1. Januar 2013 – Neujahr
02. Januar 2013
Auf dem Weg zu Gott Predigt zur Jahreslosung aus Hebr 13,14
„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Hebr 13, 14
Jahreslosung 2013
Liebe Gemeinde!
Nicht Stillstand, sondern Bewegung; nicht Resignation, sondern Aufbruch; nicht ein Abfinden mit dem Unvermeidlichen, sondern Offenheit für Gottes Wege bezeichnet die Lebenshaltung gläubiger Menschen. Die Jahreslosung für 2013 ist ein Wort von Menschen, die unterwegs sind, für Menschen, die in Bewegung bleiben sollen. Und das Leben mutet uns Einiges an Veränderungen und Bewegung zu.
Ich denke an die Werftarbeiter und Ingenieure in Stralsund und Wolgast. Nicht mehr für alle wird es auf den beiden Werften genug Arbeit geben. Das ist schmerzlich für jeden Einzelnen und für unsere ganze Region. Manche werden sich auf den Weg machen und neue Arbeit suchen. Familien sind herausgefordert, sich unter Umständen nach einer neuen Stadt um zu sehen.
Wie wird es wohl den deutschen Soldaten in Afghanistan gehen? Auch sie haben dort keine bleibende Stadt. Fern der Heimat tun sie für begrenzte Zeit dort ihren Dienst und suchen, was dem Frieden des Landes dient.
Viele Schüler werden in diesem Jahr Abitur machen, auch das jüngste meiner fünf Kinder. Etliche sind schon auf der Suche nach einem Studien- oder einem Ausbildungsplatz. Für manche bringt dies einen Wechsel des Wohnorts mit sich. Wir leben in einer Studentenstadt. Da gibt es vor allem bei den Studierenden, aber auch bei den Lehrenden einen stetigen Wechsel. Als Menschen sind wir immer wieder herausgefordert, unsere jetzige Stadt zu verlassen und uns auf den Weg zu einer neuen zu machen.
Dabei lieben die meisten Menschen keine Veränderungen in den grundlegenden Verhältnissen ihres Lebens. Nur eine kleine Gruppe von Menschen ist eher auf Veränderung aus. Die Meisten möchten gerade in Bezug auf den Wohnort, ja sogar die Wohnung Beständigkeit.
Ich denke da exemplarisch an eine Bekannte. Sie konnte sich gerade noch vorstellen, nach der Hochzeit für den Bau des gemeinsamen Hauses in den nächsten Ort 9 km weiter zu ziehen. Aber auf keinen Fall war der übernächste Ort – 17 km entfernt – auch nur vorstellbar.
In Mitteldeutschland hat man vorzeitliche, alte Gräber gefunden. Als man das genetisches Material der Bestatteten mit dem der heute dort Lebenden verglichen hat, hat man eine erstaunlich große Übereinstimmung festgestellt. Nur ein Schluss war möglich: Die meisten Familien lebten dort in dieser Gegend offensichtlich schon seit Jahrtausenden. Diese Familien haben keine andere Stadt gesucht, sondern sie blieben an der, wo ihre Vorfahren immer schon gelebt haben. Beständigkeit des Ortes schafft Sicherheit.
Heutzutage suchen gerade alte Menschen solche Beständigkeit und Sicherheit. Versuchen Sie einmal eine alte Mutter aus der Wohnung, in der sie die wesentlichen Jahre ihres Lebens verbracht hat, heraus zu bekommen, damit sie in die Nähe ihrer Kinder ziehen kann. „Einen alten Baum verpflanzt man“, nicht heißt es dann. Und irgendwie ist das ja auch zu verstehen.
