1. Mai 2012 - „Ja zur bunten Vielfalt“ - Ökumenischer Gottesdienst zum Fest "Bunt statt Braun" gegen Rechtsradikalismus
02. Mai 2012
Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen. „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Und siehe, die jetzt bei den letzten sind, werden dann die Ersten sein. Und die jetzt bei den Ersten sind, werden dann die Letzten sein.“ Liebe Schwestern und Brüder, das ist eine atemberaubende Vision aus dem Lukasevangelium.
Aus allen Himmelsrichtungen machen sich diese Menschen auf den Weg, auf den Weg zum Reich Gottes. Sie sind Männer und Frauen mit unterschiedlicher Hautfarbe. Sie sind jung und alt. Sie sind Ängstliche und Mutige. Sie sind Zweifler und Überzeugte. Sie bringen ihre ganz eigenen Geschichten mit. Aber eines verbindet sie: Sie sind Menschen. Gott hat sie eingeladen. Sie haben seinen Ruf gehört und sind ihm auf ihre ganz eigene Weise gefolgt.
„Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“
Liebe Gemeinde, Gott weiß, auf welchen Glaubenswegen die Menschen gegangen sind, die hier zusammen kommen. Mit diesem Festessen, der Tischgemeinschaft im Reich Gottes, erfüllt Gott seine Verheißungen und vollendet seine Geschichte mit uns Menschen. In jener Gemeinschaft werden die Menschen Frieden finden. Frieden mit sich, miteinander und Frieden mit Gott. Ein gemeinsames fröhliches und unbeschwertes Mahl, so sollen wir uns diese Gemeinschaft des Reiches Gottes vorstellen. Alle an einem Tisch!
Das Gleichnis vom großen Abendmahl, das wir als biblische Lesung zuvor gehört haben, ermahnt uns jedoch auch, aufmerksam zu bleiben. Es erinnert daran, dass man die Einladung an den Tisch Gottes auch verpassen oder verspielen kann.
Gott hat dabei seine ganz eigene Reihenfolge für die Einladungsliste: „Die jetzt bei den Letzten sind, werden dann die Ersten sein. Und die jetzt bei den Ersten sind, werden dann die Letzten sein“.
So wird deutlich: Gott denkt nicht in unseren Kategorien, für ihn zählen weder Herkunft noch sozialer Status, weder Geschlecht noch Alter oder Hautfarbe. Und so kann ich mir diese Tischgemeinschaft im Reich Gottes gar nicht anders als bunt und vielfältig vorstellen. Denn Gott liebt das Bunte und Vielfältige!
Liebe Schwestern und Brüder,
wann Gottes Reich sich vollenden wird, wann wir Menschen endlich umfassenden Frieden finden werden, liegt in seiner Hand. Aber das Evangelium vertröstet uns nicht auf eine ferne Zukunft. Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist schon mitten unter Euch.“ Und er fordert uns auf, schon jetzt, mitten in unserem Leben neu anzufangen und an Gottes Reich mitzubauen.
Darum haben wir uns heute am 1. Mai in ökumenischer Verbundenheit von Osten und Westen und Norden und Süden aus den unterschiedlichen christlichen Gemeinden in Neumünster und weit darüber hinaus auf den Weg gemacht. Wir haben uns vor Gott versammelt, weil wir schon jetzt, mitten in dieser Zeit, für die bunte Vielfalt streiten. Wir nehmen die Bedrohung durch den Rechtsradikalismus ernst. Und wir müssten alles verleugnen, was uns heilig ist, wenn wir so tun würden, als ginge es uns nichts an, wenn menschenverachtende Parolen unwidersprochen in die Öffentlichkeit getragen werden.
Als sich die nationalsozialistische Ideologie im vergangenen Jahrhundert ausbreitete, haben viele Menschen geschwiegen, auch in unserer Kirche, in unseren Gemeinden. Sie haben sich einschüchtern lassen, sie sind mitgelaufen oder waren Überzeugungstäter. Auch viele Christinnen und Christen haben menschenverachtende Dinge gesagt und getan, auch jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger verraten.
Es gab – Gott sei Dank – auch Ausnahmen. Menschen, die wiedersprachen, wie der im letzten Jahr selig gesprochene katholische Priester Eduard Müller. Er wurde gemeinsam mit zwei weiteren widerständigen Priestern und einem evangelischen Pastor von den Nationalsozialisten 1943 hingerichtet. Hier an seinem Geburtsort Neumünster ist das Gemeindehaus unserer katholischen Geschwister nach ihm benannt. Aber diese Menschen, diese Christinnen und Christen, die widersprochen haben, waren in der Minderheit. Deshalb sind wir davon überzeugt: Das darf nie wieder passieren!
