13. Juni 2013 – Am Schwarzenberg, Harburg

13. Juni 2013 – Rede an der Friedenseiche im Rahmen des 485. Harburger Vogelschießens

13. Juni 2013 von Kirsten Fehrs

Majestät, liebe Schützengilde, meine verehrten Damen und Herren!

 

Vielen Dank für die Einladung zu diesem Harburger Vogelschießen. Und vielen Dank, dass Sie mir die Ehre zuteilwerden lassen, als Ihre Bischöfin heute die Rede unter der Friedenseiche zu halten. Eine Friedensrede im Angesicht einer imposanten über 140 Jahre alten Eiche – Symbol für Wachstum und Unerschütterlichkeit. Symbol auch dafür, dass uns nur Zukunft grünt, wenn wir in guter Tradition wurzeln. Dass Frieden nur wächst, wenn die Erinnerung uns auch ermahnen darf.

 

1871 wurde beides mit der Eiche an diesen Ort gepflanzt: Die Erinnerung an einen soeben beendeten deutsch-französischen Krieg. Und ein tiefes Sehnen nach einer besseren Welt. Nach Tanz unterm Baum und Frühlingserwachen, nach Friedensnähe und versöhnendem Handschlag.

 

Als ich meiner fast 90jährigen Mutter von dieser Festrede hier erzählte, erinnerte sie sich sofort. An ihren schönsten Tanz unter einer Friedenseiche: Das war am 8. Mai 1945, ein brütend heißer Tag. Nach wochenlanger Flucht endlich in Sicherheit. Freundliche Menschen, die einem zu essen gaben und vor allem zu trinken. Die Freundin, mit der sie dann gar nicht anders konnte als zu tanzen. Mit ihren Stiefeln und Wintermänteln, die sie immer noch trugen. Und abgesehen davon, dass sie von der Rhabarbergrütze nach so langen Wochen des Hungers sterbenskrank wurden – dieser Moment des Friedens unter dem Schatten der Eiche – diese Erinnerung rührt sie bis heute. Denn natürlich hatte sie viel durchlebt: Bombenhagel, umher irrende Kinder, zertrennte Familien, weinende Soldaten, oft Kinder noch, Gewalt und Schändung, die ständige Angst, ob sie den morgigen Tag erlebt.

 

Das ist jetzt fast 70 Jahre her. Was wäre aus uns allen geworden, hätten damals nicht so unglaublich viele Menschen geholfen? Sicherlich, es gab auch Ablehnung und große Skepsis gegenüber den Flüchtlingen. Doch viel mehr noch erinnere ich Geschichten meiner Großmutter und Mutter von Erbarmen und Herzlichkeit. Von Bauern, die absichtlich schöne Kartoffeln zum Sammeln auf den Feldern ließen. Von Milch, die morgens immer vor der Zimmertür stand. Von Freundschaften, die ein Leben lang hielten.

 

Vor einigen Tagen war ich früh morgens in der Kirchengemeinde in St. Pauli. Die ersten, die mir begegnen, ist ein älteres Ehepaar. Ob ich wüsste, wo hier die Küche wäre. Sie würden gern beim Frühstückmachen für die Flüchtlinge aus Afrika helfen. Geld hätten sie ja nicht, aber Zeit. Hier zu helfen sei Christenpflicht. Gleich werden sie begrüßt von einem der siebzig Flüchtlinge, die unter dem Kirchendach endlich Schlaf finden und Ruhe – übrigens Christen und Muslime in friedlichem Miteinander. Er ist höflich, redegewandt – und sehr dankbar.

 

Wir wissen alle nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, woher die Flüchtlinge genau kommen und was sie erlebt oder durchlitten haben. Aber aus dem, was ich von einigen verstanden habe, war es genau dies: Bombenhagel. Trennung von den Kindern. Der Frau. Gewalt und immer die Angst, ob sie auch morgen noch leben. Und das seit Jahren.

Was liegt näher, als humanitäre Hilfe zu leisten? Im Rahmen des – in diesem Falle schmalen – Rechtsweges Menschenrecht zu ermöglichen. Gute Beratung für die Einzelnen. Medizin. Kleidung. Freundschaft. Wissend, dass wir natürlich hier kein Weltproblem lösen können – aber allemal Herz und Verstand zusammen nehmen und Courage zeigen?

 

Wo kämen wir in dieser Gesellschaft hin, gäbe es diese Courage nicht? Statt dessen höre ich nicht nur in den letzten Wochen oft das Wort „Gutmensch“. Jene abschätzige Rede also, die meint: Einer, der`s gut meint und schlecht macht, sich aber trotzdem grandios fühlt. Weil er so naiv ist. Fromm, aber weltfremd. Dem Bösen, der Realität nicht gewachsen. Barmherzig, aber doof. Ehrlich, aber dumm.

