18. März 2012 - Predigt zu Philipper 1, Vers 15 - 21
18. März 2012
Liebe Gemeinde! Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext aus dem Philipperbrief führt uns hinein in die Anfänge der christlichen Mission. Die Christen sind in den Augen der Herrscher des Römischen Reiches eine kleine, obskure religiöse Splittergruppe innerhalb des Judentums. Sie gelten – wie die Juden auch – als „Atheisten“, weil sie den Götterkult der römischen Staatsreligion nicht mitmachen und statt dessen festhalten am Bekenntnis zu dem einen Gott, der in den Heiligen Schriften des Judentums als Schöpfer, Erhalter und Erlöser der Welt bezeugt wird. Aus Gründen, die kein vernünftig tickender „römischer“ Mensch versteht, wollen die Juden anders sein und bleiben – und diese Splittergruppe, die sich da um den herumziehenden Prediger Paulus gebildet hat, die versteht man schon gar nicht.
Liebe Gemeinde!
I
Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext aus dem Philipperbrief führt uns hinein in die Anfänge der christlichen Mission. Die Christen sind in den Augen der Herrscher des Römischen Reiches eine kleine, obskure religiöse Splittergruppe innerhalb des Judentums. Sie gelten – wie die Juden auch – als „Atheisten“, weil sie den Götterkult der römischen Staatsreligion nicht mitmachen und statt dessen festhalten am Bekenntnis zu dem einen Gott, der in den Heiligen Schriften des Judentums als Schöpfer, Erhalter und Erlöser der Welt bezeugt wird. Aus Gründen, die kein vernünftig tickender „römischer“ Mensch versteht, wollen die Juden anders sein und bleiben – und diese Splittergruppe, die sich da um den herumziehenden Prediger Paulus gebildet hat, die versteht man schon gar nicht.
Weil Ruhe herrschen soll im Staate Rom, hat man Paulus in der griechischen Stadt Ephesus in´s Gefängnis gesteckt, damit er erst einmal religiös „abkühlt“ und aufhört mit seiner Missioniererei, die die Leute nur auf dumme Gedanken bringt und den Staatsfrieden gefährdet. Irgendwie aber hatten wohl die Ordnungshüter im Gefängnis am Amtssitz des römischen Statthalters in Ephesus den Ernst der Lage nicht richtig begriffen, denn sie verhinderten nicht, dass der gefangene Apostel von religiösen Gesinnungsgenossen besucht wurde und auch Geld von ihnen erhielt . Paulus nutzte diese Kontakte, um aus dem Gefängnis heraus Predigten, Ermahnungen und Ratschläge an die Gemeinden zu schicken, die er zuvor gegründet hatte. Der Beifall, den Paulus für seine Auftritte in Briefform erhielt, war allerdings nur mäßig – ätzende Kritik wurde geäußert, die Paulus nur als Kriegsgeschrei von den Gegnern in den eigenen Reihen verstehen konnte. So sieht er sich herausgefordert, Tacheles zu reden. Und das klingt dann so:
II
„Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. - Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“
III
Der Apostel beschönigt nichts. Es gibt tatsächlich Neid und Streitsucht, Eigennutz und unlautere Absichten bei den Botinnen und Boten der Botschaft. Sie sind auch nur Menschen. Aber dennoch: Mit einem mutigen „Was soll´s!“ wischt der Apostel dieses alles vom Tisch, weil er zutiefst davon überzeugt ist, dass auch unter diesen „allzu menschlichen“ Voraussetzungen das Evangelium von Jesus Christus eine frohe und froh machende Botschaft bleibt, die Gehör finden und Glauben wecken wird. Die Macht des göttlichen Wortes ist nicht verrechenbar mit dem noch so mächtigen oder eben auch schwachen Auftritt des Verkündigers. Die Botschaft selbst ist größer und schöner als wir Boten es jemals sein könnten! Und darum, liebe Schwestern und Brüder, sollen wir uns alle von Gott gesandt wissen, das gute Wort von Gottes Heil für alle Menschen mutig weiter unter die Leute zu bringen. Denn der Erfolg unserer Missionsbemühungen wird sich an ganz anderen Kriterien messen lassen müssen als an denen, die wir uns so in Strukturdebatten und Qualitätsoffensiven ausgedacht haben.
