Predigt im Festgottesdienst „150 Jahre Johanneskirche Dömitz“
22. August 2022
Predigt zu Lk 14,15-24
I
Was für ein Fest! Da will dabei sein hin! Das möchte ich unbedingt miterleben! Sehen wir uns? So aufregend kann sich eine Einladung anfühlen. Wenn sie neugierig macht! Wenn sie Vorfreude weckt! Wenn sie mir Lust macht, mitzufeiern und mich schon vor dem Fest in Freude versetzt: „Ich bin da auch eingeladen!“
Genau so eine Einladung ist Ihre Einladung zum heutigen Festgottesdienst und zur Festwoche zum 150. Jubiläum der Dömitzer Johanneskirche. Sie macht neugierig, weckt Vorfreude und sie verspricht: wir feiern gemeinsam, mit allen, die dabei sein möchten. Wir unterstützen uns in Vorbereitung und Durchführung. Und wir lernen dabei, wie schön es sein kann, heute Kirche zu sein.
Liebe Johannes-Kirchengemeinde in Dömitz,
so viel Schönes ist mit Ihrer Einladung zu Festgottesdienst und Festwoche verbunden! Einer Einladung, von der man nicht nur hier in Dömitz erfahren konnte, sondern auch im Radio und weltweit über digitale Medien - eine Einladung mit Ausstrahlung also! An erster Stelle steht heute deshalb: Sehr herzlich gratuliere ich Ihnen zu Ihrem Jubiläum und überbringe Ihnen als Landesbischöfin ebenso herzliche Grüße und Segenswünsche unserer ganzen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland!
Und ich freue mich mit Ihnen, Ihrem Gemeindekirchenrat, Ihrer Pastorin Frau Roetz-Millon und allen Mitarbeitenden und bin beeindruckt, was Ihnen nicht nur heute und in der kommenden Woche - gemeinsam gelingt!
Die Fusion zweier Gemeinden mit einer Johannes-Kirche, ein lebendiges, vielfältiges, unkonventionelles Gemeindeleben mit Festen und Feiern;
Ihr soziales Engagement für die Arbeit der Tafel, Ihr Blick für diejenigen, die Gemeinschaft und Stärkung brauchen, aber auch Gemeinschaft und Stärkung schenken können! Ihre Freude an Jugendarbeit und last, but not least: Ihr unbeirrbarer Optimismus, mit dem Ihnen auch die Restaurierung der Runge-Orgel gelungen ist! Am Anfang haben Sie sich vielleicht ein wenig erschrocken, was das kosten und wie das wohl gehen wird. Aber am Ende haben Sie es gemeinsam mit anderen geschafft!
II
Am Anfang ein Staunen, vielleicht auch ein erschrecktes Staunen, aber am Ende, am Ende: ein Fest. So beginnen und enden gute Geschichten. So verstehe ich auch Ihre Geschichte, die Geschichte der Johanneskirche in Dömitz und in Neu-Kaliß. Wer hätte vor 150 Jahren gedacht, was in den Mauern dieser Kirche
im Lauf der wechselvollen Stadtgeschichte alles erhofft, gesungen und gebetet werden würde! Und wer hätte in der Zeit der deutschen Teilung, die viele Familien hier in Dömitz in besonderer Weise betroffen hat, ernsthaft damit gerechnet, dass das Leben, auch das Gemeindeleben, rund um die Dömitzer Johanneskirche
einmal so frei und vielfältig sein würde wie heute? Sie mag am Rande liegen, die Johanneskirche in Dömitz, zumindest am Rande des Naturparks Elbetal, wo sich Himmel und Erde in der Flusslandschaft so einzigartig verbinden; aber nicht selten ist das wirklich Schöne, das einen berührt und im Herzen ergreifen kann, gerade dort: am scheinbar unscheinbaren Rand zu entdecken.
III
Ich denke heute auch an einen berühmten Sohn dieser Stadt, den Reformator Joachim Slüter. Um das Jahr 1490 wurde er hier geboren, 1523 war er Kaplan in der Rostocker Sankt Petri-Kirche. Auch die lag damals am Rande, am Rande der Stadt. Und die, die dort lebten, Fischer und Tagelöhner, auch die lebten buchstäblich am Rande der Gesellschaft. Slüter hat seine Berufung darin entdeckt,
gerade für diese Menschen da zu sein. Inspiriert von den Ideen seines Zeitgenossen Martin Luther predigte er nicht mehr auf Latein, sondern auf Plattdeutsch. Mehr noch: Um Bildung für alle zu ermöglichen, schuf er das wohl erste Gesangbuch in niederdeutscher Sprache. Für ihn standen die Armen
im Zentrum des Evangeliums von Jesus Christus.
Damit hat er deutlich gemacht, was auch heute gilt: Jedes Leben ist der Rede wert,
und jede Stimme ist es wert, gehört zu werden. In diesem Sinne verstehe ich Ihr wichtiges Projekt „Rotes Sofa“. Dieses Projekt bringt Lebensgeschichten zu Gehör.
Lebensgeschichten aus Dömitz – das waren über vier Jahrzehnte aufgrund der geografischen Lage buchstäblich Randgeschichten. Weil die Menschen hüben und drüben der Elbe damals am Rande lebten, an der Grenze, den Zäunen, der Mauer.
Die Geschichten der Menschen am Rande zu hören, wenn Sie so wollen, Randgeschichten im besten Sinne, und die Gabe, diese Geschichten in den Mittelpunkt der eigenen Arbeit zu stellen, das setzt Kerngedanken der Reformation
bis in die Gegenwart fort, und zwar so, dass man sie heute verstehen und erfahren kann. Mit ihnen allen wird deutlich: Du bist geliebt, gewollt, Du stehst bei Gott im Mittelpunkt. Für Dich, für mich, für uns steht Gott selbst ein, sogar mit seinem eignen Leben!
IV
Am Anfang ein Staunen, am Ende ein Fest. So lässt sich auch die biblische Geschichte zusammenfassen, die wir gerade gehört haben. Aber: der Reihe nach.
Manche Menschen zögern, bevor sie eine Kirche betreten. Jedenfalls dann, wenn sie nicht sozusagen täglich dort ein- und ausgehen. Vielleicht zögern sie, weil sie lange nicht dort waren. Oder sogar noch nie. Wer weiß, was sie dort erwartet.
Oder sie fragen sich: gehöre ich dort überhaupt hin? Bin ich erwünscht? Darf ich dort sein? Oder gehe ich besser erst gar nicht hinein?
Jesus erzählt: Es war ein Mensch, der lud zu einem großen Festmahl ein. Und er sandte seinen Diener aus, um den Eingeladenen zu sagen: „Kommt, jetzt ist alles bereit“. Mag sein, dass das für einige eine überraschende Einladung ist.
Denn fast wirkt es so, als würden sich die Eingeladenen erschrecken, im Sinne von: Was, jetzt schon? Denn es geschieht etwas Eigenartiges. Auf einmal fangen alle an, sich zu entschuldigen. Der Erste sagt: „Ich habe ein Feld gekauft, und ich muss es unbedingt ansehen gehen!“ Der andere lässt ausrichten: „Ich gerade noch bin unterwegs, weil ich mir fünf Ochsenspanne gekauft habe, die muss ich jetzt erst noch prüfen“. Und wieder ein anderer hat schon gefeiert, nämlich seine Hochzeit.
Zwei Feiern hintereinander, das kann offenbar zu viel werden.
Kommt Ihnen das auch gar nicht so unbekannt vor? Einige von uns kennen bestimmt die Erfahrung: wir laden ein zu einem Fest, bereiten alles vor, und manche der Eingeladenen winken ab mit fadenscheinigen Ausreden. Oder sagen: Ja, mal sehen, vielleicht, ich weiß noch nicht, ob es klappt und sie halten sich bis zum letzten Moment offen, ob sie vorbeischauen oder vielleicht noch etwas Besseres vorhaben. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie so etwas erleben - mich jedenfalls nervt es.
Der Gastgeber, von dem Jesus erzählt, fand die vielen Absagen zu seinem Fest
bestimmt auch alles andere als lustig. Aber er ärgert sich nicht. Sondern er sagt sich: Mein Fest findet auf jeden Fall statt. Es wird großartig werden, einfach wunderschön. Und zwar mit denen, die sich einladen lassen. Er nimmt die Absagen also mit Souveränität und mit Humor. Und mit einem breiten Lächeln: denn er hat etwas gelernt.
Er hat seine drei Freunde eingeladen, die, die er immer einlädt, weil er sie gut kennt. Und die dann alle absagen. Aber über diese Einladungen hat er so viele andere vergessen. Alle die, die er noch nie eingeladen hat. Die er bisher immer übersehen hat. Die sich mehr als andere über seine Einladung freuen. Genau die lädt er jetzt ein. Und - wie wunderbar: sie freuen sich über seine Einladung! Sie kommen vorbei. Sie feiern mit ihm ein wunderbares Fest! Dankbar für die Einladung eines großzügigen Gastgebers. Und der Gastgeber: Schreibt sich hinter die Ohren, wie kleinmütig er war, als er nur an die üblichen Gäste gedacht hat -
und lernt, wie wunderbar es sein kann, Herzen und Türen weit, richtig weit aufzumachen! Ich bin mir sicher: es wurde ein himmlisches Fest!
V
Wir würden diese Geschichte, die Jesus erzählt hatte, heute vielleicht nicht mehr weitererzählen, wenn es „nur“ um einen ganz gewöhnlichen Gastgeber ginge.
Aber Jesus erzählt diese Geschichte, weil er uns mit ihr etwas von Gott erzählen will.
Seht und hört: Wie dieser Gastgeber, so ist Gott! Mit unbeirrbarer Liebe lädt er dazu ein, das Leben, das er uns schenkt, zu lieben und zu feiern. Dieses zarte, zerbrechliche, verwundbare, gefährdete Leben. Unser menschliches Leben und alles Leben auf unserem Planeten. Dieses Leben, das wir Menschen selbst
oft genug gefährden, zerstören, einander zur Hölle machen können. Dieses Leben, für dessen Schönheit wir vor lauter Arbeit und Beschäftigung so oft den Blick verlieren. Dieses Leben, das uns so oft wie eine Selbstverständlichkeit erscheint,
eine Selbstverständlichkeit, auf die wir meinen, gewissermaßen ein Anrecht haben.
Aber die Schönheit und das Geschenk des Lebens sieht und versteht nur, wer innehalten kann - sei es mitten am Tag, sei es einmal in der Woche, am Sonntag, sei es bei einem besonderen Fest, so wie heute. Wer innehält und einen Moment staut: Was für ein Geschenk haben wir da - jede und jeder einzelne von uns, alle Menschen, alle Lebewesen auf dieser Erde. Ein Geschenk, das alles andere als selbstverständlich ist. Wenn das deutlich wird, in einem Moment der Stille, der Ruhe, der Besinnung, dann kann man eigentlich nur sehr still werden. Und dankbar, aus ganzem Herzen dankbar. Wer diese Dankbarkeit spürt, wird das Leben feiern wollen. Und es zugleich mit aller Kraft beschützen, behüten, bewahren wollen: Dieses zarte, zerbrechliche, verwundbare, gefährdete Leben. Unser menschliches Leben und alles Leben auf unserem Planeten.
Genau dazu lädt Gott ein. Damit das Leben ein Fest für alle wird. Eines, bei dem alle zu essen und trinken haben. Ein Fest, bei dem niemand am Katzentisch sitzt
oder draußen vor der Tür bleiben muss. Ein Fest, bei dem alle miteinander feiern,
einander unterstützen und helfen und vielleicht, so wie der Gastgeber, auch etwas lernen.
VI
„Quo vadis, Kirche – wohin gehst du, Kirche“ – so lautet eine der vielen Veranstaltungen Ihrer Festwoche. Ich wünsche uns, ich wünsche Ihnen,
dass wir eine Kirche sind, die mitten unter den Menschen lebt. Die von Gottes Einladung zum Fest des Lebens erzählt, so wie hier bei ihnen, heute, in dieser Woche, im ganz normalen Alltag. Beim gemeinsamen Feiern, in der Hilfe und Unterstützung füreinander und beim gemeinsamen Lernen, was es bedeutet,
unser zerbrechliches, verwundbares und wunderbares Leben zu lieben, es zu behüten und zu bewahren. Das verbindet uns über Ort und Zeit hinaus, unserer Nordkirche, in der weltweiten Gemeinschaft der Glaubenden mitten in unserer vielfältigen Welt. Und das bedeutet es, im Horizont des Evangeliums zu leben,
verbunden weltweit im Miteinander feiern, im miteinander Lernen und Lehren und im helfenden Handeln.
VII
Eine Einladung. Ein Fest. Die Misstrauischen fragen sich vielleicht, ob das alles nicht zu schön ist, um wahr zu sein. Der Dichter Lothar Zanetti schreibt:
Einmal wird uns gewiß
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter, die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras und die Schmetterlinge,
für die Luft,
die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne und für die Tage,
die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen
und bezahlen.
Bitte die Rechnung.
Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!
Liebe Geschwister: Was für eine Einladung! Was für ein Gastgeber! Da möchte ich dabei sein! Mit ihm möchte ich feiern! Das möchte ich miterleben! Sehen wir uns?
Amen.