Zusammenwachsen
15. Februar 2016
Grußwort anlässlich der Veröffentlichung der Handreichung "Zusammen wachsen - Wege zur Frauenordination auf dem Gebiet der heutigen Nordkirche"
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich freue mich sehr, hier zu sein. Zu diesem Thema, in dieser Runde. Und ich freue mich besonders, als Bischöfin der Nordkirche zu Ihnen reden zu dürfen – denn das ich das kann, ist letztlich auch ein Verdienst der Frauen, mit denen sich das heute vorzustellende Forschungsprojekt befasst. Kaum eine Veranstaltung der letzten Zeit hat für mich einen so eindeutig biographischen Bezug gehabt und so viele persönliche Erinnerungen und Emotionen wachgerufen: Da ist Feierlichkeit, alte und neue Empörung, Stolz auch über das Errungene, verwundertes Innehalten – überhaupt hörte das Staunen beim Eintauchen in diese so sensibel und fein geordneten Einzeldokumente in dieser Broschüre gar nicht auf. Ich danke Ihnen allen, die diese ausgezeichnete Handreichung auf den Weg gebracht und erarbeitet haben! Halten wir doch damit eine historische Aufarbeitung in Händen, der es tatsächlich gelingt, im Erinnern Horizonte der Zukunft zu öffnen.
Ich selbst bin Jahrgang 1961. Das heißt: mein Werden und Sein fühlt sich noch gar nicht so betagt an - aber: wenn ich die Dokumente aus dieser Zeit studiere, staune ich darüber, wie anachronistisch vieles anmutet: „Die Bibel kennt keine Frauen, die eine Gemeinde leiten“ – so wird ein bayerischer Oberkirchenrat zitiert. „Der Grund dafür ist die verschiedene Stellung der Geschlechter von der Schöpfungsgeschichte her: Der Mann ist der Frau vorgeordnet.“ Geschrieben 1962. Dieser Oberkirchenrat stand damit ganz in der Mitte der Gesellschaft: Noch bis 1962 durften Frauen in Deutschland nicht alleine ein Bankkonto eröffnen. Bis 1977 konnten ihre Ehemänner ihnen die Berufsausübung verwehren. Lange her… und irgendwie auch wieder nicht.
Es braucht wie immer die, die vorangehen. Die nicht lockerlassen, sich gerade machen und Mütter der Courage werden. So wie Elisabeth Haseloff, promovierte Theologin, die erste, die auf dem Gebiet der heutigen Nordkirche richtige Pastorin wurde. 1959 war das, in Lübeck. Sie war da schon 44 Jahre alt, und an ihrem Lebenslauf kann man beispielhaft ablesen, wie sich die Entwicklung hin zur Frauenordination vollzog: 1941 legte sie, als erste Frau in der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche, das Zweite Theologische Examen ab und wurde zur Pfarrvikarin in Büdelsdorf ernannt – und zwar weil viele Pastoren zur Wehrmacht eingezogen worden waren. Nach dem Krieg konnte sie vor allem deswegen im Amt bleiben, weil ihr Kirchenvorstand sie unbedingt behalten wollte. 1959 dann die Einführung auf ihre Pfarrstelle für Frauenarbeit in der Lübecker Landeskirche und zugleich Gemeindepastorin in St Matthäi.
Es gibt einen wunderbaren Zeitzeuginnenbericht über diesen Einführungsgottesdienst (S. 63). In feiner Sprache und präziser Analyse schreibt Gertrud Stolte-Adelt, renommierte Feuilleton-Journalistin, am 20. Mai 1959 in der „Welt“: „Man muss wohl noch im letzten Abglanz der großen Tage der Frauenbewegung aufgewachsen sein, um die gewisse Erregung zu begreifen, in der ich zu meiner ersten Begegnung mit einer Pastorin nach Lübeck fuhr. In das unwillkürliche schwesterliche Frohlocken über die endlich wahrgewordene Revision des Paulus-Wortes von der Frau, die in der Gemeinde zu schweigen habe, mischte sich etwas wie Angst. Wie müsste eine Priesterin in unserer Zeit aussehen? Ein streng von Askese gezeichneter, ein matriarchalisch gebietender Typ, eine Anima candida von alterlos mädchenhafter Kühle und Helle passierten Revue in der Phantasie. - Als dann aber, unter dem Verklingen des Eingangschorals, die imponierende Gestalt im Talar den Altarraum betrat, fielen alle Spekulationen in sich zusammen. Ich vergaß, nach dem ersten Blitzschlag des Erkennens, sofort und ganz, dass ich gekommen war, eine Frau zu sehen. Da war einfach diese durch Habit und Halskrause ein wenig zeitentrückte Erscheinung an heiligem Ort, und von ihr ging eine namenlose Ruhe und Hoheit aus – natürlich, machtvoll und unfassbar wie Wärme und Glanz des Sonnenlichts, das durch die hohen Fenster über Päonien, Rittersporn und silberne Altarleuchter flutete…“
Ist das nicht eine großartige Beschreibung? Sie bringt vor allem zwei Dinge zum Ausdruck: Zum einen das große Sehnen, dass viele Frauen (und vielleicht auch Männer) schon damals empfanden: Wann endlich? Wann endlich ist es soweit, dass auch Frauen den Dienst auf der Kanzel und am Altar ausfüllen dürfen? Ja, mehr noch: Wann wird endlich dieser geradezu unnatürliche und bekenntniswidrige Zustand beendet, demzufolge das Priestertum aller Getauften nur auf eine Hälfte des Gottesvolkes beschränkt wird? Die Zeit war reif, damals, auch wenn das noch nicht alle begriffen hatten und noch so manches Rückzugsgefecht anzettelten – siehe jener schon zitierte Oberkirchenrat aus Bayern. Doch es sollten noch 32 Jahre vergehen, ehe auch in der letzten deutschen Landeskirche, nämlich in Schaumburg-Lippe, die Frauenordination eingeführt wurde. Vor diesem Hintergrund ist es nichts weniger als ein Skandal, dass aktuell - 2016! - die Frauenordination in einer lutherischen (!) Kirche, in Lettland, derzeit immer entschiedener verhindert wird, trotz unserer Proteste. Zeit, sich als lutherische Nordkirche mehr als zu distanzieren.
Zurück zur guten Welt – und zu dem Zeitungsartikel. Dort klingt zweitens auch ein Gefühl an, das sich bisweilen heute noch bemerkbar macht: Unsicherheit. Wie ist es denn, wenn eine Frau Pastorin ist? Wie füllt sie diese Rolle aus als „sie“? Wie ist die Erwartungshaltung der Gemeinde und der sonstigen Öffentlichkeit? Und auch wenn ich entschieden davon ausgehe, dass heutzutage Pastorinnen nicht mehr neugierig gefragt werden: „Und was tragen Sie unterm Talar?“, tun wir gut daran, den Gründen solcher Unsicherheit nachzugehen und zu fragen: Was ist – oder war - das für ein Amt, das über Jahrhunderte ausschließlich von Männern besetzt, geprägt und entwickelt wurde? Was davon passt eigentlich noch auf Frauen? Passt der Talar samt Beffchen, das, wie wir wissen, eigentlich den Talar vor dem Bart schützen soll? Passt das Bild des Pfarrhauses? Noch? Und wie steht es mit der Frau als Leitungsperson?
In den vergangenen Jahrzehnten ist viel gewachsen. Auch zusammen. Frauen treten selbstbewusst das Amt an und füllen es – kompetent, zugewandt, eigen. Gendersensibel. Zugleich bleiben Verunsicherungen: Es bleibt unangenehm für manche junge Pastorin, alleine in einem riesengroßen Pfarrhaus zu leben. Auch Familie und Beruf zu vereinbaren, ist im Pfarramt aus besonderen Gründen schwierig. Und schließlich, mir eminent wichtig: Wir haben bei derzeitig etwa 42 % Frauenanteil im Pfarramt –Tendenz steigend - viel zu wenig Frauen im Leitungsamt. Von 34 Propstpersonen sind es 10 Frauen. Von fünf Bischöfen eine. EKD-weit und in den Synoden sieht es nicht viel besser aus, im Kirchenamt dito. Und wir stellen fest: Wir wissen nicht genau, woran es liegt. Frauen bewerben sich selten auf Leitungsstellen. Warum ist das so? Sind es die Arbeitszeiten? Ist‘s das Umfeld? Die familiäre Situation? Wirkt das Leitungsamt in puncto „Work-Life-Balance“ einfach zu unattraktiv?
Ich denke, dass wir hier noch eine Strecke vor uns haben. Und dass Forschung gefragt ist. Wir werden es gleich hören. Zugleich schaue ich uns an, liebe Schwestern und Brüder, und bin guten Mutes, dass Gott auch hier seine Kirche auf einen guten Weg führen wird – als eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, die der Welt ein Beispiel gibt und zugleich selbst immer wieder verändert wird vom guten Geist Gottes.
Damit der Horizont weit bleibt. Auch dafür danke ich Ihnen.