IV
„Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.“ So Paulus. Das ist doch erstaunlich: Mit einem Gelassenheit ausstrahlenden „Was soll’s“? geht er über die üblen Methoden seiner Gegner hinweg. Wobei er ja selbst auch nicht zimperlich mit ihnen umspringt. Aber er hat begriffen: was immer wir tun, was immer uns bewegt – und wenn es der eigene Ruhm ist oder die eigene Bedeutung: das Wort ist allemal größer als wir selbst es sind. Das Wort Gottes in Gebot und Verheißung hat eigene Kraft, unzerstörbare Macht.
Das ist eine heilsame Relativierung, finde ich: der Auftrag, Gott zu verkündigen, ihm den Weg zu bereiten, ist mehr als die Institutionen, die diesen Auftrag zum Inhalt haben. Nicht wir müssen sorgen für die Wirkmacht des Wortes Gottes: das tut es selbst – wenn es denn gesagt, erzählt, gesungen und gespielt wird. Nicht die Botinnen und Boten gehören auf den Sockel: das Wort Gottes gehört da hin. Soli deo gloria! – So steht es über vielen Kirchentüren!
Das ist Teil seines Programms, das Paulus entfaltet: „…dass Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod“. Um des Ziels willen sieht Paulus von sich selbst ab. So kann er ertragen das menschliche Urteil gegen ihn, die vielen kleinen Tode, die er stirbt. Das üble Gerede, mit dem sie ihn klein machen wollen, das steckt er weg – nicht um selber groß da zustehen in seiner Demut, sondern um Christi willen. Der soll groß werden vor den Menschen.
Wie kann einer das aushalten, frage ich mich.
Er geht ja sogar weiter: „Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn“, sagt Paulus! Das ist eine steile Aussage – gerade für Menschen, die Abschied nehmen müssen, denen der Tod einen lieben Menschen mitten aus dem Leben gerissen hat. Nicht zu sehen ist da, dass das ein Gewinn sein könnte. Zynisch mag das klingen in den Ohren Trauernder, wie ein verzweifeltes Klammern an einen Hoffnungs-Halm.
Als junger Pastor in einer Gemeinde am Stadtrand von Hamburg hatte ich es zu tun mit einer großen Gruppe von Ostpreußen, die nach Flucht und Vertreibung in dem kleinen Ort bei Hamburg gelandet waren. Sie hatten sich liebevoll mit viel Energie eine Siedlung gebaut und – zu allererst – eine Kirche! Ich habe diese Menschen immer bewundert: mit all den Bildern und Erfahrungen von Tod und Vernichtung in der Seele waren sie unerschütterlich fest im Glauben. Hatten aufgebaut, Heimat gebaut. Hielten zusammen, sangen ihre alten Lieder. Bei Besuchen erzählten sie mir von den schrecklichen Erfahrungen der Flucht – und von Erfahrungen der Rettung und des Neuanfangs. Da war keine Verbitterung, keine Schuldzuschreibung. Keine Enge, sondern Großmut: „Was tut’s aber?“
Bei Beerdigungen musste am Grab gesungen werden: „…lasst mich gehen, lasst mich gehen, dass ich Jesum möge sehn…“
Heiter fast ist die Melodie dazu, beschwingt, wie getanzt.
„Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn“, schreibt Paulus. Ein Hoffnungs-Satz, einer, der sich ausstreckt zur Zukunft hin – und doch gesagt angesichts befürchteten Endes.
Lätare heißt dieser Sonntag. Freut euch mit Jerusalem. Innehalten auf dem Weg nach Jerusalem, den Weg Jesu ans Kreuz immer wieder in das Licht von Ostern stellen: noch ist nicht Ostern. Verrat, Verhaftung, Folterung, Urteil, Hinrichtung – das alles wartet noch. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – das ist noch nicht gesagt. Will noch durchlebt, durchlitten und hinausgeschrien werden.
Die Freude, die hier gesungen und geschrieben, behauptet wird, ist eine Freude gegen den Tod als Ende von allem. Eine Freude auch gegen alle menschliche Begrenzung und Fehlbarkeit. Es gibt Grund, zu verzweifeln: an dieser Welt, an Menschen, die ihr eigenes Wohl im Auge haben zuerst; an der bitteren Realität, die sich einrichtet in sozialer Ungerechtigkeit und mit dem Hass und dem Unfrieden und der Verfolgung lebt.