Deshalb gilt es, wachsam zu sein! Die Aufdeckung der rechten Terrorgruppe, die über Jahre hinweg anscheinend unerkannt mindestens zehn Menschen ermordet hat, zeigt: Die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten zieht nach wie vor auch in unserem Land mörderische Kreise ungeahnten Ausmaßes.
Ich habe mir wie Viele andere nicht vorstellen können, dass dies mitten in unserem Land möglich ist. Aber auch die Brandanschläge in Mölln vor zwanzig Jahren und die vielen von Neonazis bedrohten, geschlagenen und auch getöteten Einzelpersonen in unserem Land sind eine bittere Mahnung: Lasst uns diese Gefahr nicht verharmlosen. Die Parolen der NPD sind mehr als nur Dummheit: Sie sind lebensgefährlich.
Und unsere Schwestern und Brüder in Mecklenburg und Pommern, mit denen wir uns an Pfingsten zu einer gemeinsamen Kirche verbinden werden, setzen sich schon seit Jahren damit auseinander, dass ganze Dörfer von Neonazis dominiert werden.
Ich bin davon überzeugt, dass Zeichen wie der heutige Aktionstag gegen Rechts unbedingt notwendig sind, um der NPD und ihrem Gedankengut gemeinsam in bunter Vielfalt entgegenzutreten. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass wir über solche großen Feste hinaus im Alltag und in der Gestaltung unserer Gesellschaft verstärkt daran arbeiten müssen, dass die rechten Parolen nicht alltagstauglich werden. Es geht darum, gestärkt durch einen Tag wie diesen, mutig zu sein oder mutiger zu werden und zu widersprechen.
Und es geht darum, dass wir uns intensiv der Frage nach sozialer Gerechtigkeit in unserem Land widmen müssen. Es geht um die Frage, wie ein gutes Zusammenleben ganz unterschiedlicher Kulturen in Stadt und Land möglich ist, es geht um Bildung, um das Wissen voneinander, es geht darum, miteinander zu sprechen und nicht nur übereinander. Und auch das muss an einem 1. Mai gesagt werden: Es gibt zwar Millionen neuer Stellen, aber viele sind schlecht bezahlt: 400 Euro Jobs, Leiharbeit, Zeitarbeit. 6,8 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor. 2,3 Millionen sind zusätzlich zum Erwerbseinkommen auf Leistungen nach Hartz IV angewiesen. Es muss uns sehr viel besser gelingen zu verhindern, dass Menschen trotz Arbeit in Armut leben!
Liebe Schwestern und Brüder, gegen rechte Ideologien hilft nur, ihnen den Nährboden zu entziehen. Stellen wir uns den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft. Und lasst uns gemeinsam Antworten finden auf die zunehmende soziale Spaltung in unserem Land! Und dies mit Entschlossenheit, mit langfristigem Einsatz und kreativen Ideen.
Wer sich auf diesen Weg einlässt, ist mutiger und hat mehr Vertrauen als der, der sich hinter Hetzparolen versteckt und auf Abschottung setzt. Arm dran ist doch, wer sich nur unter Seinesgleichen wohlfühlt.
Liebe Gemeinde, Gott liebt die Vielfalt. Die biblischen Texte zeugen davon. Er weiß aber auch, wie schwer wir es uns miteinander machen. Aber über allem steht seine Zuversicht, dass wir Menschen uns von seiner Menschenfreundlichkeit anstecken lassen. Und über allem steht auch die Verheißung, dass Umkehr, dass Ausstieg aus der rechten Szene möglich ist, weil Gott uns den Neuanfang zutraut.
Liebe Schwestern und Brüder, es ist wahr: Noch sind wir nicht angekommen im Reiche Gottes. Noch sind die Letzten nicht die Ersten geworden. Aber wir dürfen schon mal losgehen. Darauf vertrauen, dass die Liebe trägt und nicht der Hass. Gemeinschaft und nicht Ausgrenzung. Bunt statt braun. Und uns locken lassen von der Einladung Jesu, der sagt: „Das Reich Gottes ist schon jetzt mitten unter Euch.“
Und wenn wir nach dem Gottesdienst miteinander hier auf dem Platz essen werden, ist das ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Gott uns verheißt, wenn Jesu Traum sich verwirklicht, wenn Gottes Reich sich vollendet.
Amen.