18. Juni 2012 - Predigt zu Jeremia 17, 7-8
18. Juni 2012
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen
Liebe Schwestern und Brüder!
Bestimmt hat jede und jeder von Ihnen schon einmal unter einem Baum gelegen. In so einem sommerlichen Monat wie diesem. Mit einem blauem Himmel über der hochweisenden Krone und wonniger Sonne, die durchs Blattwerk hindurch angenehm den Bauch wärmt. Himmlisch. Der Baum ist der Freund des Menschen. Ein wunderbares Mitgeschöpf. Immer schon. Seit ehedem schützt der Baum den Menschen, verspricht Leben, Erholung, Geborgenheit. Er steht für Wachstum in alle Richtungen, Stabilität und tiefes Verwurzeltsein. Da wo der Baum ist, ist man zu Haus, da hat man ein Dach und Grund zu leben.
Ich habe einen Freund, der suchte ein Haus. Was er fand, war ein Baum. Er hat sich in diesen Baum verliebt und das viel zu kleine Haus, das daneben stand, halt auch genommen. Jetzt lebt er mit seinem Freund dort, und das viel zu kleine Haus hat Zuwachs bekommen, wie der Baum übrigens auch (nur die Freunde selbst nicht…) Letztens feierten wir die Baumblüte, das Jahresfest dieser Familie – und es waren alle Freundinnen und Freunde da! Denn keiner mag die Einladung des Baumes ausschlagen. Und ich glaube, hier macht sich auf eine ganz tiefsinnige Weise etwas Archaisches deutlich, was dem Menschen – uns - innewohnt: – Baum ist Heimat. Beständigkeit. Blüte. Da ist wohliges Leben. Kein schöner Land zu dieser Zeit, so sangen wir, dass wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit.
Das war auch schon so am allerersten Morgen der Menschheit: Bei Adam und Eva. (So eine anständige Predigt beginnt eben richtig von vorn, habe ich mir gedacht.) Auch für sie: wohliges Leben. Paradiesisch geradezu. Und als sie sich einst, mag sein im Juni, gemeinsam unter den großen Baum mitten im Garten Eden legten, sahen sie über sich Psalm 84 wahr werden: „Der Vogel hatte ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – in Gottes Baumhaus sind viele, liebliche Wohnungen. Findet nun leider auch die Schlange. Eva und dann Adam lassen sich prompt verführen. Dazu, verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis zu essen. Ja, sich den Bauch vollzuschlagen. Will der Mensch doch selber was wollen. Wissen. Am liebsten immer höher hinaus kommen. Am allerliebsten gleich zu Gott, nein: über ihn hinaus! Und irgendwann ist´s zu viel der Erkenntnisfrucht und der wohlig gewärmte Bauch grummelt vor lauter Völlegefühl. Plötzlich plumpst man hinunter von himmlischer Leichtigkeit zu bodennaher Erdenschwere wie gefallenes Obst, auch Sündenfall genannt. Vorbei ist´s mit dem Hoch hinaus. Und dem Paradies allemal.
Soweit zum ersten Baum unserer christlich-jüdischen Geschichte, liebe Schwestern und Brüder. Ohne ihn wären wir nicht da, wo wir jetzt sind. Oder besser: Wir wären nicht die, die wir sind. Menschen nämlich, die Zeit ihres Lebens in der Spannung stehen zwischen der Sehnsucht, ins Paradies, in dieses totale Aufgehobensein zurückkehren zu wollen und zugleich sich erdverbunden zu bewegen. Und zwar nach vorn zu bewegen. Neugierig. Autonom. Das Leben ist so verlockend. Vielschichtig. Es gibt so viel Wissenswertes zu pflücken. Bildung lässt Bilder entstehen. Himmlisch. Allerdings – vielleicht geht es Ihnen im Moment so, dass Sie ob der Menge von Examenskost eher dieses besagte Völlegefühl verspüren? Dass es auch eine Schwere hat, dieses viele Examinierte in uns? Sodass es auf die Luft drückt. Weil das angeblich so Wissenswerte ja mit Leistung verbunden ist. Und damit nicht nur mit der Lust an Wettbewerb und Herausforderung, sondern auch mit der Angst zu versagen. Nicht umsonst ja begleitet jeden Menschen ewig dieser Traum: geprüft zu werden und nichts, aber auch gar nichts parieren zu können. Verzettelter Mensch mit Zittern und Zagen. Das hat dann gar nichts Autonomes. Vielmehr sind es andere, die einem sagen, wer man ist und was man zu sagen hat.
Aufgewacht. Alles gut. Doch so ein Traum zeigt: Man braucht einen Raum, um Atem zu holen. Zeit, sich zu er-holen. Damit die Freude zur Seele durchdringen und man fassen kann, dass „es“ jetzt bestanden ist! Die Zeit ist jetzt, um wieder bei sich selbst anzukommen. Und bei Gott sowieso. Am liebsten unter einem Baum. Oder meinetwegen auch in einer Unikirche. Orte, an denen wir erinnert werden an unser Menschsein und Menschenrecht, daran, dass wir nicht nur viel hinter uns, sondern auch vor uns haben. Hier darf sein, was wir sind: Suchende nach neuem Glück. Verzagt, munter, risikofreudig, nachdenklich. Gerade jetzt an diesem neuen Lebensabschnitt hofft und bangt es doch zugleich in einem, was werden wird. Wohltuend ist es da, noch einmal dem alten Propheten Jeremia zu lauschen:
Gesegnet der Mensch, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht Gott ist. Der und die ist wie ein Baum am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hinstreckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern bringt ohne Aufhören Früchte.