„Aber ich werde mich weiterhin freuen“, sagt Paulus.
„In dir ist Freude in allem Leide“ – das ist der Grundton des Glaubens. Nicht die Leugnung des Endes allen Irdischen Lebens. Oder mit Paulus: „…denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird…“
V
Paulus ist ein besonderer Mensch mit einer besonderen Geschichte. Ungefragt und ungebeten war Christus eines Tages in sein Leben getreten, hatte Besitz von ihm ergriffen. Eine Erfahrung auf Leben und Tod. Drei Tage auf der Schwelle zwischen hier und dort, erblindet, gelähmt. Dann wurde ihm das Leben neu geschenkt. Augen geöffnet. Der Saulus wurde verwandelt in Paulus! Seitdem lebe ich nicht mehr mein Leben, sondern seins, sagt Paulus. Weiß mich eins mit ihm, eingebunden in sein Geschick, in seine Geschichte.
Paulus weiß: die Geschichte von Christus, dem Retter, von Gott, der in ihm kommt, die Mächtigen vom Thron zu stoßen und alles neu zu bestimmen und neu zu machen; der die Erniedrigten erhöht – sie ist eine brisante Geschichte, weil sie Menschen verändert, neu ausrichtet, Zukunft gibt – über den Tod hinaus. Weil sie die Welt verwandelt und die Macht der Mächtigen in Frage stellt. Wenn da nur noch ein Herr ist: Christus! Ja, dieser Glaube macht nicht ruhig, sondern unruhig; der Frieden mit Gott führt in den Unfrieden mit der Welt! „…denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird…“
Das ist die Sehnsucht, mit der sich der Glaube ausstreckt über die Welt hinaus. Damals und heute. Das ist die Sehnsucht, die sich einstellt, wenn wir blicken auf die Realität der Welt, auf das Kreuz Jesu, wie es sich wiederholt in dieser Welt – in all dem Hass und dem vielfältigen Tod; in all den Kriegen und im Terror; in all dem Hunger und dem Elend der Unterdrückten; in all den Verfolgten und Fliehenden. Auch in den Trauernden nach dem schrecklichen Busunglück in der Schweiz, bei dem so viele vor allem Kinder ihr Leben verloren – unfassbar. Und auch da haben wir gesehen, wie in aller Sprach- und Ratlosigkeit die Menschen Trost gesucht haben bei Gott, wie sie vor ihn gebracht haben ihr Leid, ihre Wut, ihre Bitten, ihre Hoffnung. Wissend: was wir sehen, ist nicht alles schon, darf nicht alles schon sein!
Dann stellt sich die Sehnsucht ein, die nicht einfach stillhalten will und alles erdulden und lassen. Dann stellt sich die Oster-Sehnsucht ein, nach Überwindung. Nach der Kraft Gottes, die die Steine ins Rollen bringt. Nach dem Widerstand gegen alles, was Leben bedroht. Nur im Wissen, dass der Tod und alles Leiden nicht das letzte Wort haben, dass noch ein Machtwort Gottes aussteht, können wir annehmen das Leben, wie es uns gegeben ist:
„…wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe.“
Das ist die Sehnsucht des Glaubens, die festhält an der Verheißung Christi, dass er den Tod überwindet auf ewig; dass er am Kreuz übernimmt alles, was uns trennt von Gott – was Martin Luther den „fröhlichen Wechsel“ nennt . Weil wir einfach nicht lassen wollen und nicht lassen können von dieser Sehnsucht, darum feiern wir den Sonntag als Tag des auferstandenen Herrn. Bald ist Ostern, sagt der Sonntag Lätare. Im Licht von Ostern gehen – nicht am Leid vorbei. Aber geleitet mit seinem Wort: Christus wird auferstehen. Das steht. Da gilt kein Widerwort. Das ist die Ansage einer neuen Schöpfung. Das hat die Kraft, das, was nicht ist, zu rufen, dass es sei.
Mitten in der Passionszeit – unter dem Kreuz des leidenden Gottes.
Darum singen wir immer wieder neu: „Jesu, meine Freude!“ Amen.