Hauptkirche St. Michaelis - 4. Sonntag nach Trinitatis

1. Juli 2012 - Predigt zu 1. Petrus 3,8-15

01. Juli 2012 von Kirsten Fehrs

Endlich aber seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, wie ihr dazu berufen seid, dass ihr Segen ererbt. Denn „Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes, er suche den Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun“ (Ps 34,13-17). Und wer ist’s, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Und wenn ihr auch leidet, um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in eurem Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. Halleluja

Gnade und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen  

Liebe Gemeinde,

Lesetipp für den Sommerferien-Liegestuhl gefällig? Wie wär´s mit „Die Teilacher“? In dem heiter-tiefsinnigen Roman wird die Lebensgeschichte von David erzählt, einem jüdischen Händler, der im Nachkriegsdeutschland wieder zu großem Erfolg kommt. Ein anekdotenreiches Buch. Eines Tages etwa will David seine neue attraktive und sehr fromme Geliebte beeindrucken. Geht er also in feinem Tuch am Sabbat mit ihr in die Synagoge, zugegeben nach langer Zeit das erste Mal. Fragt sie ihn zweifelnd: „David, glaubst du denn an Gott?“ Entgegnet er: „Nun ja, eigentlich nicht.“ „Ja, warum gehst du dann in die Synagoge?“ „Weil: Gott glaubt an mich. Da will ich ihn nicht enttäuschen.“

Gott glaubt an mich. Finden Sie nicht, liebe Gemeinde, wie befreiend diese umgekehrte Perspektive sofort ist? Von Gott her bin ich glaub-würdig. Wertvoll. Seiner Zuneigung wert. Und seines Zutrauens. Jeder Mensch ist es, der wie David liebt und gelitten hat, der begehrt und hofft. Jeder Mensch hier in diesem Raum ist es, auch und gerade der, der mit verletzten Gefühlen ringt oder Schuld auf sich geladen hat, der sich Sorgen um jemanden macht oder gerade aus einer Trauerzeit heraus wieder ins Licht tritt. So gebrochen menschliche Existenz auch sein mag: Gott glaubt an uns. Weil er uns liebt.

 

Wir können also durchatmen.

Uns erholen.

Den Sommer genießen.

Einfach einmal gut sein lassen.

Gern auch die anderen.

 

Gott glaubt an uns, dass wir das können. Denn wir sind zum Gut-Sein und Gut-Finden wie geschaffen. Wer wüsste das besser als er, der Schöpfer. Also gilt mit dem Evangelium gesprochen: Nicht gleich urteilen, richten, berichtigen, katalogisieren - in Splitter hier und Balken dort. Statt dessen: übt Erbarmen, auch mit euch selbst.  

Seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, geschwisterlich, barmherzig, demütig, stimmt der Predigttext ein. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet den anderen. Denn dazu habt ihr den Segen empfangen.  

So glaubt Gott an uns, ja und: sollen wir ihn etwa enttäuschen? – Dies fragt uns in der Quintessenz der ganze Predigttext. Wer ist’s, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Dem Frieden nachjagt? Das Leben liebt? Einfach nur mal ungehemmt gütig seid? Was schadet es, wenn man jemandem so ganz „unnorddeutsch“ mit keinerlei Zurückhaltung sagt, dass man ihn mag? Wenn man jemandem zeigt, dass die Suppe vor der Tür, jeden Tag in trauriger Zeit, viel mehr war als Nachbarschaftshilfe? Dass sie eine Brücke war ins Leben zurück? Was schadet´s also, wenn man dem Guten sein Recht gibt und gar ans Gute im Menschen glaubt?  

Und prompt schaut sich der moderne Mensch verstohlen um, ob ihm womöglich das Unwort „Gutmensch“ hinterher geworfen wird. Jene abschätzige Rede also, die meint: Einer, der`s gut meint und schlecht macht, sich aber trotzdem grandios fühlt. Weil er so naiv ist. Fromm, aber weltfremd. Dem Bösen, der Realität nicht gewachsen. Barmherzig, aber doof. Ehrlich, aber dumm.  

Mich amüsiert das schon lange nicht mehr. Wir müssen uns ernsthaft  damit auseinander setzen, liebe Gemeinde, dass in unserer Gesellschaft der Gedanke von einem Weltethos Gegner hat. Dass z. B. christliche oder genauer: Dass religiöse Inhalte immer skeptischer angesehen, ja aggressiv attackiert werden. In Internetforen, die vor Intoleranz nur so beben. Und die nehmen zu statt ab. Mit samt einer hohen – zumindest verbalen - Gewaltbereitschaft, die jegliche Grundlagen unserer Demokratie entwertet. Interessanterweise hat die jahrelange „Werte-Debatte“ nicht gegen halten können; sie ist letztlich eigentümlich kraftlos geblieben. Das ändert sich meinem Eindruck nach erst dann, wenn Menschen sich trauen darüber zu reden, was ihnen wert und teuer ist. Persönlich. Wenn sie sich ein Herz und in Sprache fassen, was sie hält und ihnen Trost gibt, wer ihnen Engel war und Lebensmut, wenn sie laut sagen, was sie glauben, warum sie beten und welcher Zweifel nagt - dann wird lebendig, kräftig, klar, wie wert-voll unser Christsein ist in dieser Zeit.  

Redet Tacheles, sagt deshalb der Petrusbrief. Scheut euch nicht, Gutes zu tun und zu denken, und redet darüber! Das sagt er zunächst zu den Gemeinden in Kleinasien ca. 80 n Christus. Die Christen sind verzagt, weil angefeindet von einer verständnislosen, säkularen Umwelt. Unsicher ziehen sie sich prompt zurück. Ins Private. Aber nein, mahnt der Petrusbrief sie wie auch uns Christen 2012. Hiergeblieben. Zeigt Flagge. Nicht nur die Pastoren und die zum Reden Berufenen. Sondern alle hier. Sie, die Sie eine schwere Geschichte mit Gott haben genau so wie Sie, denen Gott unbeirrbar Fels in der Seelenbrandung ist und Stern in der Nacht.  

In diesem Sinne: Redet, liebe Gemeinde. Zeigt der Welt etwas von dem Segen, der in euch gelegt ist. Zeigt eure Geschwisterlichkeit, die Demut, die ihr fühlt, das Mitgefühl, das euch umtreibt. Es sind die Werte einer Demokratie!  Und will man dazu klare Worte finden, muss man hinschauen, was ist. Und zwar genau. Nicht per Flachbildschirm, sondern fein beobachtet. Wir sind Christen in dieser Welt, sagt der Petrusbrief. Und deshalb sehen wir nicht allein das Gute. Wir sind ja nicht dumm. Wir sehen genau, dass das Böse ist. Es hat viele Gesichter. Ob Terroranschlag und Kriegstreiberei, Entwürdigung und Gewalt, das Böse ist immer lebensgefährlich. Und hier – ausgerechnet! – spricht der Petrusbrief vom Segnen des Gegners. Doch was heißt das um Gottes Willen? Allen Ernstes die andere Wange hin halten? Mit dem Wort streiten, nicht mit dem Schwert?  

Ja, allen Ernstes. Denn nicht nur das Gute, auch das Böse ist etwas höchst Persönliches. Vielen Menschen wird täglich und wurde lange Böses angetan – auch in den Kirchen - und wir schauen leider viel zu oft weg. Gewalt - Gewalt ist das Thema der anderen. Und deshalb werden wir leider nicht zornig. Heben leider viel zu selten die Stimme, um die Opfer zu schützen.  

Die andere Seite des Persönlichen: Wie schnell wird man böse, wenn man selbst gekränkt wurde und ungerecht behandelt. Wir alle kennen die Dynamik des Bösen, die uns dann selbst befremdlich ungerecht werden lässt. Da folgt Scheltwort auf Scheltwort – der Petrusbrief weiß genau, wovon er redet. Und indem er davon redet, sagt er das Erlösende: Das Böse ist nicht zu leugnen. Auch dein Ärger, deine Aggressionen nicht. Sie dürfen vor Gott sein, was sie leider sind. Selbstquälerisch, verletzend, ungut. Nur eines darf es nicht werden: Rache. Unaufgebbar ist dieses Ethos, das eine eindeutige Grenze setzt: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem.“ Sonst gerät alles aus dem Maß, folgt Schlag auf Schlag. Nimm deshalb Maß an einem, der nicht im Teufelskreis der Gewalt gefangen ist. Sondern der unbeirrbar auf das Gute in uns setzt. Nehmt Christus in eure Herzen, sagt der Petrusbrief.  

Und Christus im Herzen heiligen bedeutet: vergeben. Nicht im Sinne von vergeben und vergessen – um Himmels willen. Nein, in Verantwortung Rechenschaft geben, heißt es weiter. Also Rede und Antwort stehen. Alles, was unsere jüdisch-christliche Tradition lebt und meint, ist ja dies: Vergeben können Menschen nur, wenn sie nicht vergessen. Wenn sie sich mit ihrem Schmerz dem anderen zumuten. Wenn ein Gespür dafür entsteht, welche Wunden zugefügt wurden. Böse und von Vergeltungswut getrieben bleibt eine Geschichte, wenn der Riss und die Trauer unsichtbar bleiben.  

Deshalb ist es so wichtig zu mahnen. Zu gedenken. Eine Erinnerungskultur zu haben. Schauen wir auf unsere jüngere Menschheitsgeschichte. Kein Weg hätte vorbei führen dürfen an einem Holocaustdenkmal in Berlin. Kein Weg darf vorbei führen an den Stolpersteinen, die in Hamburg und andernorts an die Schicksale jüdischer Familien in Nazideutschland erinnern. Kein Weg auch darf uns heutzutage wegführen von dem konsequenten Dialog der Religionen, nicht allein zwischen Juden und Christen, sondern aller Religionen. Gerade jetzt und gerade in dieser Stadt in Hamburg, in der mancherorts mehr türkisch, arabisch, russisch gesprochen wird als deutsch, wird mir immer deutlicher: wir müssen reden. Gegen das Vergessen unserer Traditionen. Nur wenn wir einander Rede und Antwort stehen, verstehen wir etwas voneinander. Und von uns selbst. Verstehen wir wieder etwas von unserer Friedensliebe und können sie freundlich auch den anderen Religionen unterstellen. Im Erinnern verstehen wir die Sehnsucht aller, versöhnt verschieden zu sein. Und wir verstehen, dass deshalb alle ein Bedürfnis haben nach Vergebung.  

Und dieses Bedürfnis nach Vergebung rührt uns oft so tief und kommt uns doch oft so schwer über die Lippen. Wie es etwa den Brüdern von Josef ging. Kein Zufall, dass wir vorhin ihre Geschichte gehört haben. Die Brüder haben Josef ja Furchtbares angetan und stehen nun, Jahrzehnte später, vor ihm. Verlegen um Worte ringend, ängstlich, vergebungsbedürftig. Und Josef? Der vergilt eben nicht Böses mit Bösem. Er triumphiert nicht, rechnet nicht auf. Josef weint.  

Er weint. Nicht etwa über die tumben Brüder. Sondern über sich selbst. Es ist wie eine heilsame Erschütterung, die von Gott her kommt und die Josef erlöst. Wie ein inneres Beben, das die lang versteckte Traurigkeit nach außen drängt. Endlich. Weil es nun endlich gut werden kann.  

Und so, liebe Gemeinde, zieht sich die eine Botschaft durch alle Bibeltexte heute: Wie gut wäre es doch, all das Böse, Ungute, das unser Herz verkantet, heraus zu trauern. All die Verletzungen. Das ungelebte Leben, so voller Wünsche und Begehren, das untergeht vor lauter Pflicht. Die unerfüllten Träume, die man müde geworden ist zu träumen. Wie gut täte es, all die irrigen Ansichten abzuwerfen, an denen man trotzdem festgehalten hat, wer weiß warum. All das, was uns unsere wertvolle Lebenszeit so sauer macht. Es ist gut, wenn sich das löst. Durch Tränen, warum nicht? Durch ein Mahnmal. Durch ein gutes Buch auf der Sonnenliege. Oder durch ein klärendes Gespräch. Durch einen, der hören will, warum du weinst.  

Einer hört es immer. Denn er glaubt an dich, weil er dich liebt. So findet Gott sich eben nicht ab mit Lieblosigkeit, bösem Wort und vergessenen Tränen. Hier in unserer Gemeinschaft nicht. In unserer Lebensgeschichte nicht. Unter den Völkern nicht und in unserer Religion erst recht nicht. Gott erschüttert uns, so unvergleichlich positiv – heraus aus unserem in sein Maß: Bei ihm haben wir das Prädikat „unerhört wertvoll!´“ Damit wir es auf dieser Welt unerhört gut machen.

Und nun - wollen wir Gott etwa enttäuschen?

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sommer, liebe Gemeinde.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn und unseren Bruder. Amen. 

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