07.01.2012 - Predigt zu Mt 2,1-12
07. Januar 2012
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder,
ein langer Weg liegt hinter uns: Viereinhalb Jahre, in denen wir einander unsere Kirchenerklärt haben; Jahre, in denen wir den Herzschlag der anderen und ihr Anderssein zu verstehen suchten; wo wir Enttäuschungen erlebten, weil Sehnsucht nach dem Neuen, garnach dem großen Wurf oft genug dem kleinsten gemeinsamen Nenner weichen musste, weil es galt, alle mitzunehmen; Jahre, in denen wir mitunter um winzige Formulierungen gerungen haben, als gelte es das Leben, und manchmal, in großzügigen Momenten, warfen wir unser Herz über die Hürde und gewährten einem Partner, was der kaum zu hoffen gewagt hatte. Es waren Jahre, in denen wir kritisch angefragt wurden und uns auch selber fragten: Wird die gemeinsame Kirche uns stärken, unserem Auftrag gerecht zu werden, das Evangelium von Jesus Christus den Menschen im Norden nahezubringen? Wir haben den Kirchen, aus denen wir kommen, doch so vieles an Prägung und Geborgenheit zu verdanken. Auch daran zu denken, ist jetzt die Zeit.
Ein langer Weg liegt hinter uns. Noch jedoch sind wir nicht am Ziel: Die heutige Entscheidung über Verfassung und Einführungsgesetz bringt uns zwar Klarheit. Die Blaupause der neuen Kirche ist erstellt. Aber damit ist nur bedingt vorgezeichnet, was die gemeinsame Kirche sein wird. Das entscheidet sich glücklicherweise nicht an Paragraphen und Artikeln. Entscheidend ist unsere Beziehung zu Gott! Ob wir nur Institution oder auch Bewegung sein werden – das hängt ab von unserem Hören auf den, der gesagt hat: Mache dich auf, werde licht! Und zwar licht kleingeschrieben! licht werden – für mich heißt das:durchlässig werden, durchlässig für Gottes Geistkraft, offen und durchlässig für die Anderen, die noch nicht dazu gehören. Eine Kirche, in der das Sehnen nach Gott lebendig ist und Verwandlung möglich! Eine Kirche, die bewegt ist und sich bewegen lässt und dies nicht mit rastloser Aktivität verwechselt.
Das Beste liegt also noch vor uns – diese Kirche zu gestalten: Mache dich auf, werde licht. Das Epiphanias-Evangelium, wir haben es eben gehört, erzählt uns, wie das geschehen kann –und das ausgerechnet mit einer Geschichte, die nicht gerade vor Rechtgläubigkeit strotzt: Da kommen nicht etwa drei fromme Juden oder Christen zum Jesuskind in den Stall, sondern heidnische Astrologen! Wörtlich steht dort: „Magier“! Und dann erzählt Matthäus weiter, diese östlichen Astral-Esoteriker hätten die Ankunft des Heilands besser begriffen als die in solchen Dingen geschulten einheimischen Theologen!
Inzwischen ist diese anstößige Geschichte durch jahrhundertelange Lese- und VerstehensTradition gezähmt und entschärft worden: Aus Magiern wurden krippenspieltaugliche Könige. Doch wenn wir noch einen Moment beim Impuls der Ursprungserzählung bleiben:Was bedeutet es, dass die Heilige Schrift behauptet, heidnische Sternkundige haben mehr von der Geburt des Heilands verstanden als die führenden Theologen des Landes?
Eine Antwort lautet: Auch Nichtchristen können etwas von Gott wissen, sind ‚eigen-artig‘ von ihm berührt. Sie sind keine religiösen Analphabeten. Die Weisen finden auf ihre Weise einen Weg zur Krippe.
Nun will Matthäus damit sicherlich nicht für Horoskope oder Astrologie werben. Aber er macht deutlich: Entscheidend ist, auf der Suche nach Gott zu sein. Und niemand wähne sichim Besitz der Wahrheit! Paul Tillich hat wohl Recht, wenn er meint, „dass ein großer Teil des Widerstandes gegen das Christentum daher rührt, dass die Christen, offen oder versteckt, den Anspruch erheben, Gott zu besitzen und daher das Element der Erwartung verloren haben, das so entscheidend für die Propheten und Apostel ist.“
Von Christus erwarten, dass er sich neu zeigt . . . Mache dich auf, werde licht, Kirche des Nordens, durchlässig für Gottes Geist, der deine Wahrheitswissen durcheinanderwirbelt und dich zu überraschenden, neuen Einsichten führt! Sei offen für Menschen, die auf der Suche sind. Seid gespannt auf das, was ihr gemeinsam mit ihnen neu entdecken könnt! Seid indiesem Sinne Kirche für Andere. Diese Bonhoeffersche Formulierung hat uns im Osten geholfen, unsere Identität zu finden und zu bewähren.
„Kirche bleibt nur darin Kirche, dass sie ganz für andere da ist, formulierte Heinrich Rathke, einer meiner Vorgänger, vor 40 Jahren vor der Bundessynode der evangelischen Kirchen in der DDR. Dasein für andere spricht das ganze Wesen der Kirche aus. Es ist mehr als ein Attribut einer in sich selbst ruhenden Kirche, die nur unter gewissen Bedingungen für andere da zu sein hätte. . . Sie lebt nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst, sondern lässt Gott zum Zuge kommen, indem sie als Kirche für andere den Dienst Jesu für die Menschen vergegenwärtigt.“
Heinrich Rathke ging noch einen wesentlichen Schritt weiter mit dem mutigen Gedanken, dass wir zum Verstehen des Evangeliums den Dialog mit den Anderen, den Sternsuchern unserer Tage, brauchen. Wörtlich sagte er:
„Nur im Hingehen zu den anderen . . . erhält die Gemeinde sich selbst das Evangelium. Nur im Anreden der anderen begreift die Gemeinde das Evangelium.“
Also Kirche mit anderen zu sein, sind wir gerufen, sie als Gesprächspartner ernst zu nehmen, gemeinsam mit ihnen zu lernen, was das Evangelium ist – nicht, weil wir vergessen hätten, dass Christus Weg und Wahrheit und Leben ist, sondern um mit den anderen diesen Christus für unsere Zeit verstehen zu lernen.
