KOPENHAGEN

1. Könige 19,1-15a

07. März 2010 von Gerhard Ulrich

Predigt in der St. Petri-Kirche der deutschen Kirchengemeinde in Kopenhagen

Liebe Gemeinde!
„Elia aber ging hin in die Wüste eine Tagesreise weit“ –

Liebe Schwestern und Brüder – Ich bin nicht Elia, aber ich habe mich mit meiner Frau auf den Weg gemacht zu Ihnen zum 435. Geburtstag der deutschen lutherischen Gemeinde in dieser Stadt: Ganz und gar nicht in die Wüste. Eher eine Fahrt zu einem typisch dänischen Kindergeburtstag. Denn, so habe ich gelesen, zu einem dänischen Kindergeburtstag sind alle Kinder, die zu dem Geburtstagskind gehören, eingeladen. Und so sind zum Geburtstag Ihrer Kirche selbstverständlich alle Kinder, also alle Kinder Gottes gleich welchen Alters eingeladen – auch die, die von weit her kommen – eine halbe Tagesreise weit und weiter. Und weil Sie dabei auch an mich gedacht haben, sage ich Ihnen: Mange tak – Herzlichen Dank! Ich bin gerne gekommen. Und ich habe mitgebracht als Predigtgeschenk sozusagen den schönsten Text, den dieser Sonntag Okuli zu bieten hat: die Glaubensgeschichte des Propheten Elia. „…und (Elia) kam und setzte sich unter einen Wachholder und wünschte sich zu sterben…“ Elia, sein Name ist Programm: Gott ist allein Jahwe! Die Geschichte, die wir eben gehört haben, ist eine von Gotteserkenntnis und Gottesgegenwart. Leben und Tod; Erfolg und Versagen; Zweifel und Hoffnung: Eine Geschichte vom Ende und neuem Anfang; von Leid und neuer Kraft – eine Passionsgeschichte. Elia streitet für seinen Gott. Er kämpft gegen Götter und Götzen. Riskiert sein Leben für seinen Gott. Und er ist dabei nicht zimperlich, setzt auch auf Gewalt: ein Eiferer, ein Fundamentalist seines Glauben. Aber nun: „Es ist genug“ – Der Mann Gottes will nicht mehr. Da legt er sich krumm, tut alles, um Gott im Land der Götter den Weg zu bahnen. Und Gott, der Herr der Heerscharen, hält einem macht- und rachedurstigen Weib nicht stand. Verfolgt wird Elia, seine Freunde ermordet. Verlassen von Gott und der Welt macht er sich auf die Flucht: nur weg, in die Wüste, wo keiner ihn finden kann. „Es ist genug. So nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.“ Zur Verzweiflung kommt der Selbstzweifel: Ich mache alles falsch, bin am Ende, zu nichts zu gebrauchen. Die totale Enttäuschung. Selbstenttäuschung auch. Wir kennen das, in den letzten Wochen in Deutschland zumal: wenn ein Idol nicht hält, was man in es hinein projiziert; wenn die eigenen Erwartungen nicht erfüllbar sind; wenn, wer als stark und unfehlbar gilt, denn doch schwach wird und sich selbst erschrickt: ich bin auch nicht besser… Wenn also das eigene Leben in die Relation und Bedeutung zurück schnellt, in die es gehört: dann führt das in Ausweglosigkeit, Trauer und Wut. Aber auch: in Entlastung: ich muss nicht perfekt sein, muss nicht genügen den fremden Maßstäben. Gott liebt mich – nicht weil ich perfekt bin und ohne Sünde, sondern obwohl ich fehlbar und Sünder bin. Er beugt sich herab zu dem Sünder – Aber zuerst: die Wüste, das Ende von etwas. Zuerst, bevor eine Krise eine Chance werden kann, ist sie nur eine Krise!

Ich kenne das: manchmal scheint die Kraft erschöpft, auch die des Glaubens. Es ist genug: manchmal habe ich die Nase voll von allem, was belastet; bin ich müde von vergeblichen Mühen; keine Lust mehr, aus mir herauszugehen. Alles wüst und leer. Niemand da, der mich aufrichtet. Wenn nichts mehr geht: „Burn out“ nennt man das modern. Gerade Menschen geht das so, die sich hergeben, hinein geben, aufgehen in einer Sache; die nicht sehen auf das, was sie nehmen und brauchen, sondern auf das, was sie geben und müssen… ausgebrannt sehen wir oft mitten im Lauf das Ziel nicht mehr. Das ist bedrohlich: das Gefühl, alle sind gegen mich; da ist niemand, der helfen kann, auch nicht Gott. Aber die Geschichte von Elia, der Schluss machen will, geht weiter. In der Wüste, in der nichts ist, was man sonst Leben nennt– da lernt Elia seine Verzweiflung kennen. Hier muss er nicht der ewig Starke sein, der Gewinner, der immer funktioniert und alles weiß. Hier haben alle seine Sehnsüchte Platz – auch die nach dem Tod. In der Einsamkeit da draußen gewinnt Elia die Offenheit für sich selbst und vor Gott zurück: „ich bin auch nicht besser als meine Väter...“ Du kannst mit mir nichts anfangen, Gott. Elia legt sich schlafen. Er macht sich hilflos. Er gibt sich ganz aus der Hand, lässt sich fallen, wird wie ein Kind, das der Schlaf geborgen nimmt. Er legt sein Leben in Gottes Hände. Man glaubt es erst nicht: auch die Einsamkeit in den Wüstenstrecken des Lebens ist auszuhalten. Die heilsame Einsamkeit fern von den täglichen Anfragen und Zweifeln. In der Ruhe nach der Enttäuschung; in der Ruhe nach der Traurigkeit; in der Ruhe nach einem harten Tag; in der Ruhe nach einem lauten Streit können Kräfte frei und neu werden für das, was vor uns liegt.

Die Geschichte des Elia nimmt an dieser Stelle eine unerwartete Wendung: der sich hingesetzt hatte zum Sterben, gewinnt neuen Lebensmut. Eine Begegnung mit Gott ist ihm geschenkt. Und zwar da ist sie ihm geschenkt, wo aller Eifer aufhört, wo aller Widerstand zusammen bricht. „Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß.“ Eine Begegnung der unerwarteten Art. Nichts kannst du tun für so eine Berührung. Nicht sie planen, nicht sie verdienen. Sie geschieht. Ohne dass du Hand anlegst, ohne dass du bittest und forderst. Eine neue Geschichte fängt an, eine Wundergeschichte. Mitten in der Wüste erfährt Elia das Wunderbare: Gott ist da, ist ihm nah. Er gibt nicht auf. Er lässt seinen Diener nicht. Einer ist da, niemand weiß, woher. Einer rührt ihn an. Schüttelt ihn nicht. Ist nur da. Und am Kopf des Elia: geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser.
Grundnahrungsmittel. So kommt Gott seinen Menschen nahe. Unvermutet. Still. Stellt bereit, was nötig ist. Gott schimpft nicht mit Elia und ermahnt Elia nicht. Er tröstet auch nicht mit leeren Worten. Er bezeichnet das Einfache, das Nächstliegende: „Steh’ auf und iß“. Gott weiß, was Elia braucht. Der nächste Schritt ist es, den Gott uns vor Augen stellt, nicht das volle Programm, die große Vision. Er lenkt unsere Augen auf das Elementare. Er öffnet den Blick für das Nächstliegende. Nicht Sterben ist angesagt, sondern Leben. Elia erhält mitten in der Wüste, was er zum Leben braucht: Berührung, Zuspruch, Essen, Trinken, Schlafen. Und er tut selbst, was nur scheinbar selbstverständlich ist: er nimmt an, was ihm geboten ist, er lässt sich stärken und nähren! Die Brocken, die der Engel dem Elia zumutet, sind mundgerecht: geröstetes Brot, ein Krug mit Wasser. Gott überschüttet Elia nicht, er hält bereit, was nötig ist für den nächsten Schritt. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Darauf ist Verlass. Elia lässt es mit sich geschehen. Und dann: schläft er erneut ein. Lässt sacken, was ihm widerfahren ist, verdaut erst einmal. Gott bleibt ihm nah. Lässt nicht locker. Beharrlich ist Gott. Ein zweites Mal berührt der Engel den Elia: „Steh’ auf und iß“! – Das scheinbar Banale wird zu einem Macht-Wort, mächtig genug, Elia auf die Beine zu bringen, wunderbar! Einen müden, verzagten, unwilligen Menschen hochbringen, auf die Füße stellen neu und ihn zum Gehen bringen: das ist ein Wunder! Jemanden sehen in seiner Wüste und sehen, was er braucht jetzt. Nicht liegenlassen einfach oder mitleidig daneben legen. Wunderbare Erfahrung: Wo du denkst, dein Weg ist zu Ende, da hast du ihn noch vor dir. „Steh’ auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir!“

Amen.

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