Menschen sind unterwegs, in ganz verschiedenen Situationen ihres Lebens. Sie machen die Erfahrung, dass vieles im Fluss ist, sich verändert, manchmal zum Guten, manchmal zum Schlechten. Ich denke an den bevorstehenden Umzug unserer Bischofskanzlei. Seit 1945 wurden die Räume in der Bahnhofstraße auch vom pommerschen Bischof genutzt. Vor 67 Jahren nutze Bischof von Scheven bereits die Räume, in denen wir heute noch arbeiten. Was hat sich in diesen Jahren nicht alles verändert?! Jetzt ziehen wir zum Karl-Marx-Platz. (Leider führte vor einigen Jahren mein Versuch, den Karl-Marx-Platz in Dietrich-Bonhoeffer-Platz umzubenennen, nicht zum Erfolg!) Die Räume, in denen wir jahrelang gearbeitet haben, werden wir Anfang des Jahres verlassen. Andere werden nun diese Räume nutzen. So fest unsere Häuser auch sind, so schön unsere Städte renoviert wurden, viele tragen noch die Zeichen der Zeit und der Vergänglichkeit an sich. So fit der Körper in der Jugend ist, so gebrechlich ist er im Alter. Wir haben hier keine bleibende Stadt, das heißt auch, dass das Leben vergänglich ist.
Wir Menschen suchen darum nach etwas, das bleibt: Eine „Stadt“, einen Ort, an dem wir zuhause sind. Eine Heimat zu haben, gehört zum Menschsein. Zur Heimat gehören Menschen, Orte (!), Landschaften, Erinnerungen. Vielleicht aber ist die Heimat am meisten ein gutes Gefühl. Erinnerung an eine heile Welt. Geborgenheit bei den Eltern. Die Widrigkeiten des Lebens waren noch nicht da. Die Eltern hielten sie von einem fern. Heimat hat etwas mit Geborgenheit zu tun.
Eine bleibende Stadt, Geborgenheit, das Fernhalten der Widrigkeiten des Lebens, alles das hat Jesus in seinem Leben nicht erfahren. Kaum in Bethlehem geboren, trachteten ihm die Häscher des Herodes nach dem Leben und seine Eltern flüchteten mit dem Neugeborenen nach Ägypten. Als Herodes gestorben war, kehrte die Familie in ihren Familiensitz nach Nazareth zurück und der Junge Jesus konnte hier aufwachsen. Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens wurde Jesus in seiner Heimatstadt bedroht und er wechselte seinen Wohnsitz nach Kapernaum. Aber auch dort blieb er nicht, sondern zog wandernd und predigend durch das Land. Er sagt von sich: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“ (Luk. 9, 58). Dem Sohn Gottes ist auf Erden das traute Heim vorenthalten worden.
Schauen wir in den Zusammenhang der Jahreslosung, so finden wir in dem Hinweis auf das Schicksal Jesu die Begründung, warum Christenmenschen nicht mit der Verheißung dauernder Geborgenheit und ungebrochenem Leben in der Heimat rechnen können. Wir haben hier keine bleibende Stadt, weil er auch keine gehabt hat. Jesus hatte nicht den Luxus einer gesicherten Existenz.
Jesus musste leiden, „draußen vor dem Tor“, wie es in Vers 12 heißt. Das weist auf Golgatha hin, das vor den Toren Jerusalems lag. Es war der Schandhügel; Tod durch Kreuzigung war ein schmachvoller Tod. Es ist schon schlimm genug, hingemordet zu werden. Noch schlimmer ist es, wenn dieser Tod noch als Ausdruck, von allen guten Geistern verlassen zu sein, verstanden wird: „Schau an, wohin ihn sein Gottvertrauen gebracht hat. Gott hat sich von ihm losgesagt!“, so spotteten etliche.
Wer heute Jesus nachfolgt, der folgt keinem Star nach und niemandem, der ein 100 Millionen Dollar Jahresgehalt verdient, sondern einem Herrn, der in Schmach und Schande gestorben ist. Darum sagt der Hebräerbrief: „So lasst uns nun hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen!“ (V. 13) „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Wäre Jesus nicht bereit gewesen, den Weg der Schmach und Schande, den Weg der Niederlage und des Untergangs zu gehen, gäbe es keine Erlösung. Es gäbe keine Vergebung der Sünden. Es gäbe keine zukünftige Stadt.
Die zukünftige Stadt ist ein Ort der Geborgenheit, in einer unbehausten Welt. Die zukünftige Stadt schenkt einer heimatlosen Menschheit Heimat. Gott baut sie für alle, die zu ihm gehören. Das ist eine Stadt, die bleibt, im Gegensatz zu allen „Städten“ dieser Welt. Wir können sie nicht selbst bauen, Gott baut sie. Den Himmel auf Erden können Menschen nicht verwirklichen. Wir können die Stadt Gottes nur suchen. Suchen bedeutet aber, in Bewegung zu sein. Wer sucht, ist noch unterwegs. Wir können uns in diesem Leben nicht dauerhaft einrichten, denn es ist uns nur auf Zeit von Gott gegeben. Wer es dennoch versucht, wird scheitern. Für Christen ist das nicht bedrohlich, denn all ihre Hoffnung gilt der zukünftigen Stadt Gottes. Sie wissen, dass diese Welt nur eine Etappe ist. „Im Licht der künftigen Stadt bewohnen wir die hiesige Stadt.“ (Heinrich Bedford-Strohm) Das heißt, dass die Zeit unseres Lebens hier und jetzt uns von Gott gegebene Zeit ist. Das Leben ist wertvoll und kostbar. Im Licht der zukünftigen Stadt Gottes leben heißt, jetzt schon den Frieden suchen, der dann einst sein wird, noch heute der Gerechtigkeit nachgehen, die Gott endgültig aufrichten wird, augenblicklich anfangen die Tränen zu trocken, die doch erst Gott selbst trocknen können wird (Offb. 21, 4).
Was zuerst wie ein Verlust aussieht, ist am Ende ein Gewinn. Ja, im Jahre 30, als Jesus starb, hätte kaum einer gedacht, das der christliche Glaube einmal zur mit Abstand größten Religion wird. Aber diese Religion ist stetig im Wandel und deswegen kann sie sich den Veränderungen in der Welt auch anpassen. Das, was stetig bleibt, ist der Herr Jesus Christus selbst. Der Hebräerbrief sagt: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebr. 13, 8). Dadurch haben wir einen Bezugspunkt, besser eine Bezugsperson, die immer bleibt. Sie gibt uns Maß und Orientierung, in allen Fragen, die uns bewegen.
Lassen Sie mich ein Beispiel bringen: Im vergangenen Jahr wurde viel über die sogenannte Sterbehilfe gesprochen. Es erscheint auf den ersten Blick human, das Leiden am Ende des Lebens zu verkürzen. Doch im Lichte der zukünftigen Stadt erweist sich dies als Irrweg. Wir können jetzt noch nicht haben, was erst für Gottes Stadt versprochen ist, ein Leben ohne Schmerz und Leid. Christen brauchen die Endlichkeit ihres Lebens nicht zu verleugnen, denn sie haben eine Hoffnung über diese Welt hinaus. Ein krampfhaftes Festhalten an diesem Leben entspricht nicht der christlichen Hoffnung. Gerade aber darum verkennen sie auch nicht die Würde, die Gott diesem Leben gegeben hat. Diese Würde kommt jedem Menschen von Gott unabhängig von seiner physischen oder psychischen Verfassung zu. Würde hat deswegen nicht die Minimierung des Leidens durch die gesetzliche Freigabe einer assistierten Selbsttötung, sondern die Begleitung schwer kranker und sterbender Menschen bis zu ihrem Ende. Eine künstliche Verlängerung des Lebens um jeden Preis ist deswegen ebenso abzulehnen wie eine künstliche Verkürzung des Lebens.
„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Besonders in solch schwierigen ethischen Fragen merken wir, wie wir auf der Suche sind. Auch im neuen Jahr werden wieder schwierige Fragen auf uns zukommen. Lassen Sie uns auch 2013 die Suche danach, im Lichte Gottes zu leben, nicht aufgeben oder uns vorschnell im Vorfindlichen einrichten, sondern auf dem Weg bleiben zu Gottes Stadt. Unser Lebensweg ist ein Weg zu Gott. Jahre können kommen und gehen, so wie 2012 gegangen und nun 2013 gekommen ist. Aber unser Weg hat nun eine Orientierung und ein Ziel. Unser Gott führe uns auf diesem Weg und am Ende führe er uns zu sich.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.