Letztlich spricht dieses Bild für sich selbst. Und muss gar nicht interpretiert werden. Höchstens ein zweites Mal gelesen. Gesegnet, wer sich einfach nur verlässt. Darauf, dass Gott da ist. Beständig wie ein Baum, der einem Schutz gibt und Schirm vor allem Argen, der einem neuen Atem gibt und Luft und Wasser und in all dem des Geistes Gegenwart.
Doch – ist das eigentlich unsere Wirklichkeit? Das, was wir bei all unseren Erkenntnissen wirklich in uns tragen? Zuversicht auf Gott – und nicht auf Wachstumsprognosen, auf Sicherungssysteme, Heilsversprechungen? Zur Zeit Jeremias jedenfalls waren die Menschen genau davon verführt. Waren nicht mehr in Kontakt mit ihrem Gott und seinen Lebenszeichen. Waren ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Mit ihrem Hochhinaus, ihrem Wachstumsirrsinn, der riesige Armut beschert – auch Liebesarmut. Und so endet schließlich wirklich alles im Unheil. Im Exil. Physisch, aber auch metaphysisch sind sie obdachlos, ohne Heimat, fern jeder Quelle, die einen mit Kraft speist und Lebensmut.
Auch sie war im Exil. Mit 20 Jahren floh die Jüdin Hilde Domin von Land zu Land, immer nur zeitweise geduldet. Aufrecht gehalten hat sie der Glaube an Gott als Glaube an eine innere Heimat. Diese Heimat, sagt sie mit ihrem Gedicht, wächst in uns heran wie ein Baum, der unter den Widerständen der wechselnden Witterung fest und stark wird. Und so tragen wir dieses Zuhause unzerstörbar in uns selbst; aus ihr kann kein Mensch vertrieben werden. Selbst unter den widrigsten Umständen gibt es Halt und Geborgenheit. Deshalb ist es so wichtig, dass Kinder von früh an von dieser Heimat, die Gott heißt, erfahren, dass sie religiös Obdach finden. Und deshalb ist Religionsunterricht mehr als ein Fach. Es ist Lebens-Mittel, Brot des Lebens. Denn von Kind an doch müssen wir lernen, im "Unterwegs-Sein" zu leben. Wir alle, klein wie groß, sind Wanderer zwischen den Zeiten. Müssen Abschied nehmen, loslassen, weiter gehen. Kommen uns dabei sicherlich manches Mal auch fremd vor. Oder einsam. Deshalb:
Man muss weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest.
Man muss den Atem anhalten,
bis der Wind nachlässt
…und wir zuhause sind,
wo es auch sei,
und niedersitzen können und uns anlehnen……
Beides also macht die Wirklichkeit Gottes in unserer Welt aus. Wachstum und Verwurzeltsein. Veränderung und nach Hause kommen. Beides ist gesegnet. Von allem Anfang an. Das glaube ich: Wir sind von Gott zärtlich in die Welt geworfen, sie zu erkunden, und – darauf können wir uns verlassen – immer wieder fängt er uns auf. Vom Anfang unseres Lebens bis zum Ende. Wir sind – ganz oft wird das Bild in der Bibel verwandt – Kind Gottes. Nicht im Sinne von kindisch oder kindlich, sondern im Sinne von: aus lauter Liebe geboren. Vom Mutterleibe an mit Segen bedacht, also Lebenskraft versehen. Mit einer Kraft berührt, die gerade nicht aus uns selbst heraus kommen kann. Sondern vom Gottvater, Gottmutter in uns gelegt ist als Lebensfreude und guter Ton, als Liebeswort und Zärtlichkeit, als Musik und herzliches Erbarmen. So dass wir wachsen und werden wie ein großer, blühender, fruchttragender, wunderschöner Baum, unter dem sich Freunde sammeln und singen und erzählen bis zu ihrem Lebensabend.
Wir sind Kind Gottes – auch mit 2. Examen, gewichtigem Wissen und sicherlich aufregenden Zukunftsplänen. Wir sind Kind Gottes – und getragen hin zur Leichtigkeit. Wie ein Baum eben mit seinem filigranen Blätterspiel im Wind, das lebt durch die Tiefe der Gottesbeziehung. Jedes Mal etwa, wenn wir beten und für andere bitten, wenn wir für unser Glück danken und für überstandene Krisen, wenn wir für die Würde eines anderen kämpfen, jedes Mal strecken wir die Wurzeln zur Quelle, zu Gott hin aus. Seid so also gesegnet, lieber Schwestern und Brüder, dass im Tiefsten eurer selbst diese Zuversicht stark wird und groß, Zuversicht, die uns verheißen ist und die Gott für uns ersehnt: der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen