18. November 2012 - Grußwort beim Flüchtlingsrequiem
18. November 2012
Wir sind versammelt zu diesem Gedenkgottesdienst im Namen Gottes, der sich um jedes seiner Geschöpfe sorgt, der sich in Jesus Christus an die Seite der Verletzten und Gebrochenen stellt, und der uns in seinem Heiligen Geist Widerstandskraft verleiht gegen alles, was Leben bedroht und zerstört. Wir vertrauen darauf, dass unsere Hilfe von dem Herrn kommt, der Himmel und Erde gemacht hat. So sei der Friede Gottes mit uns allen Liebe Schwestern und Brüder, willkommen hier in St. Jacobi! Ich grüße Sie, die Sie sich zu diesem Requiem aufgemacht haben. Requiem - wir gedenken. Gedenken der Flüchtlinge, die an den Außengrenzen der Europäischen Union umgekommen sind. Diese EU hat gerade den Friedensnobelpreis erhalten - für sechs Jahrzehnte Friedensentwicklung. Und so gut es ist, dies zu würdigen - so dürfen wir nicht darüber hinweg sehen, dass an Europas Außengrenzen alles andere als Frieden herrscht.
Immer mehr Menschen sind auf der Flucht. Gerade in den letzten Tagen sind vor Malta zwei Boote aus Seenot gerettet worden. Am 6. November kam ein Boot mit 77 Somaliern an – darunter 3 schwangere Frauen. Zwei Tage später ein weiteres Boot mit 254 Menschen aus Eritrea, viele von ihnen waren Kinder. Sie sind vorerst gerettet. Wenigstens vorm Ertrinken. Viele andere wurden es nicht. Sie wurden gejagt, trieben im Meer und gingen unter. Wie viele genau – wir wissen es nicht.
Die Tatsache, dass vor Spanien, Italien, Malta und Griechenland Tausende umkommen, weil sie im wahrsten Sinne als „unlösbares Problem“ umschifft oder gar attackiert werden, all dies löst Empörung aus, und vor allem: es macht traurig. Deshalb: Requiem. Wir trauern um zahlreiche Menschen, deren Namen wir oft gar nicht kennen. Und wir werden gewahr, dass mit jedem Flüchtling, der ertrinkt, auch Humanität und Anstand ins Bodenlose sinken.
Ich halte inne, Requiem. Im gesicherten Deutschland, fern ab von den munitionierten Grenzzäunen Europas, hat man gut reden. Deshalb: Requiem, wer gedenkt, schaut genauer hin. Und wird hier und heute konfrontiert mit einer Welt, die bestimmt ist von Angst vor Entdeckung, Abschiebung und Erniedrigung.
Und wieder höre die Eindringlichkeit der alten Worte aus dem 3. Buch Mose: „Der Fremde, der sich bei dir aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Du sollst ihm also geben Arbeit und Wohnung, Angenommensein und Bildungsmöglichkeit, Sicherheit und Zukunft.
Denn – erinnert euch, requiem! - „Ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ Die eigene Geschichte dient als Spiegel. Wer einmal selbst Flüchtling war, darf dies nie vergessen. Gerade am Volkstrauertag nicht. Aus eigener Erfahrung doch formulierten die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes den Artikel 16 und hielten das Recht auf Asyl als individuelles Menschenrecht fest!
Derzeit gewähren in der Nordkirche über 10 Gemeinden Flüchtlingen Asyl. Ich danke diesen Gemeinde dafür! Denn als Christen haben wir die Verantwortung, Zuflucht für die zu schaffen, die auf der Flucht sind; und die es hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. In ihrem Angesicht, so fremd es uns sein mag, ist doch Christus ebenso zu erkennen! Und so gilt es, der Würde dieser Menschen Raum zu geben, ihre Ängste zu verstehen und ihre Ohnmacht. Zumal wir mittelbar mit verantwortlich sind für all die Ursachen, die Menschen dazu bringen, sich und ihre Kinder in diese Flüchtlingsboote zu setzen: Krieg, Diktatur, Dürre, Klimawandel. Auch deshalb: Requiem. Mit unserer Trauer und unseren Fragen geben wir ihnen, die von einem anderen Leben träumten, einen Platz inmitten unserer Gemeinschaft. Wir geben ihnen einen Platz inmitten dieses Europas, das sie nicht erreicht haben. Requiem aeterna.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit meinen Respekt und Dank denen gegenüber ausdrü-cken, die so zuverlässig beharrlich sind und nicht darin nachlassen, für sie die Stimme zu erheben.
Mit großer Zuneigung grüße ich dabei namentlich allen voran dich, liebe Fanny Dethloff – die du mit dem dir eigenen Scharfblick wie immer im Requiem so auch heute predigst – zusammen mit Bev Thomas, willkommen. (Ergo bin nicht ich die Predigerin wie es irrtüm-lich veröffentlicht wurde). Danke für deinen hartnäckigen Einsatz und deine warmherzige Energie. Dann danke ich neben Käpt´n Schmidt als Flüchtlingsbeauftragen des Landes SH all denen, die in den hier aufgeführten Organisationen mitarbeiten – besonders heute der Basisgemeinschaft Brot und Rosen, die so vieles organisiert haben, Danke Euch für all Euer Engagement. Schenke Gott Euch auch weiterhin Kraft, Mut und Durchhaltevermögen . Er nähre unser aller Hoffnung, dass Gottes Friede über Mauern springt, auch über die in Europa.
So sei Gott mit uns allen, wenn wir nun gedenken – Requiem im Namen Gottes des Va-ters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen