10. September 2012 - Gedenkgottesdienst für Suizidopfer anlässlich des Weltsuizidpräventionstages
10. September 2012
Predigt zu Jes 43,1 Begrüßung Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen Im Namen all der Mitwirkenden hier vorn begrüße ich Sie in St. Jacobi zu diesem Gedenkgottesdienst. Willkommen, von ganzem Herzen. Anlass zu dem Gedenken ist der Welttag zur Suizidprävention am 10. September. Ein wichtiger Tag, denn allein in Hamburg haben sich im letzten Jahr 235 Menschen das Leben genommen. Mit 235 Steinen und Lichtern hat der Künstler Piet Morgenbroth in einer Kunstinstallation im Südschiff unsere Trauer darüber ausgedrückt. Ihnen, die keinen anderen Ausweg mehr wussten, und allen Angehörigen gilt unser Gedenken. Vorbereitet haben diesen Gottesdienst viele Menschen in feinfühliger Zusammenarbeit – und ich bin dankbar, dass Angehörige von Suizidverstorbenen heute wieder selbst das Wort ergreifen. Um ihrer Trauer eine Stimme zu geben. Und um dem Tabu, mit dem das Thema Suizid belegt ist, Einhalt zu gebieten. Denn es wird viel zu wenig geredet – zu wenig über die Selbsttötung und zu wenig mit denen, die zurückbleiben. Und so legt sich für viele all das Ungesagte auf die Seele wie ein Stein, der alles Lebendige beschwert. Wir wollen demgegenüber Licht ins Dunkel bringen. Wollen der Trauer einen Namen geben – und damit auch ihnen, die einfach nicht mehr wussten, wie sie leben sollen. Und so soll dieser Gottesdienst vor allem eines: öffentlich Raum geben für die Trauer, das Nichtverstehen, den Schmerz, die Wut auch, für Schuldempfindungen, für Verlorenheit und die unerschütterliche Liebe. Mit all dem sind wir hier angenommen, gehören wir zusammen, woher auch immer wir kommen. Hier können wir miteinander traurig sein, einander trösten und Neuanfänge segnen. So gehen wir in der nächsten Stunde ein Stück gemeinsamen Weges, von der Schwärze der Nacht in das Licht des Lebens.
Predigt
(Anmerkung: Die Predigt bezieht sich auf vier Wortbeiträge von Angehörigen Suizidgestorbener)
Der Trauer einen Namen geben – das haben die Vier eben auf so eine anrührende und ans Herz gehende Weise getan. Wir alle haben mitgefühlt, das eigentlich Unaushaltbare mit ausgehalten – und viele unter uns werden genau dieses oder ähnliches erlebt und erlitten haben: die Schwere der Trauer, die wie ein Stein auf der Seele liegt. So dass man manchmal gar keinen Schritt machen kann, innerlich wie äußerlich. Dieser Tränenweg des Schmerzes, der einen so ängstigen kann, weil es scheint, dass er kein Ende nimmt. Deshalb war es so wichtig, auch die andere Seite von Euch zu hören, die so tröstlich ist: nämlich dass es wieder schön sein kann, das Leben. Dass da Sehnsucht lebt, Sehnsucht nach Liebe, Farben und neuen Anfängen, Sehnsucht nach einem neuen Augenstern und nach Licht am Horizont. In all dem der Trauer einen Namen zu geben, sie mit Worten zu benennen, ist ein schmerzhafter Prozess. Zugleich ist dies so befreiend. Ob mit Bildern, Worten, Tönen, Skulpturen, bei AGUS oder anderen Freunden – wie auch immer wir die Trauer beim Namen nennen, nur so wird das letztlich Unfassbare behutsam in unsere Wirklichkeit aufgenommen. Und der Mensch, den wir so geliebt haben und der dennoch nicht mehr wusste, wie er leben sollte, der uns mit lauter Warums zurück gelassen hat – diesen Menschen können wir nach einer gewissen, ganz individuellen Strecke des Trauerns zugleich annehmen und los geben. In andere, in Gottes Hände. So dass er in jener Welt, ja vielleicht tatsächlich im Himmel wohnt und zugleich in unseren Herzen. „Und wer weiß, vielleicht bekomme ich gerade einen stillen Gruß von dir?“ (Anmerkung: dies ist ein Zitat aus einem der Wortbeiträge)
Wir Christen leben mit einer tiefen Hoffnung auf ein anderes Leben. Und die heißt: hinterm Horizont geht´s weiter. Mit einem Leben, in dem Gott abwischen wird alle Tränen, sag t die Bibel. Und da wird kein Leid mehr sein und kein Schmerz. Und, liebe Schwestern und Brüder, wenn man sich den Tränen wischenden Gottvater- oder Gottmutter vorstellt, ist dies nicht ein enorm starkes Bild des Trostes inmitten aller Untröstlichkeit? Da soll kein Leid mehr sein…Für mich ist es eine der lebensnahesten Stellen in der Bibel. Weil diese hoffende Aussicht etwas Erlösendes hat auch für mein Leben hier und jetzt. Es gibt Kraft für all das, was hier bewältigt werden will an innerer Arbeit und was manchmal so furchtbar Angst macht.