Wir müssen uns ernsthaft damit auseinander setzen, dass in unserer Gesellschaft der Gedanke von einem Weltethos Gegner hat. Und mehr noch: Dass religiöse Inhalte immer skeptischer angesehen, ja aggressiv attackiert werden. Dies gilt mancherorts besonders für den Islam, weltweit noch mehr für die Christenheit. Es gibt Internetforen, die vor Intoleranz nur so beben. Und die nehmen zu statt ab. Auch in unserem Land. Mit samt einer hohen – zumindest verbalen – Gewaltbereitschaft, die jegliche Grundlagen unserer Demokratie entwertet. Interessanterweise hat die jahrelange „Werte-Debatte“ nicht gegenhalten können; sie ist letztlich eigentümlich kraftlos geblieben. Das ändert sich meinem Eindruck nach erst dann, wenn Menschen sich trauen darüber zu reden, was ihnen wert und teuer ist. Persönlich. Wenn sie sich ein Herz und in Sprache fassen, mag sein ganz unvermutet bei einem Spargelessen, was sie hält und ihnen Trost gibt, woran sie glauben und was sie hoffen lässt, dass die Familie ihnen heilig ist und dass Enkelkind ihnen Engel war und Lebensmut.

In diesen Momenten entsteht Frieden. Dann, wenn man, wie die Bibel sagt, Tacheles redet. Rede und Antwort steht. Sich gerade macht und Gutes denkt! In diesem Stadtteil und in den Gemeinden, in St. Pauli und Harburg, durch so eine Gemeinschaft heute hier beim Vogelschießen ebenso wie beim Sandsackschippen nebenan in Lauenburg.

Was ist das für eine Leistung: seit 10 Tagen – und Nächten! – sind zum Teil ganz junge Menschen vor Ort. Hunderte Ehrenamtliche von Feuerwehr, Polizei, THW, DLRG, Notfallseelsorge – eine Gemeinschaft der Helfenden. Spricht man sie an, wie hervorragend sie ihre Arbeit tun und wie sehr man ihnen danken möchte, kommen manchen die Tränen vor Erschöpfung. Und vor Traurigkeit, dass sie nicht mehr tun können als sie getan haben.

Mich beeindrucken solche Momente gelebter Nächstenliebe. Denn nichts weniger als das begegnet einem hier. In ihnen lebt Solidarität mit denen, die es schwer erwischt hat. Lebt Geschwisterlichkeit, Mitgefühl, ja auch die Demut, dass Glück immer ein geschenktes ist. Dies alles, meine Damen und Herren, sind die Werte einer Demokratie! Und will man dazu klare Worte finden, muss man hinschauen was ist. Und zwar genau. Nicht per Flachbildschirm, sondern fein beobachtet. Und weil wir in dieser Welt sind, auch als Christen, sehen wir nicht allein das Gute. Wir sind ja nicht dumm. Wir sehen genau, dass das Böse ist. Mit vielen Gesichtern. Ob Kriegstreiberei, Entwürdigung und Gewalt, das Böse ist immer lebensgefährlich. Und hier – ausgerechnet! – sprechen unsere religiösen Friedensverheißungen davon, dass es nur anders wird, wenn wir die Sehnsucht wach halten nach dem Anderen, Besseren. Denn wer sich sehnt, bleibt nicht stehen. Der geht. Bewegt sich. Verändert sich. Und sucht die Sprache des anderen.

Gerade in dieser Stadt und gerade auch hier in Harburg, in der wir so vielsprachig sind, ist es wichtig einander zu suchen. Und das heißt: auch und gerade als Religionen. Wir müssen weiterhin miteinander reden. Oder einen Garten pflanzen mit vielen Bäumen. Gegen das Vergessen unserer Traditionen. Nur wenn wir einander Rede und Antwort stehen, verstehen wir etwas voneinander. Und von uns selbst. Verstehen wir wieder etwas von unserer Friedensliebe und können sie freundlich auch den anderen Religionen unterstellen. Im Erinnern verstehen wir die Sehnsucht aller, versöhnt verschieden zu sein.

Et voilà - wer hätte 1871 gedacht, dass aus Feinden „ziemlich beste Freunde“ werden? Dass wir heute die französische Lebensart lieben, unseren Urlaub in Burgund verbringen, Bordeaux und Roquefort genießen? Sehnsucht hat die Kraft der Versöhnung. Und deshalb ist es wichtig, Visionen des Friedens immer wieder zu erinnern. An Orten wie diesen. Zu Festen wie den heutigen. Für Harburg, Stadt und Land.

So also sei Ihnen von Herzen gedankt. Dafür dass Sie hier so lange Jahre schon der Friedenseiche ihre Aufwartung machen. Ich war nur zu gern dabei – und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Datum
13.06.2013
Quelle
Stabstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
Zum Anfang der Seite