Aber wer sind sie denn, die berühmten Anderen? Eine erstaunlich bunte Truppe ist da unterwegs:
- Angefangen bei denen, die dann mal weg sind, die das Pilgern für sich entdeckt haben und auf eigene Weise betreiben. Es sind Menschen, die sich Rituale leihen, weil sie spüren, dass Rituale Medium sein können für den Grenzverkehr zwischen Immanenz und Transzendenz (Hans-Joachim Höhn).
- Gehören nicht auch die Fußballfans dazu? Welche Liturgien sind da in den Stadien zu erleben! Welche Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen! Welche Leidensbereitschaft – als Mitglied des FC Hansa Rostock weiß ich, wovon ich rede. Welche Hingabe ist unter Fans zu erleben! All das hat – trotz aller Entgleisungen –quasireligiöse Bedeutung: Es lässt nach Wegen zueinander fragen.
- Oder denken wir an die wachsende Bewegung der modernen „Illuminati“: Kaum ein Haus, das nicht durch Leuchtketten oder wenigstens einen leuchtenden Stern geschmückt wäre. Kaum ein Nadelbäumchen im Vorgarten, das davor gefeit wäre. Aber wenn wir einmal Geschmacksfragen bei Seite lassen, auch die Tatsache, dasshier wieder einmal ein amerikanischer Trend nach Europa schwappt: Ich kann dieses Phänomen auch wahrnehmen als ein vieltausendfaches Zeichen unausgesprochener Sehnsucht nach Licht in der Dunkelheit, nach Schönheit in der Tristesse, nach Harmonie in der Zerrissenheit – leuchtend-hilfloses Zeichen der Sehnsucht nach einem Leben, das all dem entspricht.
- Da gibt es eine hochspannende, neue Auseinandersetzung mit dem Thema „Tod“ in unserer Gesellschaft. In Sterbehilfedebatten und Internetforen, im Suchen nach neuenBestattungskulturen und Todesanzeigen stellen sich Menschen ihrer Sterblichkeit, suchen nach einem ihnen entsprechenden Verhältnis dazu – ein Transzendenzprojekt, das von uns Kirchen kaum schon positiv genug aufgenommen worden ist.
- Da sind Frauengruppen und Männergruppen, die in Workshops zu Quellen der Identität ihres Geschlechts vorzudringen suchen und dazu gelegentlich Wege gehen, die in mancherlei religiösen Kulturen ihren Ursprung haben.
- Da sind jene, die allen Ernstes Lebensberatung bei Wahrsagerinnen und BildschirmAstrologen suchen, denn auch sie spüren: Ich kann mein Leben nicht allein aus mir heraus gewinnen und gestalten.
Eine kunterbunte Gesellschaft ist da unterwegs: Menschen, die das Leben nicht verfehlen wollen, die auf der Suche sind. Mache dich auf, werde licht, Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland. Nimm diese Menschen wahr und mache dich zu ihnen, mache dich mit ihnen auf den Weg! Lass dich nicht dadurch abschrecken, dass sie dir als Kirche auch den Spiegel vorhalten, dich aufmerksam machen auf Defizite, indem sie anderwärts suchen, was sie bei dir nicht mehr zu finden hoffen. Vor allem eins lerne von diesen Menschen: Es geht nicht an, nach Gott zu fragen, wie nach einem alten Kumpel.
Nach wie vor, davon bin ich überzeugt, sind wir wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen, wie Dietrich Bonhoeffer geschrieben hatte. Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, dass alles ist so schwer und fern, dass wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen. In den überlieferten Worten und Handlungen ahnen wir etwas ganz Neues und Umwälzendes, ohne es noch fassen und aussprechen zu können. . . . Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden aus diesem Beten und aus diesem Tun.
Merkwürdig: Die Magier aus dem Land der aufgehenden Sonne machen sich von vornherein auf den Weg mit dem Ziel, anzubeten. Sie wollen dem neugeborenen König der Juden nicht einfach nur ihre Referenz erweisen. Ihre Anbetung erwächst auch nicht aus einer überwältigenden Begegnung mit dem göttlichen Kind im ärmlichen Stall. – Vielleicht ist auch dies etwas, worin sich unsere gemeinsame Kirche von diesen Heiden inspirieren lassen kann –sich auf einen Weg zu machen, der auf Anbetung zielt. Geübt sind wir in Aufbruch und aufrechtem Gang. Wir bemühen uns wach und solidarisch zu sein in den Gerechtigkeits- und Überlebensfragen unserer Zeit. Es ist an der Zeit, auch als Kirche wieder einen mystischen Zugang zu Gott als dem Geheimnis der Welt zu gewinnen.
Das Beste liegt also noch vor uns – diese neue Kirche zu gestalten: licht und durchlässig, neugierig und voller Vorfreude auf die Anderen und das, was wir mit ihnen entdeckenwerden. In alledem gespannt auf den, der uns überraschend anders begegnen kann und gerade darin treu zu seinen Verheißungen steht. Möge seine Geistkraft uns erleuchten und bewegen!
AMEN.