„Fürchte dich nicht, spricht Gott. Denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, Du bist mein.“ (Jes 43,1)
Dieses Wort spricht der Prophet Jesaja vor langer Zeit Menschen zu, die untröstlich sind in ihrer Trauer. Sie haben alles verloren. Heimat. Sinn. Klarheit. Zuversicht. Sie sitzen, Gefangene im Exil, an den Bächen zu Babylon und weinen.
Fürchte dich nicht, sagt er in diese Verzweiflung hinein. Denn du bist mein, sagt Gott der Schöpfer. Du, also jede und jeder einzelne. Und dann heißt es wörtlich weiter: Dich habe ich bei deinem Namen gerufen, weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe.
Nicht umsonst gehört dieses Wort Jesajas zu den meist gewählten Taufsprüchen aller Zeiten. Als Ermutigung für das Leben, das beginnen will. Und heute nun soll es stehen für das Gedenken an die, die genau diesen Lebensmut verloren haben. Denn in beidem – beim Beginnen wie beim Gehen - kommt uns Gott entgegen, als der, der uns kennt. Hier ist er ganz nah, der uns manchmal so unnahbar ist und fern. Denn er nennt uns beim Namen. Macht uns damit unverwechselbar zum Du seiner Liebe. Er nennt beim Namen, was wir sind: wertgeachtet, geliebt und also unantastbar, geschützt, zugehörig. Würdig. Auch wenn wir uns verloren glauben, unbeachtet, allein. Wenn wir gefangen sind an den Bächen der Tränen. Gerade dann.
Gerade jetzt, in diesem Moment, liebe Schwestern und Brüder.
Auch unsere Liebe, unser Sternchen, unsere Trauer hat einen Namen. Sie heißt Knut oder Thorben oder Leevke oder Anna oder Reinhard. Und mit ihren Namen erklingen in uns Geschichten. Bilder. Ihre Verzweiflungen. Ihr Lachen. Unverwechselbar sie.
Durch ihre Namen sind unsere Gestorbenen gegenwärtig. Unverwechselbar sie. Hier, heute. Wenn wir sie nachher auf eine Wolke aus dem Himmelszelt schreiben. Ihren Namen nennen heißt: der Würde ihres Lebens, das sie selbst nicht mehr leben konnten, Raum zu geben. Denn jeder Name ist „Wort Gottes in menschlichen Lauten“ (Walter Benjamin). Du bist mein! spricht Gott, wissend, dass in einem Menschenleben vieles geheimnisvoll, unsagbar, mitunter unverständlich bleibt. Doch herausfallen aus seiner Gnade, das können wir nicht.
Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.
Worte, die so stärken, weisen nach vorn. Denn wir müssen noch weit gehen. Einen ganz eigenen Weg, unabsehbar, offen und –sehen wir uns um! - doch nicht einsam. Für uns, die wir mitten auf dem Weg sind, von weit kommen und noch weit gehen, für uns ist dieses Wort wie geschaffen: Du bist mein! Immer. Geh getrost deinen Weg und suche das Leben, das so schön sein kann!
Und der Friede Gottes, der größer ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.