergeschichten, die einen in der Tiefe des Seins prägen? Was schließlich wissen wir über die Träume, aber auch die Traumata eines Zuflucht suchenden Menschen, der dem Krieg entfloh?
Ostern kann man nicht beweisen - es geschieht. Inmitten der Traurigkeiten der Welt. Immer wieder. Deshalb ist es eben gerade kein: So war es mal. Sondern es ist eine existentielle Wahrheit. Eine mich tragende Überzeugung, die erzählt werden will. Er ist wahr-haftig auferstanden. Das zu sagen, zu glauben und zu bekennen – immer wieder, das ist etwas völlig anderes als eine dahin gesagte Formel. Es ist die stetige Erinnerung, dass es den kraftvollen Widerstand der Hoffenden geben muss, zu allen Zeiten so auch jetzt, den Widerstand der Hoffenden gegen Erniedrigung und Unrecht, Kriegstreiberei und Flüchtlingsnot.
Er ist wahrhaftig auferstanden! Das ist zu erinnern, zu bekennen, zu erlieben! Und zwar im Angesicht des furchtbaren Todes all der Ertrunkenen im Mittelmeer. Er ist auferstanden! – Das ist zu bekennen im Angesicht der Opfer des Terrors in Brüssel jetzt, aber auch in Istanbul, Paris, Beirut. Aufgestanden! - im Angesicht der Angst, die die terroristischen Mörderbanden, denn nicht anderes sind sie!, auslösen wollen. Und aufgestanden! - im Angesicht derer, die an den Grenzen und Zäunen Europas hungern und dürsten – buchstäblich dürsten – nach Gerechtigkeit.
Ostern, liebe Gemeinde, ist der Mut, sich den Blick nicht verstellen zu lassen durch Kreuzesnot, die reale Angst, dieses zutiefst sinnlose Töten, all dieses furchtbare Leiden. Ostern ist das Bekenntnis zu der Passion, der Leidenschaft, neu und immer wieder genau zu sehen, hinzuschauen und davon zu erzählen, dass es Orte und Zeiten der Hoffnung gibt.
Und also: hingeschaut. Wer hätte geglaubt, dass die Eiszeit zwischen den USA und Kuba beginnen würde zu tauen? Wer hätte darauf vertraut, dass der Waffenstillstand in Syrien tatsächlich bis heute gehalten hat? Wer sieht nicht, dass es in unserem Land eine Herzensbewegung eines ganzen Volkes gibt, so viele, die unbeirrt Flüchtlingsarbeit leisten, die Nächstenliebe und Wärme schenken, manche seit Jahren schon! Und dies ungeachtet einer eiskalten Gegenströmung, die mit erschütternd hohen Wahlerfolgen in Landtage einzieht. Ein Volk der Friedensstifter, die ein wenig leise zwar, aber dennoch konsequent gegenhalten gegen die, die „Wir sind das Volk“ grölen und dabei Flüchtlingsheime angreifen und Flüchtlingsbusse! - Schließlich: Wie anrührend ist das denn, dass die allerkleinste evangelische Kirche der Welt, nämlich die griechische evangelische Gemeinde in Idomeni mit ihren paar Leuten täglich bis zu viertausend Sandwiches, unzählige Wassergallonen, Strom für Handys, Kleidung, Decken und Babynahrung an die Flüchtlinge verteilt?
Es sind mehr als Zeichen. Es sind Zeugnisse der Hoffnung. Zeugnisse des Aufstandes gegen die Verstörung durch das Böse. Wunder, live, 2016. Sie drängen danach, erzählt zu werden. Denn auch davon leben wir als Kirche, die für andere da ist! Als Erzählgemeinschaft sind wir viel stärker, denn als Instanz für den moralischen Appell. Als Erzählgemeinschaft haben gerade wir in dieser Gesellschaft die Kraft der Einfühlung. Und das wird gerade jetzt gebraucht, wenn Fremde zu Freunden werden sollen und nicht zu Objekten unserer Fürsorge. Beheimaten wir sie bitte noch intensiver in unseren Gemeinden, das ist mir ein Anliegen, und geben Ihnen einen Ort, an dem sie Mensch sind mit ihrer eigenen Geschichte und ihren eigenen Träumen.
Achja, auch wir sollten uns trauen, das Wunder in Worte zu fassen. Jetzt. Ostern ist Aufbruch. Auch des Konventionellen. Einfach mal herzensnah zeigen, dass man glaubt, was man glaubt. Ohne Literatur- und Quellennachweis. Einfach einmal jemandem, den man nicht kennt, sagen: Christus ist auferstanden. Und hören: Er ist wahrhaftig auferstanden. – Ich meine es ernst! -
Geht doch schon ganz gut. So viele von Ihnen, die lächeln. Bewegung der Herzen aufeinander zu - darum geht es. Und darum, dass wir uns neu sehen. In einem neuen, österlichen Licht. Das uns verändern möge und die Welt auch!
Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!
Ich wünsche Ihnen von Herzen ein gesegnetes, frohes Osterfest!